Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Unsittlich unnackt. Geht in Cannes gerade der letzte Rest der laizistischen Vernunft baden? Das dortige Burkini-Verbot klingt nach dem »Gendarm von Saint Tropez« – wirft aber ernste Fragen auf.
Der republikanische Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, ist ein Verfechter der Bürgertugenden. Er hat Hunderte Videokameras in seiner Stadt installieren lassen, um all jene bestrafen zu können, die mit lauten Mopeds herumfahren, an die Hauswand urinieren oder ihren Sperrmüll an den Straßenrand stellen. Er ist stolz darauf, dass Cannes die erste Gemeinde Frankreichs ist, in der man für weggeworfene Zigarettenstummel ein Strafmandat bekommt. Und nun hat er den Burkini von den öffentlichen Stränden verbannt.
Es ist nicht ganz klar, warum. Nur eine von mehreren Maßnahmen, um „in der Zeit des Notstands die Sicherheit meiner Stadt zu gewährleisten“, sagt Lisnard. Es gehe darum, Menschenaufläufe oder Schlägereien zu verhindern. Für den Stadtamtsdirektor wiederum ist es ein Verbot „ostentativer Kleidung“, die „auf eine Verbundenheit mit terroristischen Bewegungen Bezug nimmt, die gegen uns Krieg führen“. Diesmal nennt jedenfalls niemand die Unterdrückung der Frau, die sonst von Politikern angeführt wird, wenn sie Frauen vorschreiben, was sie (nicht) zu tragen haben.
Das Interessante ist der Wortlaut. In der Einleitung ist von Kleidung die Rede, die „auf ostentative Weise eine Religionszugehörigkeit manifestiert“, und vom Prinzip des Laizismus und der sich daraus ergebenden Neutralität der öffentlichen Verwaltung. Das Verbot selbst lautet: „Der Zugang zu den Stränden und Badeplätzen der Gemeinde Cannes ist (?) jeder Person ohne korrekte, die guten Sitten und die Laizität respektierende Kleidung untersagt.“
Aber welche Kleidung respektiert denn nun die Laizität? Vor 90 Jahren gingen auch die Laizisten in zumindest knielangen Badekostümen schwimmen. Was, wenn man heute in so einem Aufzug erscheint, der, blau-weiß-rot gestreift, auch noch auf die Verbundenheit mit der laizistischen Republik Bezug nimmt? Oder wenn jemand zum Bikini Kopftuch trägt? Oder wenn eine katholische Klosterschwester mit ihrem ostentativ-religiösen Habit am Strand spazieren will? Verbieten, sonst kommt es noch zu Menschenansammlungen und Schlägereien!
Die Posse aus Cannes wirft auch ernste Fragen auf: Darf man in einem freien Land nur noch dann religiös sein, wenn es keiner sieht? Ist der Westen mit dem Islam im Krieg, und sind daher islamische Äußerlichkeiten unerträglich – so wie 26 US-Bundesstaaten im Ersten Weltkrieg den Gebrauch der deutschen Sprache verboten haben? Wie totalitär darf Laizität sein? Und hat man in Cannes mit der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten die europäischen Werte nun verteidigt oder angegriffen? Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.