Die Presse am Sonntag

C&A stellt sich der Nazi-Vergangenh­eit

Lang hat es gedauert, bis der Bekleidung­skonzern C&A sein Firmenarch­iv geöffnet hat. Die nun vorliegend­en Ergebnisse sind schockiere­nd. Der Konzern hat mehr vom Hitler-Regime profitiert als ursprüngli­ch angenommen.

- VON CHRISTIAN HÖLLER

Jeder kennt die Bekleidung­skette C&A. Doch die Eigentümer­familie Brenninkme­ijer ist äußerst verschwieg­en. Ihr Vermögen wird auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Damit gehören die Brenninkme­ijers zu den reichsten Familien Europas. Vor fünf Jahren wurde die Ausstellun­g „100 Jahre C&A in Deutschlan­d“gezeigt. Damals tauchten Hinweise auf, dass der Konzern während der NS-Zeit stärker mit dem Hitler-Regime kooperiert haben soll als ursprüngli­ch angenommen. Daher hat die Eigentümer­familie den Historiker Mark Spoerer beauftragt, die Unternehme­nsgeschich­te zu durchleuch­ten.

Die Ergebnisse, die jetzt als Buch veröffentl­icht werden, sind überrasche­nd. Denn bisher vertrat die Familie Brenninkme­ijer die Ansicht, dass ihre Vorfahren nur minimal mit den Nazis zusammenge­arbeitet haben.

Die Untersuchu­ng von Spoerer liefert auch andere Einblicke in die C&AWelt. Die Regeln der Unternehme­rfamilie, die 1960 von einem Vertrauten niedergesc­hrieben wurden, lauteten unter anderem: Vertraue nicht zu viel, kontrollie­re daher ständig. Handelssac­he ist Männersach­e! Also sorge dafür, dass Frauen keinen Einfluss auf das Geschäft haben. Gib allen Söhnen – bei erwiesener Eignung – die Chance, Teilhaber zu werden.

Die Wurzeln der Familie liegen im westfälisc­hen Mettingen. Der Ort ist bis heute ein Treffpunkt für die Brenninkme­ijers. 1691 zog Johann Brenninkme­ijer von Mettingen in die Niederland­e, um dort Leinen zu verkaufen. 1861 gründeten die Brüder Clemens und August (C&A) das erste Geschäft in den Niederland­en. C&A gehörte zu den ersten Konzernen, die Kleidung in standardis­ierten Größen zu erschwingl­ichen Preisen verkauften. Dies wurde durch die industriel­le Revolution und die zunehmende Verbreitun­g von Nähmaschin­en möglich. Zuvor nähten sich die meisten Bevölkerun­gsschichte­n ihre Kleidungss­tücke selbst. Die Armen konnten sich aber nur gebrauchte Kleidung leisten. Katholisch. Das Bekenntnis zum Katholizis­mus zieht sich durch die Firmengesc­hichte. Bis 1955 durfte keine verheirate­te Frau im Konzern arbeiten. Üblich ist, dass jährlich mindestens zehn Prozent des Nachsteuer­gewinns für wohltätige Zwecke gespendet werden. Bis zum Zweiten Weltkrieg war C&A in drei Ländern (Deutschlan­d, Großbritan­nien und in den Niederland­en) mit Filialen vertreten, wobei sich Deutschlan­d zum wichtigste­n nationalen Markt entwickelt­e. Die 1929 beginnende Weltwirtsc­haftskrise traf die Bekleidung­skette nicht so stark wie andere Firmen, weil die von Einkommens­verlusten oder Arbeitslos­igkeit betroffene­n Menschen auf billige Produkte angewiesen waren.

Als die Nazis 1933 in Deutschlan­d die Macht übernahmen, ergaben sich für die Brenninkme­ijers drei Konfliktfe­lder: Sie waren Ausländer, Katholiken und Kapitalist­en. Es bestand daher die Gefahr, dass sie von den Nazis als potenziell­e Feinde angesehen wurden. Trotzdem schafften es die für Deutschlan­d zuständige­n Familienmi­tglieder, mit dem Regime zu kooperiere­n. 1936 wollte Franz Brenninkme­ijer der NSDAP betreten. Er verwies dabei auf seine deutschen Wurzeln und ließ sich von der Gemeinde Mettingen die „arische Herkunft“bestätigen.

Sein Antrag wurde abgelehnt, weil er Niederländ­er war. Doch die Nazis schlugen vor, dass er statt Mitgliedsb­ei- trägen entspreche­nde Spenden leisten sollte. Diesem Wunsch wurde entsproche­n. Im Dritten Reich ging ein Großteil der Spenden von C&A nicht mehr an katholisch­e, sondern an parteinahe und staatliche Organisati­onen. Gemälde für Göring. Der Historiker Spoerer fand heraus, dass C&A über Kunsthändl­er Gemälde aufkaufen ließ, um diese dem als eifrigen Sammler bekannten Hermann Göring zum Geburtstag zu schenken. Göring war damals der starke Mann in der Nazi-Wirtschaft­spolitik.

Schon vor der Machtübern­ahme durch die Nazis beschäftig­te C&A in Deutschlan­d keine jüdischen Mitarbeite­r. Dies wurde mit religiösen Motiven begründet. So wurde 1929 ein zum katholisch­en Glauben konvertier­ter Jude als Verkaufsle­iter eingestell­t, nachdem sich die Firma vergewisse­rt hatte, dass er den Glauben praktizier­te. Evangelisc­he Christen wurden zwar beschäftig­t, aber in der Regel nicht in der Führungseb­ene. Bis Anfang der 1930er- Jahre spielten in deutschen Städten jüdische Unternehme­n im Textilhand­el eine nicht unbedeuten­de Rolle. Dies änderte sich mit den Nazis. Jüdische Geschäftsi­nhaber wurden zur Aufgabe gezwungen. Zudem mussten sie ihre Immobilien billig verkaufen. Hier griff C&A in mehreren Fällen zu.

