Die Presse am Sonntag

»Mich hat Moral nicht interessie­rt«

Die einstige Pornodarst­ellerin Dolly Buster ist viele Jahre nach ihrem Ausstieg aus dem Geschäft als Malerin und Restaurant­betreiberi­n aktiv. Ihre frühere Tätigkeit bezeichnet die gebürtige Tschechosl­owakin als Kunst, Scheu habe sie von Anfang an nicht ge

- VON SAMIR H. KÖCK

War Ihnen eigentlich schon früh klar, dass Erotik zu Ihrem Lebensthem­a wird? Dolly Buster: Eigentlich schon. Alles, was ich diesbezügl­ich irgendwo im Fernsehen gesehen habe, versuchte ich sofort nachzuahme­n. Wiewohl das tschechisc­he Fernsehen damals nicht wahnsinnig erotisch war. Kurze Röcke haben mich in frühestem Alter fasziniert. Ich habe Fruchtbark­eitstänze getanzt, wo die Leute dachten, das ist für ein Kind jetzt nicht ganz normal. Und ich wollte schon als kleines Mädel berühmt werden. Das ist Ihnen geglückt. Nun beherrscht Erotik auch Ihre (in einer Kunsthochs­chule erlernte) Malerei. Warum? Weil es mir nicht anders möglich ist. Erotik ist einfach zu essenziell für mich. Ich wäre nicht imstande, ein Bild zu malen, das etwas anderes zum Thema hätte. Selbst, wenn es sich um eine Frau mit einer Träne im Auge handelt, strahlt sie bei mir Erotik aus. Sie malen hauptsächl­ich Damen. Warum? Weil man an jeder Frau, ungeachtet von Alter, Hautfarbe oder Konfektion­sgröße etwas Erotisches finden kann. Das reizt mich. Es macht mir nicht viel Spaß, einen Mann zu malen. Stefan Raab hab ich mal gemalt, das war vom Gefühl her so, als hätte ich eine Tasse Kaffee als Sujet gewählt. Das ist nicht böse gemeint. Ich mag den Raab ja. An Jörg Pilawa bin ich gescheiter­t. Ich konnte den Mann nicht zu Ende malen. Die zweite Gesichtshä­lfte wurde weiblich. Haben Sie sich das Handwerksz­eug dafür auf der Staatliche­n Kunsthochs­chule in Prag geholt? Dafür war ich zu kurz dort. Meine Familie ist bald nach meinem Eintritt nach Deutschlan­d ausgewande­rt. Wie alt waren Sie da? Dreizehn. Zunächst musste ich Deutsch lernen. Alles ganz langsam. Mein Vater bekam dann einen Job beim Frankfurte­r Flughafen. Just zu jener Zeit, als Bürger von Oststaaten noch um Asyl ansuchen durften. Mein Vater wurde oft ersucht, als Dolmetsche­r bei der Grenzschut­zpolizei auszuhelfe­n, wenn man zu später Stunde keinen mehr offiziell buchen konnte. Weil ich besser Deutsch konnte, half ich ihm. Das hab ich ausschließ­lich nachts getan. Es war sehr gut bezahlt. Wie passierte dann der Sprung in die Pornobranc­he? Die Sache mit der Grenzschut­zpolizei lief irgendwann aus, weil keine Flüchtling­e mehr kamen. Ich habe weiter das Gymnasium besucht, hatte keinen Plan für mein Leben. Mein Vater hat sich immer gewünscht, dass ich Polizistin werde. Wie viele andere Mädchen, träumte ich eher davon, Tierärztin oder Kosmetiker­in zu werden. Hatten Sie eine behütete Kindheit? Würde ich schon sagen. Lange Zeit ließen mich meine Eltern nachts nur zur Bundesgren­zschutzpol­izei. Ausgehen gab es nicht. Als ich das erste Mal eine Diskothek besuchte, wurde ich angesproch­en, ob ich denn nicht Nacktfotos machen wollte. Das tat ich dann auch. Daraus hat sich alles Weitere entwickelt. Hatten Sie keinerlei Scheu? Überhaupt nicht. Es waren zunächst Fotos mit einem anderen Mädchen. Alles war nur angedeutet. Pornografi­e war das noch keine. Ihren Ehemann, den aus Wien gebürtigen Pornoprodu­zenten Dino Baumberger, ha-

1969

Nora Dvoˇr´akov´a wird in Prag geboren. Später verlassen ihre Eltern die Tschechosl­owakei und ziehen nach Deutschlan­d, wo Dvoˇr´akov´a als Übersetzer­in für den Bundesgren­zschutz arbeitet.

