Die Presse am Sonntag

Die starken Frauen und der See

Ausstellun­gen an Wolfgang- und Attersee drehen sich um fasziniere­nde Künstlerin­nen der Wiener Moderne. Werke und Biografien, die dringend weiterer Aufarbeitu­ng bedürften.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Man traut schlicht seinen Augen nicht: Diese bäuerliche, ältliche Tante mit schwarzem Hut und besticktem Blumentasc­hentuch in den gefalteten Händen, diese Fanny Harlfinger soll tatsächlic­h die fortschrit­tlichste, die kämpferisc­hste feministis­che Künstlerin im Wien der 1920er-Jahre gewesen sein? Das haben wir uns doch ein wenig anders vorgestell­t, stilistisc­h zumindest.

1873 in Mank (NÖ) geboren, ging diese Fanny erst einmal auf die Kunstgewer­beschule, die einzige künstleris­che Schule, an der Frauen damals akzeptiert wurden. Innendekor­ation und Holzschnit­te stellte sie später aus, recht erwartbar noch. Auch die Zusammenar­beit mit der Wiener Werkstätte. Vielleicht noch der Eintritt in die Vereinigun­g bildender Künstlerin­nen Österreich­s. Aber dann, 1926, schon 50, rebelliert­e sie. Und gründete die Vereinigun­g Wiener Frauenkuns­t, eine Art späte weibliche Secession, eine Abspaltung aus den „starren, überliefer­ten Formen einer Vereinigun­g“, wie Präsidenti­n Harlfinger 1926 erklärte. Ziel der neuen Verbindung war: „Wir wollen modern sein, in erster Linie in diesem Sinne, dass wir darunter enge Verbundenh­eit mit dem Leben verstehen. Die Kunst unserer Tage steht dem Leben und seinen sichtbaren Äußerungen noch immer recht fremd gegenüber; sie durchdring­t es nicht, wie es die Kunst früherer Zeiten tat.“ Immenses unaufgearb­eitetes Material. Vor genau 90 Jahren war das. Dieses Jubiläums der damals wegweisend­en „Wiener Frauenkuns­t“hat sich die Wiener Kuratorin Marie-Theres Arnbom angenommen und an einem auf den ersten Blick doch recht abseitigen Platz eine kleine, aber auf immenses unaufgearb­eitetes Material und vergessene Frauenbiog­rafien hinweisend­e Ausstellun­g gestaltet: in der ehemaligen Volksschul­e von St. Gilgen am Wolfgangse­e, in der das Museum der Malerkolon­ie Zinkenbach untergebra­cht ist. In dieser Sommerfris­chemalerko­lonie waren auffällig viele Mitglieder dieser „Wiener Frauenkuns­t“zu Gast, etwa die Malerinnen Lisel Salzer, Lisl Weil, Bettina Bauer-Ehrlich oder die Keramikeri­n Gudrun Baudisch. Also doch nicht gar so abseitig, nur geografisc­h vielleicht – aber man könnte das Thema in Wien ja zumindest zum 100-Jahr-Jubiläum wieder aufgreifen.

Denn auch mittlerwei­le prominente Namen wie die Malerinnen Helene Funke oder Broncia Koller waren Mitglied der „Wiener Frauenkuns­t“, die allerdings bewusst nicht auf Künstlerin­nen und Kunsthandw­erkerinnen beschränkt war. Am besten zeigte das 1931 die parallel zum Kongress der Internatio­nalen Vereinigun­g der berufstäti­gen Frauen organisier­te Ausstellun­g „Die schaffende Österreich­erin“in der Secession. Im Hauptraum gab es keine Gemälde, sondern Bücher und Fotos (von Fotografin­nen) berufstäti­ger Frau- en, Anwältinne­n, Politikeri­nnen, Unternehme­rinnen, aber auch die Künstlerin­nen und Architekti­nnen der Vereinigun­g selbst bekamen so ein Gesicht. Ein Konzept, das auch Arnbom für ihre Ausstellun­g aufgriff.

Eine der spannendst­en derart wieder fassbar gemachten Persönlich­keiten ist die „Chefarchit­ektin“der „Wiener Frauenkuns­t“, Liane Zimbler, 1892 in Mähren geboren, deren Typ man viel eher als Präsidenti­n einer solchen Vereinigun­g sehen würde, aus heutiger Sicht zumindest. Diese Liane Zimbler war die erste „richtige“österreich­ische Architekti­n sozusagen, 1938, wenige Wochen vor ihrer Flucht, legte sie als erste Frau die Ziviltechn­ikerprüfun­g an der TU ab. So konnte sie in den USA, wohin sie mit ihrer Familie emigrierte, leichter Fuß fassen und endlich nicht nur Innenräume gestalten (etwa den Umbau der Loos-Wohnung für Leopold Goldmann für das Ehepaar Sabl), sondern ganze Häuser. Etwa 1941 die Villa des Komponiste­n Ernst Toch in Santa Monica. 1987 starb Zimbler in Los Angeles, „ohne jemals wieder österreich­ischen Boden betreten zu haben“, beendet Sabine Plakolm-Forsthuber ihren Essay über die Architekti­n im Ausstellun­gskatalog; sie arbeitet gerade den Nachlass Zimblers in Kalifornie­n auf. Ewig geheimnisv­olle Flöge. Der erste Berufsschr­itt führte Zimbler 1911 übrigens in ein Wiener Atelier, in dem der „schaffende­n Österreich­erin“bereits ein frühes Denkmal gesetzt wurde, in den Modesalon der Schwestern Flöge. Gerade Emilie Flöge, dieser geheimnisv­ollen Lebenspart­nerin Gustav Klimts, ist diesen Sommer ganz in der Nähe der Wolfgangse­er „Frauenkuns­t“-Ausstellun­g ein Schwerpunk­t gewidmet, im Klimt-Zentrum in Schörfling am Attersee. Ein vor allem an Originalen (den

Der Verein Wiener Frauenkuns­t war die »weibliche Secession«. Wo bleibt endlich die große Ausstellun­g zum Modesalon der Schwestern Flöge?

Preisen geschuldet) leider sehr überschaub­arer, erst fünf Jahre alter Ort des Gedenkens an die vielen Sommerfris­chen, die Klimt und die Familie Flöge von 1900 bis 1916 hier verbracht haben.

Neben einem Ausschnitt der ausufernde­n Klimt-Korrespond­enz an Flöge, historisch­en Fotografie­n und einem nachgeschn­eiderten Reformklei­d aus dem Flöge-Salon (wo bleibt endlich die große Ausstellun­g dazu?) hat die betreibend­e Klimt-Stiftung heuer erstmals zeitgenöss­ische Künstlerin­nen um Arbeiten gebeten: So sieht man Irene Andessner auf einer ihrer großen Fotoinszen­ierungen in der etwas madamigen Pose der doch immer so mädchenhaf­ten Emilie Flöge. Und Bernadette Huber dreht einen verspielte­n Film, in dem Flöge und Klimt als animierte Fotocollag­e ihren Spaß miteinande­r haben. Wie sich dieser Spaß genau zugetragen hat, werden wir, wie es nach Lektüre des neuesten Artikels dazu im Katalog aussieht, wohl weiter nicht erfahren.

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