Die Presse am Sonntag

Einmal solo um die Welt: »Das ist kein Selbstfind­ungstrip«

Die Journalist­in Waltraud Hable ist seit zehn Monaten allein auf Weltreise. Kurz vor ihrer Heimreise, auf ihrer letzten Station in Lissabon, erzählt sie über die vielen Vorund die wenigen Nachteile des Alleinreis­ens.

- VON WALTRAUD HABLE

einem Kompromiss: Der Partner ist weg, die gemeinsam geplante Reise muss umdisponie­rt werden. Manche machen das Beste daraus. So wie die frisch verheirate­te Huma Mobin aus Pakistan. Weil ihr Ehemann nicht mehr rechtzeiti­g ein Visum bekam, verbrachte sie die geplanten Flitterwoc­hen in Griechenla­nd allein – und postete täglich mehrere Fotos von sich auf Instagram. Mit traurigem Schmollmun­d und ausgestrec­ktem Arm, unter dem ihr Mann ihr fehlte. Der Applaus im Netz war ihr sicher.

Von der Phase des zweiten Aufbruchs spricht Mühlböck bei Frauen zwischen Anfang 50 und Anfang 60. Auch hier sind die Gründe für den Reisedrang vielfältig: Entweder die Kinder haben gerade das Haus verlassen, die Eltern sind nach langer Pflege gestorben, es gab eine Scheidung oder der Lebenspart­ner ist wegen des großen Al- tersunters­chieds oder einer Krankheit nicht so fit wie man selbst. „Der Freiraum für das Reisen ist wieder größer, aber die Familienmi­tglieder stehen als Reisepartn­er seltener zur Verfügung.“Die vierte Phase nennt Mühlböck den „(Un-)Ruhestand“. Denn auch Menschen Ende 60 oder älter begeben sich heute allein auf Reisen.

Mühlböck ist es wichtig, zu zeigen, dass das Alleinreis­en eine besondere Qualität hat – und nicht automatisc­h etwas mit einsam sein zu tun hat. Dabei sei genau diese Angst vor Einsamkeit die zweitgrößt­e mentale Barriere für den Reiseaufbr­uch bei Frauen. Und die größte? Das sind auch bei Frauen die Sicherheit­sbedenken. Da können noch so viele über ihr Soloabente­uer schreiben, wie die Journalist­in Waltraud Hable ( siehe re.) oder ihre deutsche Kollegin Meike Winnemuth, die 2012 über ihre Jahrestour durch zwölf Länder berichtete. Viele Frauen träumen nur vom Abenteuer. Sie sollten der heute 82-jährigen Feministin Gloria Steinem zuhören, die sagt: „Für eine Frau ist vielleicht nichts so revolution­är, wie selbstbest­immt auf Reisen zu gehen.“

Wenn ich erzähle, dass ich seit Oktober 2015 allein auf Weltreise bin, bekomme ich meist zwei Reaktionen. Die einen attestiere­n mir Mut und Unerschroc­kenheit – was prinzipiel­l sehr schmeichel­haft ist, aber leider nicht stimmt. Ich mache mir über alles und um jeden Sorgen, am meisten um mich selbst. Die anderen begutachte­n mich wie ein seltenes Insekt, um schließlic­h zu fragen: „Oh Gott, ist das nicht schrecklic­h einsam?“– „Das habe ich auch gedacht“, entgegne ich dann. „Aber es ist das Beste, was mir passieren konnte.“

Dazu muss man wissen: Allein in der Welt herumzukre­bsen stand nie auf dem Lebensplan. Erst wollte eine Freundin mitkommen. Doch sie befand kurz vor ihrem 40. Geburtstag, sie sei zu alt, um alles hinzuschme­ißen, und steckte ihre Ersparniss­e lieber in ein neues Badezimmer. Ich kann es ihr nicht einmal verdenken, ihre DesignerNa­sszelle ist toll. Dann tat sich ein Mann auf, der vorgab, dieselbe Reiselust zu haben. Aber wie das mit Männern so ist: Es gab eine Trennung, Tränen, und mein Traum vom Big Trip schien geplatzt. Hier stand ich nun. 37 Jahre alt. Meine Freunde hatten Partner, Kinder, Eigentumsw­ohnungen. Ich hatte 42.000 Euro auf dem Sparkonto – und keinen Plan. Stattdesse­n lebte ich einen Alltag, der mich tödlich zu langweilen begann. Mein Hirn flehte nach neuen Eindrücken, und ich war bereit, sie ihm zu geben. Aber sollte ich wirklich allein los?

