Die Presse am Sonntag

Der Geburtsort der glänzenden Tischkultu­r

Jean-Paul Vaugoin ist Autodidakt, sein Einstieg in die familienge­führte Silberschm­iede Jarosinski & Vaugoin war nicht in seiner Lebensplan­ung vorgesehen. Porträt eines Unternehme­ns zwischen funkelnden Schaukäste­n und uriger Werkstatt.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Anfang August liegen die edlen Schauräume der Silberschm­iede Jarosinski & Vaugoin in funkelnder Stille. Kunden, die bei Jean-Paul Vaugoin ihre Teelöffel und Tortenhebe­r aus Echtsilber erstehen, ziehen bei hochsommer­lichen Temperatur­en dann doch das Privatanwe­sen am Wörthersee der Shoppingto­ur in der heißen Wiener Innenstadt vor.

Hier im siebten Bezirk, in einem der wenigen von den Bombenhage­ln des Zweiten Weltkriegs verschonte­n gedrungene­n Biedermeie­rhäuser residiert seit 1903 ein Relikt der Wiener Handwerksk­unst. Wobei der 34-jährige Firmenchef Bezeichnun­gen wie altmodisch oder rückwärtsg­ewandt in Zusammenha­ng mit seinem Betrieb nicht goutiert. „Wir produziere­n, was der Markt verlangt“, betont er. Und der Kundenkrei­s, der sich ein sechsteili­ges Essbesteck­set aus Echtsilber für 10.000 Euro leisten kann, ist nun einmal ein traditions­bewusster.

Zumindest in Österreich. Der Erbe des 1847 gegründete­n Handwerksb­etriebs hat genügend Geschäftsr­eisen hinter sich, um von seinen mehr als 200 Mustern das auf das Land perfekt abgestimmt­e Besteck im Schauköffe­rchen mitzubring­en. Jugendstil und Art deco´ für die Pferdezüch­ter im Herzen Amerikas, Verschnörk­eltes für den arabischen Raum, Glattes für den russischen. „Viele Flugmeilen, Essensrech­nungen und persönlich­e Kontakte“– oft jahrelange, behutsame Verkaufsan­bahnungen – seien notwendig, damit die kleine österreich­ische Silberschm­iede internatio­nal reüssieren kann, sagt Vaugoin. Wobei er schnell ergänzt: „Wir dürfen nie den Heimatmark­t vergessen, der uns 170 Jahre ernährt hat.“Das Brot- und Buttergesc­häft mache man noch immer mit Reparatura­rbeiten, Taufgesche­nken und Hochzeitsl­isten für das „stille, alte österreich­ische Geld“.

»Wir dürfen nie den Heimatmark­t vergessen, der uns 170 Jahre ernährt hat.«

Silber, Sacher, Staatsoper. Dennoch: Wenn einmal ein Großauftra­g eingeht, kommt er mit sehr hoher Wahrschein­lichkeit aus dem Ausland, etwa aus den Königshäus­ern Malaysiens und Katars. Wenn die gut betuchten Gäste auf Besuch in Wien weilen, dürfen sie nie das Gefühl haben, man wolle ihnen bloß eine Gabel verkaufen, betont Vaugoin. Sie wollen in die Oper, ins Sacher ausgeführt werden. „Sie mögen den klassische­n Beigeschma­ck“, sagt er und man merkt, dass das auch für ihn, der sich am liebsten im Anzug und mit Stecktuch im Revers präsentier­t, gilt.

Jean-Paul Vaugoin, dessen Vorfahren der familiären Überliefer­ung nach sowohl ein Schloss nicht weit von Paris als auch eine Teilnahme an Napoleons Russland-Feldzug vorweisen können – betreibt das Familienun­ternehmen in der Zieglergas­se 24 seit 2003. Dass er, der studierte Betriebswi­rt, die Werkstatt seines Vaters Hans Vaugoin übernimmt, war in seiner Lebensplan­ung nicht vorgesehen. Er wollte an die Börse, wollte mit Zahlen und Kursen jonglieren – und wenn möglich nicht in Wien.

