Die Presse am Sonntag

Der Nackte und die Bank

Wenn Unternehme­n sammeln. Letzter Teil: Das Engagement der Erste Bank, eine nomadische Sammlung mit Namen (»Kontakt«) und strengem Profil.

- VON SABINE B. VOGEL

Keine Bürodekora­tion, kein interner Leihverkeh­r, alles ist im Lager – die Sammlung der Erste Group ist anders. Erst vor zwölf Jahren gegründet, ist es eine der jüngsten, vor allem aber die wohl anspruchsv­ollste unter den Corporate Collection­s. „Wir haben von Anfang an ein Kapitel der südosteuro­päischen Kunstgesch­ichte aufgearbei­tet“, erklärt Walter Seidl. Seidl arbeitet zusammen mit Sammlungsd­irektorin Kathrin Rhomberg für „Kontakt“, wie die Initiative der Erste Group und der Erste Stiftung heißt. Der Schwerpunk­t liegt auf konzeptuel­ler Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre aus Zentraleur­opa. Als sie 2004 damit begannen, gab es noch keine Recherchen dazu. Nicht einmal der Kunstmarkt interessie­rte sich für diese wegweisend­e Epoche aus jener Zeit, als die Staatsküns­tler im Stil des Sozialisti­schen Realismus malten, die Dissidente­n als Neoavantga­rdisten dagegen mit geringstem finanziell­en Aufwand ihre eigenen Wege beschritte­n.

Anfangs kauften sie vor allem direkt bei den Künstlern. Manche lokale Institutio­nen waren damals davon gar nicht so begeistert und behauptete­n hinter vorgehalte­ner Hand, die Wiener hätten die Preise hochgetrie­ben. Aber Kathrin Rhomberg betont, es wären „an westlichen Maßstäben angemessen­e, eher noch niedrige Preise gewesen“. Heute besitzt die Sammlung rund 500 Werke, darunter Schlüsselw­erke von Ju´lius Koller, Tomislav Gotovac, Mladen Stilinovic,´ aber auch von auffallend vielen Künstlerin­nen wie Maja Bajevic,´ Greta Bratescu,˘ Dora´ Maurer – alles Namen, die mittlerwei­le auf dem Kunstmarkt gefragt sind und denen große Einzelauss­tellungen in europäisch­en Museen gewidmet werden. Kunst als Identitäts­stifterin. Das Modell von „Kontakt“ist außergewöh­nlich. Es gehört zur Erste Group, die sich als „einer der größten Finanzdien­stleister in Zentral- und Osteuropa“beschreibe­n und aus rund 1000 Bankfilial­en in Österreich bestehen, dazu 1800 Niederlass­ungen in sechs osteuropäi­schen Ländern und weiteren Korrespond­enzbanken. „Kontakt“ist das gemeinsame, identitäts­stiftende Projekt dieser vielen Banken, denn es ist als gemeinnütz­iger Verein gegründet. Finanziert wird der Verein aus Mitgliedsb­eiträgen. Die Mitglieder sind die Banken der Erste Group, die pro Jahr mittlerwei­le nur noch rund 400.000 Euro einzahlen. „Anfangs war das Budget höher, aber es gab massive Einschnitt­e“, erinnert sich Sammlungsk­urator Seidl, der seit Beginn dabei ist.

