Verdi als Festspielkomponist: Liebe auf den zweiten Blick
Die Salzburger Landnahme der Italianit`a ist auch auf Tondokumenten und Videoaufnahmen spannend nachzuvollziehen.
Mit der „Traviata“von 2005, gesungen von Anna Netrebko und Rolando Villazon,´ entstand in Salzburg eine der meistverkauften CD- und DVD-Produktionen der jüngeren Tonträgergeschichte. Dieser Erfolg und die Vorfreude auf eine „Aida“2017 mit der Netrebko unter Riccardo Mutis Leitung basieren auf einer Verdi-Kompetenz, die man im Festspielbezirk quasi wider Willen erwarb. Die Empörung war einstens zwar groß, als Herbert von Karajan beschloss, Verdis „Troubadour“ins Salzburger Programm aufzunehmen, allein, es gibt wahrscheinlich keinen Rundfunkmitschnitt einer Festspielpremiere, der so oft illegal kopiert und verbreitet wurde, ehe er im Rahmen der CD-Reihe „Festspieldokumente“legal in den Handel kam. Das Salzburger Publikum war schon über Wilhelm Furtwänglers Entscheidung beglückt, das Festspiel-Re- pertoire um den „Otello“zu erweitern (den man damals freilich noch „Othello“schrieb, wenn er auch bereits auf Italienisch gesungen wurde). Stand doch mit Ramon Vinay der Otello-Interpret schlechthin auf der Bühne, was in Kombination mit der schwergewichtigen, aber nicht schwerfälligen („deutschen“?) Gangart Furtwänglers zu beeindruckendem Effekt führte. Wie Karajans späterer AllStar-Cast für den „Trovatore“. Schon die Sperrklauseln in den SchallplattenVerträgen der Spitzenkünstler machten es damals – Mitte der Sechzigerjahre – unmöglich, dass diese Kombination von Superstars je im Studio zusammenfinden würde, um eine Verdi-Aufnahme zu machen. Leontyne Price, Giulietta Simionato, Franco Corelli, Ettore Bastianini – dazu Karajan und die Wiener Philharmoniker; das Hörglück war auch für Konsumenten illegaler Raubmitschnitte beinah vollkommen. Karajan ist wenig später dazu übergegangen, seine Salzburger Produktionen während der Einstudierungsarbeit unter Studiobedingungen für Schallplatten aufzunehmen. So entstanden Verdi-Einspielungen wie „Otello“, „Aida“und „Don Carlos“(alle mit Mirella Freni), „Falstaff“und zuletzt „Un ballo in maschera“(mit Placido Domingo), dessen Gesamtaufnahme im Wiener Musikverein fertiggestellt wurde, dessen Festspielpremiere nach Karajans Tod aber Sir Georg Solti dirigierte.
In den Achtzigerjahren war freilich das Fernsehen schon regelmäßig bei Festspielpremieren dabei. So kommen Musikfreunde in den Besitz einer CDAufnahme dieses „Maskenballs“unter Karajan und einer DVD unter Solti.
Wobei das Videodokument, das von Karajans „Otello“-Produktion Anfang der Siebzigerjahre hergestellt wurde – ein aufwendiges Remake in Filmstudios – Musikfreunde vor die leidige Frage stellt, ob sie mit dem auf DVD geradezu fahrlässig schlecht kopierten Filmsoundtrack vorliebnehmen möchten oder lieber die Audioaufnahme abhören – hier werden sie allerdings die ganze dynamische Palette der LP-Produktion des legendären Karajan-Partners Michel Glotz nur ausloten, wenn sie auf die Originalpressung der EMISchallplatten zurückgreifen; die Digitalisierungen minimieren den gigantischen Klangraum alle drastisch! Reine Freude vermitteln Karajans Salzburger „Falstaff“-Aufführungen, die ältere versammelt um Tito Gobbi ein wahrhaft luxuriöses Sängerensemble, in der jüngeren strahlt die Zentralsonne des unvergleichlichen Giuseppe Taddei und rückt eine Facette des mit unglaublicher Altersweisheit und kapellmeisterischer Souveränität über alle Pointen Verdis wachenden Maestros ins rechte Licht, an die sonst niemand glauben wollte: Humor.