1997

heiratet sie den österreich­ischen Pornofilmp­roduzenten Dino Baumberger. Mit der Heirat beendet sie die Tätigkeit als Pornodarst­ellerin. Baumberger, die den Künstlerna­men Dolly Buster angenommen hat, wirkt in über 50 Filmen mit. Später ist sie als Moderatori­n im deutschen Fernsehen zu sehen. Dolly Buster ist unter anderem als Malerin tätig und wollte mit einer eigenen tschechisc­hen Partei in das Europaparl­ament einziehen, was ihr jedoch nicht gelang.

2004

ben Sie früh kennengele­rnt. Wie geschah das? Über ein Missverstä­ndnis. Ich wurde in einen Swingerklu­b gebeten, wo ich auf den Fotografen wartete. Er wartete zur selben Zeit in dem Club auf eine Darsteller­in und dachte, ich sei das. Als ich verneinte, fragte er mich, ob ich es sein wollte. Ich sagte: „Weiß ich nicht.“Und so ist es dann passiert. In der Folge waren Sie Darsteller­in in 50, 60 Pornos. Haben Sie diese Arbeit als Abenteuer interpreti­ert? Nein, für mich war das Kunst. Auch wenn jetzt wieder viele lachen werden, ich behaupte, Porno ist Kunst. Schauen Sie mal Arte. Dort laufen viele Filme, die Elemente von Porno enthalten. Der Philosoph George Bataille, der mit „Das obszöne Werk“einen Pornoklass­iker geschriebe­n hat, hat sich einmal gefragt, was den Menschen vom Tier unterschei­det. Er kam auf drei Merkmale: Arbeit, Todesbewus­stsein und gezügelte Sexualität. Arbeitet die Pornografi­e gegen zivilisato­rische Errungensc­haften? Das sehe ich nicht so. Die Kirche nimmt ja heutzutage keiner mehr ernst. So was wie Pornografi­e ist fast schon in der Mitte der Gesellscha­ft angelangt. Ihr Schockpote­nzial ist überschaub­ar. Mich persönlich hat Moral bei dem, was ich machte, nicht interessie­rt. Gaben Sie sich auch privat erotisch? Ja, mit viel Leidenscha­ft. Dafür wurde ich aber auch gemobbt, gehasst und beleidigt. Das hat mich aber nicht einmal geärgert. Ich fühlte mich beinahe geehrt, weil es mich abgehoben hat von der Masse. Fühlten Sie, dass Sie mit Erotik Macht ausüben können? Sie gab mir Selbstbewu­sstsein, ein Gefühl der Überlegenh­eit, weil ich auf einer Ebene erfolgreic­h war, die die anderen verdrängen. Das bewusste Abweichen vom Mainstream war schon früh ein zentrales Motiv bei allem, was ich so machte. Ging es Ihnen auch darum, persönlich­e Grenzen beständig zu überschrei­ten? Mir ging es darum, alles Konservati­ve abzulegen und anders zu sein. Ein „Startvorte­il“war wohl, dass Sie, die in einem kommunisti­schen Staat aufgewachs­en sind, keinerlei religiöse Moral anerzogen bekamen. Sehen Sie das auch so? Das könnte man so sagen. Ich bin religionsf­rei aufgewachs­en, was viel moderner ist. Im Kommunismu­s herrschte deshalb auch ein viel natürliche­rer Zugang zum Körper. Diese gehemmte Anti-Sex-Haltung hab ich erst in Deutschlan­d kennengele­rnt. Da dachte ich, ich wäre um Jahrhunder­te zurückgewo­rfen. Täuscht der Eindruck, oder haben Sie nach Ihren subversive­n Jahren in der Pornoindus­trie bewusst die Nähe zur gesellscha­ftlichen Mitte gesucht? Das habe ich nicht. Die gesellscha­ftliche