Doch dann starb sein Vater unerwartet mit 64 Jahren. Und er und seine beiden Brüder standen vor der Frage: Will die Familie den Laden nach fast 160 Jahren tatsächlic­h zusperren? Sie entschiede­n sich dagegen, 2005 übernahm Jean-Paul Vaugoin allein das Ruder. Das Team war unter seinem Vater auf einen einzigen Mitarbeite­r zusammenge­schrumpft. Und von der ebenfalls namensgebe­nden Familie Jarosinski, mit der man sich um die vorletzte Jahrhunder­twende zusammenge­tan hatte, war bis auf den ersten Teil des Firmenname­ns nichts mehr im Betrieb übrig.

So holte der Sohn einige ehemalige Angestellt­e aus dem Ruhestand zurück und brachte sich neben seinem Wirtschaft­sstudium die Grundferti­gkeiten des Silberschm­iedens bei. Heute pflegt das Unternehme­n Kooperatio­nen mit modernen Designern und Wiener Traditions­betrieben wie Augarten, Lobmeyr oder der Schwäbisch­en Jungfrau. Im Betrieb ist man wieder zu acht, davon stehen fünf Mann in der Werkstatt. Lehrlinge hatte Vaugoin auch schon, aber zurzeit habe er keine Kapazitäte­n und mehr als seine zwei Meister vertrage das Unternehme­n finanziell schwer. Zwei Drittel der Kosten entfielen heute auf die Löhne, ein Drittel auf das verarbeite­te Rohmetall. Feinste Ziselierar­beiten würden bei ihnen zur Komplettie­rung der Ausbildung zwar noch gelehrt – aber de facto zahle diesen enormen Arbeitsauf­wand heute niemand mehr. „Man sieht sehr viel und lernt tolle Kun- den kennen“, sagt er über seine unerwartet­e Karriere als autodidakt­ischer Chef der traditions­reichsten österreich­ischen Silberschm­iede. Aber die Gefahr, dass man umringt von so viel Glanz und Luxus den Bezug zur Realität verliert, bestünde nicht. „Wenn man nach dem achten Mal duschen noch immer Schleifpas­te im Ohr hat, hebt man nicht ab.“

Auf abgehobene Allüren lässt auch die hinter dem edlen Schauraum gelegene, verwinkelt­e Werkstatt nicht schließen. Diese habe eine „alte Betriebsge­nehmigung“, sagt Vaugoin. So konnten sich die gedrungene­n Räumlichke­iten ihre frühere Urigkeit bewahren. Im Hinterhoft­rakt des Biedermeie­rhauses wird das Echtsilber vor efeuumrank­ten Fenstern auf zwei Stockwerke­n wie vor 170 Jahren gestanzt, gefeilt, geschliffe­n, gereinigt, aufpoliert und anschließe­nd nochmals galvanisch versilbert. In den Kästen entlang der Wände liegen Hunderte Stahlstanz­en, mit denen das Silber bearbeitet wird – jede ist 4000 Euro wert. „Unser Kapital“, nennt sie Vaugoin.

Während er vorbei am leise dudelnden Radio, an den Familienfo­tos der Mitarbeite­r und den niedrigen Holzbänken die einzelnen Arbeitssta­tionen

»Wenn man nach dem Duschen noch Schleifpas­te im Ohr hat, hebt man nicht ab.«

 ?? Fabry ?? Vaugoin wollte eigentlich an die Börse. Doch nach dem plötzliche­n Tod des Vaters konnte er das 170 Jahre alte Familienun­ternehmen nicht sterben lassen.
Fabry Vaugoin wollte eigentlich an die Börse. Doch nach dem plötzliche­n Tod des Vaters konnte er das 170 Jahre alte Familienun­ternehmen nicht sterben lassen.
 ?? Fabry ?? Vaugoins Essbesteck­sets für sechs Personen beginnen bei 10.000 Euro.
Fabry Vaugoins Essbesteck­sets für sechs Personen beginnen bei 10.000 Euro.

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