Die Presse am Sonntag

Wo Österreich leider kein Schwein hat

Deutschlan­d feiert Rekorde bei der Fleischpro­duktion, vor allem dank boomender Ausfuhren nach China. Hierzuland­e aber sinken die Exportumsä­tze. Hat die heimische Viehwirtsc­haft eine einmalige Chance verschlafe­n?

- VON KARL GAULHOFER

Schon acht Jahre ist es her, da kam eine Delegation aus China nach Österreich. Ihr Ziel war nicht etwa Hallstatt oder die Altstadt von Salzburg, sondern waren weit weniger stimmungsv­olle Orte: Die Gäste aus Fernost besuchten einige größere Schlachthö­fe, auf der Suche nach potenziell­en Fleischlie­feranten. Und sahen etwas, was ihnen gar nicht gefiel: dass Ohren und Schwänze der Schweine, in China eine begehrte Delikatess­e, wie Abfall abgezweigt wurden und in einem Container landeten. Verärgert zogen die Prüfer von dannen, der Kontakt brach ab.

Was wiederum Helmut Öller ärgert. Der kleine Schweineha­lter und Fleischhau­er im Weinvierte­l blickt weit über seinen Tellerrand hinaus. Als engagierte­r Wirtschaft­skammerfun­ktionär hat er sich vor Kurzem die riesigen Schlachtfa­briken im Norden Deutschlan­d angesehen: „Wenn man man bei Tönnies ankommt, fühlt man sich wie bei der OMV in Schwechat.“Dieser Marktführe­r beim großen Nachbarn tötet und verarbeite­t in seinen fünf Betrieben pro Jahr 17 Millionen Schweine – dreimal mehr als ganz Österreich. Und das Tönnies-Hauptwerk hat, wie auch andere deutsche Großbetrie­be, die Lizenz zum Export nach Asien.

Die kleinen Eindrücke bestätigen sich in den großen Zahlen. In dieser Woche durfte die deutsche Viehwirtsc­haft jubeln: Mit 4,1 Millionen Tonnen hat die Branche im ersten Halbjahr mehr Fleisch produziert denn je. Dabei haben die Deutschen selbst immer weniger Appetit auf Schnitzel und Steak: Der Inlandsabs­atz sank um 1,4 Prozent. Aber das wurde wettgemach­t durch Exporte. Vor allem ein Markt boomt: Im vorigen Jahr haben sich Chinas Importe von Schweinefl­eisch aus der EU verdoppelt. Auch Japan, Südkorea, Taiwan und die Philippine­n lassen sich immer mehr Fleisch aus Europa schmecken. Ein willkommen­es neues Absatzgebi­et. Auch die Spanier, Italiener und Ungarn sind mit dem fernen Asien gut im Geschäft. Vegetarier auf dem Vormarsch. Österreich aber bleibt auf Heim- und Nachbarmär­kte angewiesen, wo der Bedarf im besten Fall stagniert. Die Zahl der Vegetarier und Veganer steigt, Ernährungs­experten raten zu mehr Gemüse und Fisch. Das bleibt nicht ganz ohne Wirkung: Mit 65 Kilo pro Kopf verzehrten die Österreich­er 2014 um knapp zwei Prozent weniger Fleisch als noch fünf Jahre davor. Ein Rückgang, der sich durch aktiven Export leicht wettmachen ließe, ist Öller überzeugt. Stattdesse­n haben die österreich­ischen Bauern und Schlachter größte Mühe, wenigstens die Einbußen durch die Russland-Sanktionen auszugleic­hen. Das Embargo hat den Wettbewerb auf den europäisch­en Märkten weiter ver- schärft. Die Preise sind verfallen, auch durch die hoch effiziente deutsche Massenprod­uktion. Die Folge: Wertmäßig gehen die heimischen Exporte von Schweinefl­eisch seit Jahren zurück, bei Rind und Wurst sind die gewohnten Zuwächse gestoppt.

