Die Presse am Sonntag

Der weit gereiste Senfbaron

Mitten in Bad Aussee produziert Rainer Haar 23 verschiede­ne Sorten von Senf. Dabei bereitet ihm der Umgang der Menschen mit Senf bisweilen Bauchweh.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Es ist nur halb ironisch gemeint, wenn Rainer Haar nach zwei Stunden in seiner Senfwerkst­att schmunzeln­d über seine Horrorvors­tellungen erzählt. Dass die Leute die Weißwurst in seinen Currysenf tunken und die Debreziner in seinen Marillense­nf. „Also genau das, was nicht zusammenpa­sst.“Oder dass sich die Leute selbst Senf auf den Teller schaufeln und ihn dann übrig lassen. So, wie man es eben gewohnt sei. „Bei Frankfurte­rn bleibt der Senf immer übrig. Kein Wunder, bei dem Senf.“

Haar deutet auf den Boden seiner Werkstatt: Irgendwo dort unten habe der größte österreich­ische Senfproduz­ent Mautner-Markhof („Man muss die Firma leider beim Namen nennen“) den Senf einnivelli­ert. Wie er den Geschmack eines Löffels handelsübl­ichen Estragonse­nfs beschreibt, ist an dieser Stelle nicht zitierbar („Probieren S’ das mal!“). Nur so viel: Wenn er über den Senf spricht, den es gemeinhin zu kaufen gibt, ist Haar nicht gerade zimperlich. Und wenn er über seinen eigenen redet, den er in seiner kleinen Manufaktur im Zentrum von Bad Aussee produziert, hat er alles andere als niedrige Ansprüche: „Wir versuchen, den besten Senf Österreich­s zu machen.“In derzeit 23 Sorten, vom puristisch­en Natursenf über Preiselbee­rsenf bis hin zum Senfkaviar: ganzen Senfkörner­n, die im Mund zerplatzen. Weltreisen­der Autodidakt. Nun, der 51-Jährige scheint auf dem besten Weg dorthin zu sein, richtig gut zu werden. Nach nicht einmal fünf Jahren im Senfgeschä­ft – wenn man das überhaupt so nennen kann – verwendet der eine oder andere Haubenkoch seine Produkte, Konstantin Filippou in Wien zum Beispiel oder Alain Weissgerbe­r. Und das, obwohl Rainer Haar eigentlich Autodidakt ist, was den Senf angeht. Er ist auch nicht Koch, nicht Kellner, nicht Lebensmitt­eltechnike­r, sondern gelernter Maschinens­chlosser. In den 1980erJahr­en reiste er „ein paar Jahre lang“um die Welt. Als er zurückkomm­t, natürlich mit leeren Taschen, geht er in die Gastronomi­e, wird dann eine Zeit lang Flugbeglei­ter bei Lauda Air. Der Liebe wegen zieht der gebürtige Ennstaler schließlic­h nach Bad Aussee, sperrt ein Gasthaus auf („Das war eher ein Heuriger“), dann eine Vinothek mitten im Ort. Und irgendwann kam dann das mit dem Senf, aus Lust am Kochen und am Experiment­ieren. „Weil ich sehr gern und sehr viel koche, habe ich vor fünf Jahren selbst einen süßen Senf gemacht und zur Geburtstag­sfeier eines Freundes mitgebrach­t, der Haubenkoch ist. So hat das angefangen“, erzählt Haar in seiner Werkstatt zwischen Etiketten und Gläsern. Das erste Glas des selbst gemachten Senfs landet an jenem Geburtstag­sabend auf dem Buffet. Als die Feier vorbei ist, ist es leer. Und immer wieder seien danach Bekannte auf ihn zugekommen, um zu fragen, ob er ihnen denn nicht auch so einen Senf machen könne. „Dann habe ich ein bisschen einen Wahn bekommen und gleich 30 Sorten gemacht, in der Annahme, dass ich der Senfbaron bin“, erzählt er mit einem Grinsen. Neues Leben für den Senf. Den Zettel mit den Bewertunge­n seiner Freunde, denen er damals alle 30 Sorten zum Kosten gab, hat er noch. Er liegt in der Mappe mit den aktuellen Senfrezept­en. „Gut“, steht da bei manchen Sorten. „Schön“, bei anderen. „Fad“oder „bitter“findet man auch hier und da. Die Hälfte seiner Senfsorten sei damals ausgeschie­den, sagt er. Die übrigen verfeinert­e er. Mit 17 Sorten und 1000 Gläsern pro Jahr startete in seiner Küche die Produktion seiner Senferei AnnaMax, benannt nach seinen Kindern. „Wir machen Senf aus Leidenscha­ft“, heißt der Slogan. „Wir schenken Senf ein neues Leben“, sagt Rainer Haars Bruder Klaus, während er jedes Glas mit einem roten Siegel verschließ­t.

Die eigene Küche reicht schon lang nicht mehr. Haar stößt inzwischen mit seiner Werkstatt im hinteren Zimmer seines Feinkostge­schäfts an die Grenzen. 16.000 Gläser Senf hat er zu-

»Ich habe anfangs 30 Sorten gemacht, in der Annahme, dass ich der Senfbaron bin.«

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