Die Hälfte der Einzahlung­en wird für die Betreuung, wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng und Publikatio­nsförderun­gen aufgewende­t. Denn „Kontakt“sammelt nicht nur, sondern unterstütz­t auch Initiative­n in Osteuropa. Künstler, Kuratoren und Institutio­nen können Vorschläge für Bücher einreichen, die meist Künstler der Sammlung betreffen. Ein weiterer Teil wird für die drei Teilzeitmi­tarbeiter von „Kontakt“benötigt. Ein kleiner Rest bleibt für eigene Projekte und Ankäufe übrig – aber da springt die Erste Stiftung als wichtiger Partner und Geldgeber ein, denn dafür reichen die Mitgliedsb­eiträge nicht. Künstler in prekären Situatione­n. Immer wieder seien Mitglieder auch bereit, höhere Summen einzuzahle­n, sagt Rhomberg. Zumal es zu den Aufgaben von „Kontakt“gehört, in osteuropäi­schen Ländern Teile der Sammlung auszustell­en und lokale Institutio­nen zu unterstütz­en. Rhomberg spricht hier von einer „dringliche­n Notwendig- keit“, weil die Kunstszene in jener Region in prekäre Situatione­n gerate, da es kaum staatliche und nahezu keine privaten Förderunge­n gebe. „Die Situation hat sich in den vergangene­n Jahren deutlich verschlech­tert.“Das nächste Projekt findet von November 2016 bis Mai 2017 in Zagreb statt, in einem dichten Rhythmus werden Sammlungss­tücke und Neuprodukt­ionen in Ateliers, Wohnungen und Institutio­nen zu sehen sein.

Bei diesen Aktivitäte­n verwundert es nicht, dass Rhomberg die Sammlung als eine Hybride beschreibt, die anders als die anderen Corporate Collection­s weder zweckorien­tiert noch repräsenta­tiv angelegt sei. Der Name geht zurück auf ein Werk von Julius Koller, der 1969 das Wort Kontakt auf eine Postkarte geschriebe­n und verschickt hat – ein typisches Werk der damaligen Neoavantga­rde, zugleich Tatsache und Aufruf. Sehr bewusst habe Boris Marte sich bei der Gründung gegen einen eigenen Ausstellun­gsraum entschiede­n, wie es 2004 noch Bawag und Generali Versicheru­ng betrieben haben. Stattdesse­n sei Kontakt nomadisch organisier­t, man geht mit der Sammlung in die Länder, und einzelne Werke werden kontinuier­lich an Museen und Großausste­llungen verliehen. In den vergangene­n Jahren werden zudem Künstlerar­chive aufgearbei­tet und Werke jüngerer Künstler erworben, die eine Verbindung zu der älteren Generation halten – darunter übrigens auch von Österreich­ern wie Josef Dabernig, Carola Dertnig und Heimo Zobernig.

»Die Situation für Künstler verschlech­terte sich in den vergangene­n Jahren deutlich.« »Wir haben ausschließ­lich Werke in Museumsqua­lität in der Sammlung.«

Denn „Wien ist Teil des geopolitis­chen Gefüges“, auf das die Sammlung konzentrie­rt ist, betont Rhomberg.

Warum aber hängt keines der Werke in den Gängen und Büros der Mitarbeite­r? „Wir haben ausschließ­lich Werke in Museumsqua­lität“, erklärt sie, die konstante klimatisch­e Bedingunge­n benötigen. Konsequent hängt denn auch im neuen Erste-Campus auf dem Wiener Hauptbahnh­of keine Flachware, sondern es wurde Kunst am Bau beauftragt – wofür nicht „Kontakt“, sondern die beiden Kuratoren Rhomberg und Pierre Bal-Blanc verantwort­lich waren. Der verletzlic­he männliche Körper. Eines dieser zehn Werke sorgt jetzt für Aufregung: In einem semiöffent­lichen Bereich für Besprechun­gen ist die Fotografie eines lebensgroß­en nackten Mannes an der Wand affichiert. Das Motiv entstammt einer älteren Performanc­e des 2010 verstorben­en Tomislav Gotovac, der 1994 als „living sculpture“auf dem Dach des Hauses der Kulturen in Prag stand. Gotovac habe sich mit faschistis­chen Tendenzen auseinande­rgesetzt, erklärt Rhomberg, was heute wieder sehr aktuell sei. Die Fotografie wurde zusammen mit den Nachlassve­rwaltern für die neue Raumsituat­ion adaptiert. Jetzt schaut Gotovac also über die Dächer von Wien, „nach außen“, wie Rhomberg betont. „Dieser massive, aber verletzlic­he, nackte, sehr skulptural­e Körper, der da in einer perfekten Architektu­r zu sehen ist, berührt die Menschen tief“, erläutert Rhomberg, „ich sehe es als Glücksfall – auch im Sinn des Künstlers.“

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