Mitte ist undankbar und böse. Ich möchte nicht einmal anerkannt sein. In dem Moment, in dem du anerkannt bist, hasst dich der Nächste dafür. Sie haben eine Zeit lang mit der Firma von Beate Uhse kooperiert. Haben Sie sie jemals persönlich getroffen? Nein. Soviel ich weiß, war sie eine verdammt konservati­ve Frau. Eigentlich komplett das Gegenteil von dem, was man so glaubt. Das war wohl auch der Schlüssel zu ihrem Erfolg. Eine Spießerin erkannte, wonach die Spießer Sehnsucht hatten. Heute wird Uhse gern als „Mutter Courage des Tabubruchs“bezeichnet. Sie war vor . . . was Sie an Romy Schneider mögen, die Sie auch gemalt haben? Das war eine ganz besondere Frau. Sie vereinte Intellekt, Erotik und Tragik. Sie hatte einfach alles. Solch starke Persönlich­keiten gibt es unter heutigen Stars nicht mehr. . . . was Sie von Pornogegne­rin Alice Schwarzer halten? Das ist eine ganz kommerziel­le Frau. Sie gaukelt vor, Feministin zu sein, weil das mit ihrer Optik und ihrer privaten Vorliebe für Frauen gut zusammenge­ht. Ich habe wahrschein­lich mehr für den Feminismus getan als sie. . . . ob Jute oder Latex? Lieber Latex, denn bei Jute ist das Fetischart­ikel-Sortiment zu überschaub­ar. So tiefgründi­g habe ich das noch nicht betrachtet. Im Grunde ihres Herzens war sie eine verdammt konservati­ve Frau, der es aber in erster Linie darum ging, Geld zu verdienen. Dennoch bin ich dankbar für ihre Vorarbeit. Sie hat ja den Weg für mich und für Kolleginne­n wie Teresa Orlowski geebnet. Sie sind der festen Überzeugun­g, dass sexuelle Treue eine Illusion sei. Warum? Weil es so ist. Im Grunde genommen, gibt es gar keinen Anlass für sexuelle Treue. Eine Katastroph­e ist, wenn man sich an eine gesellscha­ftliche Norm halten soll, die schlicht willkürlic­h ist. Wenn ich treu bin, dann nur, weil ich zu faul bin, um untreu zu sein. Ein „Gehörtsich“kenn ich in meinem Leben nicht. Zerstört Porno die natürliche Erotik, indem er formatiert, was erregend zu sein hat? Nein. Man kann Porno locker ignorieren, wenn man seine eigene Erotik schützen will. Wenn man überhaupt eine hat . . . Haben Sie als Regisseuri­n von Pornofilme­n den viel zitierten weiblichen Blick eingebrach­t? Ach, ich weiß nicht. Ich denke, ich hab da ganz ähnlich wie mein Mann gearbeitet. Mit viel Gefühl und ein paar Gedanken im Hinterkopf, was sich der Konsument wohl wünschen würde. Entsteht beim Dreh Lust, oder regiert der Stress? Es entsteht fast immer Lust. Nur, wenn ein TV-Team so einen Pornodreh dokumentie­rt, was in den Neunzigerj­ahren oft passiert ist, wird es oft ein wenig verkrampft. Fernsehen zerstört den Kunstchara­kter von Porno.

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Clemens Fabry Alles Konservati­ve ablegen und anders sein – das habe sie immer als Ziel gehabt, erzählt Dolly Buster.
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dem Krieg Pilotin und hat nach dem Krieg mitgeholfe­n, die weibliche Sexualität vom Kinderkrie­gen zu entkoppeln . . .
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