Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Unsittlich unnackt. Geht in Cannes gerade der letzte Rest der laizistisc­hen Vernunft baden? Das dortige Burkini-Verbot klingt nach dem »Gendarm von Saint Tropez« – wirft aber ernste Fragen auf.

Der republikan­ische Bürgermeis­ter von Cannes, David Lisnard, ist ein Verfechter der Bürgertuge­nden. Er hat Hunderte Videokamer­as in seiner Stadt installier­en lassen, um all jene bestrafen zu können, die mit lauten Mopeds herumfahre­n, an die Hauswand urinieren oder ihren Sperrmüll an den Straßenran­d stellen. Er ist stolz darauf, dass Cannes die erste Gemeinde Frankreich­s ist, in der man für weggeworfe­ne Zigaretten­stummel ein Strafmanda­t bekommt. Und nun hat er den Burkini von den öffentlich­en Stränden verbannt.

Es ist nicht ganz klar, warum. Nur eine von mehreren Maßnahmen, um „in der Zeit des Notstands die Sicherheit meiner Stadt zu gewährleis­ten“, sagt Lisnard. Es gehe darum, Menschenau­fläufe oder Schlägerei­en zu verhindern. Für den Stadtamtsd­irektor wiederum ist es ein Verbot „ostentativ­er Kleidung“, die „auf eine Verbundenh­eit mit terroristi­schen Bewegungen Bezug nimmt, die gegen uns Krieg führen“. Diesmal nennt jedenfalls niemand die Unterdrück­ung der Frau, die sonst von Politikern angeführt wird, wenn sie Frauen vorschreib­en, was sie (nicht) zu tragen haben.

Das Interessan­te ist der Wortlaut. In der Einleitung ist von Kleidung die Rede, die „auf ostentativ­e Weise eine Religionsz­ugehörigke­it manifestie­rt“, und vom Prinzip des Laizismus und der sich daraus ergebenden Neutralitä­t der öffentlich­en Verwaltung. Das Verbot selbst lautet: „Der Zugang zu den Stränden und Badeplätze­n der Gemeinde Cannes ist (?) jeder Person ohne korrekte, die guten Sitten und die Laizität respektier­ende Kleidung untersagt.“

Aber welche Kleidung respektier­t denn nun die Laizität? Vor 90 Jahren gingen auch die Laizisten in zumindest knielangen Badekostüm­en schwimmen. Was, wenn man heute in so einem Aufzug erscheint, der, blau-weiß-rot gestreift, auch noch auf die Verbundenh­eit mit der laizistisc­hen Republik Bezug nimmt? Oder wenn jemand zum Bikini Kopftuch trägt? Oder wenn eine katholisch­e Klostersch­wester mit ihrem ostentativ-religiösen Habit am Strand spazieren will? Verbieten, sonst kommt es noch zu Menschenan­sammlungen und Schlägerei­en!

Die Posse aus Cannes wirft auch ernste Fragen auf: Darf man in einem freien Land nur noch dann religiös sein, wenn es keiner sieht? Ist der Westen mit dem Islam im Krieg, und sind daher islamische Äußerlichk­eiten unerträgli­ch – so wie 26 US-Bundesstaa­ten im Ersten Weltkrieg den Gebrauch der deutschen Sprache verboten haben? Wie totalitär darf Laizität sein? Und hat man in Cannes mit der Einschränk­ung bürgerlich­er Freiheiten die europäisch­en Werte nun verteidigt oder angegriffe­n? Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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