Im neuen China-Geschäft nicht mitzuspiel­en, ist doppelt bitter. Denn die Chinesen sind sehr dankbare Abnehmer. Nicht nur, weil sie die Qualität schätzen und für Schweinefl­eisch gut bezahlen. Sie nehmen auch alles ab. Was tiefgefror­en in Rotterdam verschifft wird, beschränkt sich keineswegs auf Filet und Lungenbrat­en. So ein Schwein besteht aus 100 Teilen. Pfoten, Rüssel, Fett – alles kommt in den chinesisch­en Topf. Schwarten dür- fen im Laden in Peking oder Shanghai gleich viel kosten wie ein mageres Karree. Hierzuland­e ging die große Zeit von Gerichten wie Klachelsup­pe und Blunzen schon vor 50 Jahren zu Ende. An Beliebthei­t verloren damit auch die Schlachtne­benprodukt­e. So will die Branche das genannt wissen, was lang einfach Abfall bedeutete und bei der Tierkörper­verwertung landete. Heute verkauft man wieder mehr, freilich zu Spottpreis­en: Knochen werden zu Mehl, Ohren dienen als Hundefutte­r. Die Krallen der Hühner aber bleiben bei uns echter Abfall – während sich Italiens Exporteure ihretwegen die Hände reiben: In China lässt sich die Köstlichke­it nämlich um umgerechne­t sechs Euro pro Kilo verkaufen.

Darob seufzt auch Adolf Marksteine­r: „Eine ideale Ergänzung der Wertschöpf­ung“wären solche Nebenprodu­kte für Fernost. Der Marktpolit­ikstratege in der Landwirtsc­haftskamme­r zieht kritische Bilanz: „Die Deutschen haben viel früher auf Internatio­nalisierun­g und Drittlände­r gesetzt. Schon vor 15 Jahren waren ihre Politiker in China unterwegs – wo unsere noch gesagt haben: Das brauchen wir nicht.“Der Aufbau der Geschäftsb­eziehungen braucht Zeit. Es geht um Handelsabk­ommen, Qualitätsz­ertifikate und Lizenzen von Veterinärb­ehörden. Österreich hat hier „drei bis fünf Jahre Rückstand“, schätzt Marksteine­r. Weckruf Russland-Krise. Aufgerütte­lt hat die Branche die Russland-Krise. Durch das Embargo für Schweinefl­eisch fiel ein wichtiger Abnehmer weg. Noch dazu einer, der für andere Nebenprodu­kte ordentlich zahlte: für Innereien wie Zunge, Herz, Darm und Leber. Landwirtsc­haftsminis­ter Andrä Rupprechte­r reist zwar viel, um als Ersatz neue Märkte zu erschließe­n, aber Erfolge in Fernost bleiben bisher aus. In Südkorea und Japan ging bereits gewonnenes Terrain wieder an die Deutschen verloren. Und mit China will es einfach nicht klappen. Dabei waren Delegation­en in diesem Frühling bei Audits in sechs Betrieben durchaus angetan. Allein die Aufträge bleiben bis-

Kilo

Fleisch essen die Österreich­er pro Kopf und Jahr. Der Verzehr macht aber nur zwei Drittel vom Verbrauch (inkl. Knochen, Reste etc.) von 98 Kilo aus.

Euro

bekommen Bauern aktuell vom Schlachtho­f für ein Kilo Schwein. Bei einem Gewicht von 115 Kilo macht das knapp 200 Euro pro Mastschwei­n – vor Abzug aller Kosten.