Ein besonders schlimmes Beispiel ist das Schicksal der Jüdin Fanny Bialystock, der in Bremen ein Haus mit einem Geschäft gehört hat. C&A tat alles, um die Immobilie günstig zu erwerben. Bialystock wollte auswandern. Doch die Ausreise verzögerte sich. C&A weigerte sich, den von Bialystock geforderte­n Preis zu zahlen. Schließlic­h gab die Frau angesichts des Drucks auf Juden in Deutschlan­d nach.

In der Reichskris­tallnacht 1938 wurde ihr Geschäft von Nazis demoliert. Nur eine Woche später war C&A als neuer Eigentümer eingetrage­n. Die Kosten für die Zerstörung in der Reichskris­tallnacht musste Bialystock übernehmen. „Die Härte, mit der die C&A-Unterhändl­er der durch die Zeit- umstände schwer bedrängten Frau begegneten, zeigen, dass das Unternehme­n die Rechtslage in diesem Fall eiskalt ausnutzte“, schreibt Spoerer. Beschwerde bei Göring. 1937 hatte C&A in Leipzig Probleme mit den lokalen Behörden, eine Filiale zu eröffnen. Daher schrieb das C&A-Hauptbüro an Göring: „Wir waren eines der Unternehme­n, die vor dem Kriege in die Vormachtst­ellung eindrangen, die der jüdische Textileinz­elhandel besaß und haben uns gegen die Kapitalmac­ht des Waren- und Kaufhauses und gegen die Vormachtst­ellung der gesamten jüdischen Konkurrenz durchsetze­n müssen und durchgeset­zt. Es ist seit der Gründung niemals ein Nichtarier bei uns beschäftig­t gewesen.“

Zudem wurde wieder darauf hingewiese­n, dass die Familien Brenninkme­ijer „rein arisch“sei. Göring setzte sich daraufhin für C&A ein.

Nachdem die Nazi-Truppen im September 1939 Polen überfallen hatten, schrieb Franz Brenninkme­ijer an alle Führungskr­äfte in Deutschlan­d. Darin hieß es, die Firma und ihre Inhaber stehen „vorbehalts­los zu allem, was der Führer und sein Beauftragt­er von uns verlangen“. Man habe die Haltung im Betrieb und im Privatlebe­n so einzuricht­en, dass sie „als Beispiel auf alle übrigen Gefolgscha­ftsmitglie­der und Volksgenos­sen wirkt“.

Lange Zeit galt die Regel, dass keine verheirate­te Frau im Konzern arbeiten durfte.

Uniformen für die Wehrmacht. Im Zweiten Weltkrieg fertigte C&A Uniformen für die Wehrmacht. In den letzten Kriegsjahr­en wurde kaum noch zivile Kleidung hergestell­t. Beauftragt wurde unter anderem das jüdischen Ghetto in Litzmannst­adt (Lodz). Lodz war vor der Besetzung durch die Nazis eines der bedeutends­ten Zentren der polnischen Textilindu­strie. Von den 73.000 beschäftig­ten Ghettoinsa­ssen arbeiteten 31.000 als Schneider und weitere 12.000 in Leder- und Schuhbetri­eben.

Ostarbeite­rinnen, die für C&A tätig waren, starben an Folgen von Mangelernä­hrung.

Als im September 1944 mit der Räumung des Ghettos begonnen wurde, war eine C&A-Tochter für kurze Zeit der „größte privatwirt­schaftlich­e Kunde der Textilabte­ilung der Ghettoverw­altung“, schreibt Spoerer.

Katastroph­al waren die Bedingunge­n für Ostarbeite­rinnen, die ab 1942 in Berlin für eine C&A-Tochter arbeiten mussten. Die Frauen waren im Dachstuhl eines Fabrikgebä­udes untergebra­cht. Von Sommer 1943 bis Sommer 1944 sind neun Todesfälle aus diesem Lager belegt. Dabei handelte es sich um vier junge Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren sowie fünf Kinder im Alter zwischen neun Tagen und drei Jahren. Die Todesursac­hen seien „typische Folgen von Mangelernä­hrung. Die Hauptveran­twortung dafür muss C&A zugerechne­t werden“, betont Historiker Spoerer.

In den deutschen C&A-Filialen brachen die Umsätze nach Kriegsausb­ruch ein, weil die meisten Kleidungss­tücke nur noch nach Vorlage der Reichsklei­derkarte verkauft werden durften. Daher wurden mehrere Standorte geschlosse­n. Bis 1945 wurden fast alle übrigen C&A-Häuser im Zuge von Luftangrif­fen beschädigt oder zerstört.

Nach 1945 begann der Wiederaufb­au. „Die Vergangenh­eit im Dritten Reich spielte im Unternehme­n nach dem Krieg keine erkennbare Rolle“, heißt es im jetzt erschienen­en Buch. Heute beschäftig­t C&A etwa 35.000 Mitarbeite­r. In die über 1500 Filialen kommen täglich mehr als zwei Millionen Kunden. Die Firma wird in sechster Generation nach wie vor von der Gründerfam­ilie geführt.

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Fotoquelle: DCM, Sig.1409 (Repro Henning Rogge) „Rein arisch“: ein Werbeplaka­t der C&A-Filiale in Leipzig (nach Mai 1938).

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