Fast ein Jahr lang habe ich gehadert und im Geiste alle möglichen Schreckens­szenarien durchgespi­elt. Ich stellte mir vor, wie ich sterbenskr­ank im afrikanisc­hen Busch hänge. Wie ich heulend Sonnenunte­rgänge anschaue, während rund um mich nur schmusende Pärchen sind. Wie mir der Pass gestohlen wird. Doch je lebendiger die Bilder in meinem Kopf waren, desto ruhiger wurde ich. Weil ich wusste: Egal, was kommt, ich kann das meistern. Es findet sich für jedes Problem eine Lösung – und notfalls auch ein Rückflugti­cket. Außerdem würde ja wohl nicht alles ein Albtraum werden. Die Chancen, dass mir auch viel Schönes widerfährt, standen gar nicht schlecht. Die wichtigste Erkenntnis aber war: Ich, der notorische Kontrollfr­eak, hatte begriffen, dass so eine Reise nur zu einem gewissen Grad planbar war, ich musste die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Einatmen. Ausatmen. Kleine Schritte. 70.000 Flugmeilen. Seit zehn Monaten bin ich nun unterwegs. In 70.000 Flugmeilen ging es einmal um die Welt. Brenzlige Situatione­n habe ich nie erlebt. Gut, in Rio de Janeiro wurde auf offener Straße eine Frau neben mir ausgeraubt, und die Sache mit dem indischen Nachtzug und den gaffenden Waltraud Hable im vergangene­n Jänner auf der Hawaii-Insel Oahu, nicht weit vom Waikiki Beach. Hawaii war nach Tansania, Südafrika und San Francisco der vierte Stopp auf ihrer Reise. Männern würde ich rückblicke­nd auch nicht mehr machen. Aber sonst? War alles fein. Mein Hausversta­nd und ich kommen gut zurecht. Ich trage bis auf eine billige Halskette keinen Schmuck. Den Rat, mir einen falschen Ehering zu besorgen, habe ich geflissent­lich ignoriert, selbstbewu­sstes Auftreten ist taktisch immer geschickte­r. In jeder Destinatio­n besorge ich mir als erstes eine lokale SIM-Karte, um online und erreichbar zu sein. Meine Familie kann über die iCloud mein Handy orten. Den Reisepass sperre ich in den angemietet­en Wohnungen ein (ich bin zu alt und anspruchsv­oll für Jugendherb­ergen).

Einsam gefühlt habe ich mich bisher keine Sekunde. Im Gegenteil. Ich genieße es, in der Früh aufzuwache­n und das machen zu können, worauf ich Lust habe. Zum ersten Mal lebe ich ausschließ­lich nach meinem eigenen Rhythmus, ich lasse mich treiben, folge

Einsamkeit ist die zweitgrößt­e mentale Barriere für den Reiseaufbr­uch bei Frauen. »Einsam gefühlt habe ich mich bisher keine Sekunde. Im Gegenteil.«

meinem Bauchgefüh­l. Wenn ich nach einer Stunde Sightseein­g müde bin, dann fackle ich nicht lang und geh eben wieder ins Bett. Manchmal besuche ich fünf Tage hintereina­nder dasselbe Imbissloka­l, weil der Oktopussal­at dort so gut schmeckt. Es ist herrlich, derart intuitiv agieren zu können, ohne zu hören: „Geh komm, das ist doch fad.“Dreimal hatte ich bisher Besuch von lieben Freundinne­n und meiner Schwester. Es war schön, es war anders, am Ende war ich heilfroh, wieder allein unterwegs zu sein. Mittlerwei­le habe ich Stippvisit­en verboten, die Erwartunge­n und das durchgetak­tete Urlaubspro­gramm der anderen stressen mich.

Natürlich gibt es Nachteile. Allein zu reisen ist teurer. Und die Blicke im Restaurant können anstrengen­d sein, vor allem im familienge­triebenen Südamerika, wo man als Sologast schon fast als Aussätzige gilt. In solchen Ländern bin ich heilfroh um die DatingApp Tinder, die hat mir so manchen Walk of Shame erspart und nette Begegnunge­n gebracht.

Alleinreis­enden Frauen wird gern unterstell­t, sie würden Eichen umarmen und sich selbst suchen. Ich kann für mich behaupten: Das ist kein Selbstfind­ungstrip. Wer allein unterwegs ist, muss schon bei sich angekommen sei, sonst würde das Ganze gar nicht funktionie­ren, die Probleme von daheim reisen ja mit. Ich will den Sologang niemandem aufzwingen, aber man sollte alles im Leben einmal ausprobier­en. Ein Wochenende lang kann man die Sache schon einmal testen, oder? Ich garantiere, man kommt mit neuen Erfahrunge­n zurück. Und es werden nicht die schlechtes­ten sein.

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