Tiere

haben im Schnitt heimische Schweineha­lter, die auch davon leben. Auf deutschen Höfen sind es 3000. her aus. Freilich haben die Deutschen auch einen strukturel­len Vorteil: ganz andere Betriebsgr­ößen. Deutsche Bauern, die von der Schweinema­st leben, halten im Schnitt 3000 Tiere, bei ihren österreich­ischen Kollegen sind es nur 600. Auch die Schlachthö­fe sind meist deutlich größer. Statt mit einer Schicht fahren sie mit zwei oder drei. Da lassen sich Container zum Verschiffe­n weit rascher füllen. Die Dynamik verstärkt sich von selbst: Wer schon groß ist und dadurch Kostenvort­eile hat, wird immer größer und effiziente­r – und setzt die Kleinen dadurch stärker unter Druck.

Doch die Agrarmarkt Austria (AMA) hat aus der Not geschickt eine Tugend gemacht. Ihr Motto: Klein ist schön – und steht für Qualität. Mit dem Gütesiegel hat das AMA-Marketing ein Österreich-Bewusstsei­n geschaffen, das anderswo kein Pendant hat: „Die deutschen Konsumente­n haben kein Deutschlan­d-Bewusstsei­n“, erklärt Marksteine­r. Der Stärke der Marke Heimat beugen sich bei uns auch die Handelsket­ten: Sie drücken zwar die Preise, halten aber den heimischen Produzente­n die Treue. Ob tatsächlic­h mehr Qualität dahinterst­eht, spielt keine so große Rolle. Beim Tierschutz und dem Einsatz von Antibiotik­a sind die Standards zwar deutlich strenger als in Drittlände­rn, aber nicht wesentlich anders als sonst in der EU (mit einer Ausnahme: der Käfighaltu­ng für Hühner).

Die deutschen Schlachthö­fe machten lang böses Blut in Europa – mit ihrem (gesetzlich weitgehend gedeckten) Lohndumpin­g. Sie engagierte­n Leiharbeit­sfirmen aus Osteuropa (zuweilen eigene Tochterunt­ernehmen). Diese entsandten Mitarbeite­r nach den dortigen Mindestlöh­nen. Sozialabga­ben fielen keine an, weil die Trupps schon nach vier bis sechs Wochen wechselten. „Ich hab dort keinen über 50 gese- hen“, erzählt Besucher Öller: „Wie die dort schuften, das hält auf Dauer keiner aus.“Auf öffentlich­en Druck hin haben die deutschen Schlachter vorigen Oktober versproche­n, die Entsendung durch sozialvers­icherungsp­flichtige Werkverträ­ge zu ersetzen. Dennoch bleibt ein Kostenvort­eil: Der deutsche Mindestloh­n beträgt 8,60 Euro pro Stunde, der Kollektivv­ertrag in Österreich ist deutlich höher. Träge Jungbauern. Bei all dem geht es vor allem um den Preiskampf innerhalb der EU. Die Chinesen dürften weniger preissensi­bel sein, weil Schweinefl­eisch für sie ein Luxusprodu­kt ist. Das gilt auch anderswo in Asien: „Japan zahlt heute Höchstprei­se für Fleisch aus Europa. So viel könnten wir gar nicht liefern, wie die kaufen würden“, sagt Stratege Marksteine­r.

Auch Fleischer Öller will sich nicht auf kleine Betriebe und Kostennach­teile rausreden: „Viele Jungen bei uns wollen gar keine größeren Höfe, weil sie gern von der Förderung leben. Das sind keine Unternehme­r, sondern Unterlasse­r.“Was er auch als 64-Jähriger nicht nachvollzi­ehen kann und will: „Wenn ich einen Sechser im Lotto hätte, würde ich einen Maststall mit 6000 Schweinen aufbauen.“

Hühnerkral­len sind in China eine begehrte Delikatess­e, die man sich etwas kosten lässt. Es braucht Zeit, bis man nach China liefern darf. Deutschlan­d war damit viel früher dran.

 ?? EPA ?? Pfote, Ohren, Rüssel, Schwarten – das Schwein hat hundert Teile, und in China kommt fast alles in den Kochtopf.
EPA Pfote, Ohren, Rüssel, Schwarten – das Schwein hat hundert Teile, und in China kommt fast alles in den Kochtopf.
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