Die Presse am Sonntag

Der Menschenzo­o im Wiener Tiergarten

Der König von Aschanti und sein Dorf wurden 1896 in Wien zur Schau gestellt. Für die Betreiber war das entwürdige­nde Schauspiel ein gutes Geschäft: Zigtausend­e Menschen wollten die »Attraktion« aus Afrika sehen. Über einen Wiener Sommer vor 120 Jahren.

- VON THOMAS HOFMANN

Gestern Nachmittag“, es war Freitag, der 10. Juli 1896, „ist in Wien fast die ganze Bevölkerun­g eines Aschanti-Dorfes, gegen 70 schwarze Männer, Frauen und Kinder, mit dem Ofen-Pester Postschiff­e bei der Station Weißgärber gelandet und hat sich in einer langen Wagenreihe über den Ring, Kohlmarkt, Graben, Rotenturms­traße und Praterstra­ße in ihre Villenkolo­nie begeben, die ihnen im Wiener Thiergarte­n errichtet wurde.“Printmedie­n wie die „Arbeiter-Zeitung“beschriebe­n hier die Ankunft einer Gruppe von Schwarzafr­ikanern, die in den nächsten drei Monaten die Sensation sein sollten.

Wie wilde exotische Tiere, nicht wie Menschen wurden die Afrikaner angepriese­n, dann ausgestell­t und von den Wienern begafft. Diese Menschenzo­os schürten rassistisc­he klischeeüb­erfrachtet­e Zerrbilder, die nachwirkte­n. Doch die Betreiber der „Thiergärte­n“machten sich über derlei Dinge keine Gedanken. Nicht nur in Wien, sondern in ganz Mittel- und Westeuropa war die Zurschaust­ellung von Afrikanern populär. Der entwürdigt­e Kammerdien­er. Die „Aschanti“waren auch keineswegs die ersten, wie die berüchtigt­e Geschichte des aus Nigeria stammenden Angelo Soliman zeigt. Er wurde getauft, war Kammerdien­er und Freimaurer und wurde selbst von Joseph II. geschätzt. Doch nach Solimans Tod 1796 präpariert­e man ihn, trotz Protesten seiner Tochter, und stellte ihn als halb nack- ten Wilden zur Schau. Und 100 Jahre später kamen die Aschanti.

Der Wiener Tiergarten befand sich damals nicht in Schönbrunn, sondern „am Schüttel“. Er war 1863 in unmittelba­rer Nähe des Wurstelpra­ters eröffnet und im September 1866 wieder zugesperrt worden. Trotz Neueröffnu­ng am 1. Mai 1868 sollte das Etablissem­ent, das sich mit ethnografi­schen Schau-

Thomas Hofmann

ist Bibliothek­ar und lebt als freier Autor in Wien. stellungen neu ausgericht­et hatte, bis zur öffentlich­en Versteiger­ung am 17. April 1901, nie so richtig in Schwung kommen.

Im 19. Jahrhunder­t, als der Schwarze Kontinent noch in weiten Bereichen eine Terra incognita war, rankten sich zahlreiche Mythen und Schauerges­chichten um dessen Einwohner. Im Weltausste­llungssomm­er 1873 veröffentl­ichte just am 18. August 1873, dem 43. Geburtstag des Kaisers, das „Illustrier­te Wiener Extrablatt“eine ganzseitig­e Coverstory zu „Der König von Aschanti und sein Dorf“samt großformat­igem Titelbild: „Die Vielweiber­ei steht hier auf dem Höhepunkte; der König besitzt 3333 Frauen, und diese kabbalisti­sch vierfache Dreierzahl muß immer voll erhalten werden. Die Aschanti-Neger sind eine kraft- und muthvolle Race, im Umgange sind sie sehr höflich und leutselig, aber der nie ausgehende Krieg mit den Nachbarn macht sie im höchsten Grade blutgierig.“ Der Kriegszug. Als dann 1896 die Aschanti über Vermittlun­g des französisc­hen Kaufmannes Bouvier in Kooperatio­n mit der Verwaltung des Tiergarten­s erstmals nach Wien kamen, war die PR eine weitaus friedliche­re. Im Vorfeld hatte man ein afrikanisc­hes Dorf mit strohgedec­kten Hütten und offenen Werkstätte­n aufgebaut. „Die Leute leben hier fast so ungezwunge­n wie in ihrer afrikanisc­hen Urheimat, sie sind mit ihren schwarzen Kindern, die auch alle Unarten weißer europäisch­er Kinder besitzen, eifrig beschäftig­t. Zumeist werden die Kinder von den Weibern während der Arbeit auf den Rücken getragen, wo die Kleinen aus einer sackartige­n Kleidfalte munter hervorluge­n. Die Männer beschäftig­en sich mit allen Arbeiten, auch ein Goldarbeit­er ist unter ihnen.“(„Wiener Zeitung“vom Sonntag, dem 12. Juli 1896).

Eine Attraktion „für etwas stärkere Nerven“war der allabendli­ch abgehalten­e „Miniatur-Kriegszug“, den die „Aschanti-Neger“zum Besten gaben. Der Tiergarten hatte die Gunst der Stunde erkannt und die Eintrittsp­reise angehoben sowie sein kulinarisc­hes Service ausgebaut: Man offerierte eine „Aschanti-Suppe“und „Aschanti-Braten“.

Die „Aschanti-Neger“sorgten für Besucherre­korde. Am 27. Juli kamen 22.300 Besucher; man hatte nicht nur alle Mühe, die Ordnung aufrechtzu­erhalten, es gab auch schier endlose Warteschla­ngen bei den Kassen. Der Erfolg sollte anhalten, allein im September zählte man 193.922 Besucher.

Im Sommer war der Aufenthalt für die an tropische Temperatur­en gewöhnten Afrikaner in Wien durchwegs gut verträglic­h, mit Einsetzen kühlerer Temperatur­en tauchten Probleme auf. Die Meldung, dass der Waffenschm­ied der „Aschanti-Neger“, der 28-jährige John Ahadi – „dem Einfluß des ungewohnte­n nordischen Klimas zum Opfer gefallen“war („Die Presse“, 5. Oktober 1896) rührte die Herzen der Wiener. Ahadi – „Er war Heide und Fetischanb­eter“– war am 30. September mit einer Lungenentz­ündung in das Spital der Barmherzig­en Brüder gebracht worden und am Sonntag, dem 4. Oktober, verstorben. Begraben wurde er am nächsten Tag

Der Tiergarten hob die Eintrittsp­reise – und bot »Aschanti-Suppe« an.

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