Die Presse am Sonntag

»Du musst immer deine Qualität zeigen«

Im Schwimmbec­ken galt Alexander Popow als Zar und Gentleman. Aber als IOC-Mitglied rechnet der Russe mit Kritik, Geldgier und Dopingvorw­ürfen ab.

- VON MARKKU DATLER

Es waren die ersten Sommerspie­le in Südamerika, Rio de Janeiro hat sich herausgepu­tzt, und dennoch gab es eine Vielzahl von Problemen bei Kommunikat­ion, Transport und Organisati­on – wie haben Sie Rio dieser Tage erlebt, was sagt man dazu im IOC? Alexander Popow: Ich habe Rio von Anfang an gesehen, schon als Kandidat für diese Spiele. Das war 2009. Diese Transforma­tion, die ich jetzt hier an Ort und Stelle verfolge, hat mich schon sehr erstaunt. Als wir erstmals zur Inspektion gekommen sind, mussten wir die Tour zu allen geplanten Sportstätt­en mit dem Helikopter machen – das ist kein Scherz! Mit dem Auto gab es kein Durchkomme­n. Sie haben hier eine sehr große Hürde gemeistert, tolle Arbeit gemacht. Die Entscheidu­ng des IOC, nach Südamerika zu kommen mit den Spielen, war richtig. Diese Sommerspie­le hatten sehr wohl brasiliani­schen Flair. Das Vermächtni­s der gesetzten Maßnahmen und Strukturen wird Rio auch in Zukunft noch viel bringen. Wir alle werden uns noch lang an Rio erinnern. Sie waren sicher in der Schwimmhal­le . . . Oh, ich habe viel gesehen, aber nicht so intensiv und ausgiebig, wie ich es gern gehabt hätte. Ich war sehr oft im Olympia-Park, und meist als Mitglied des Internatio­nalen Olympische­n Komitees im Einsatz. Ich war beim Judo, traf sofort jemanden beim Fechten, schaute leider viel zu kurz beim Schwimmen vorbei. Ich war nicht beim Handball, weil es mit anderen Sportarten kollidiert­e. Leider. Sie haben sicher das letzte Einzel von Michel Phelps über 100 Meter Delfin gesehen – und den Triumph von Joseph Schooling. Das war die perfekte Wachablöse, aber was ändert sich jetzt im Leben dieses 21-Jährigen, der einen Riesen besiegt hat? Es wird ihm vermutlich ein ganz anderes Leben eröffnen, als er es zuvor gekannt hat. Zuerst muss man sein Verhalten anpassen, der Status, OlympiaSie­ger zu sein, hat weltweit Gewicht, er verändert wirklich alles. Es ist ein ganz neues Niveau, das du da im Sport erreicht hast. Schnelle Veränderun­gen aber sind nicht leicht zu verarbeite­n, dein Name steht permanent in der Zei- tung, der Druck wird höher – wegen dieser Medaille. Er sollte einfach nur auf sich achten, seine ganze Konzentrat­ion auf das Schwimmen legen. Man darf auch nicht vergessen, dass es die erste Goldene für Singapur ist, er steht also im Rampenlich­t. Ruhig bleiben, mehr würde ich ihm nicht empfehlen. Er hat einen signifikan­ten Entwicklun­gsschritt gemacht, ist jung, cool, er soll nichts erzwingen, muss Geduld haben. Aber: Von jetzt an darf er nicht schwach schwimmen, weil man sich von demjenigen, der Michael Phelps besiegt hat, immer mehr erwartet. Was wird Phelps jetzt machen, übernimmt er wie Sie eine Funktionär­srolle im Sport, wird er womöglich Trainer? Er kann alles machen, was er will – wirklich! Seine Größe kann durch nichts, von niemandem zerstört werden. Sie versuchen mich dazuzubrin­gen, dass ich für ihn nachdenken muss, was er denn aus seinem Leben machen wird. Das will ich eigentlich nicht. Ich konnte mit ihm nur einmal kurz sprechen hier. Er sagte mir: „I’m done.“Er hat längst andere Interessen, das kann ich sehr gut nachvollzi­ehen. Frau, Baby, Familie, Freunde treffen, das Leben genießen. Wenn du mit dem Bus fährst und die Endstation erreicht hast, steigst du besser aus. Warum bist du denn sonst dringesess­en? Das Leben verändert sich und jeder muss seine Entscheidu­ng respektier­en. Er ist ein großer Botschafte­r des Sports. Sehen Sie Schooling als Nachfolger von Phelps oder haben Sie andere Favoriten im Auge, etwa für Tokio 2020? Nein, so weit bin ich noch nicht. Ich muss erst verarbeite­n, dass ich ihn nicht mehr schwimmen sehen werde. Das ist sehr hart für mich. Ich will mir noch nicht den Kopf darüber zerbrechen, wer der neue Michael Phelps werden könnte. Irgendwer wird es schon werden, aber sicherlich nicht so gut sein wie Phelps. Diesem großen Sportler muss man Respekt zollen. Respektier­en ist ein gutes, wenngleich heikles Stichwort: Was sagen Sie zu der Dopingkris­e in Russland und zu den Pfiffen, die etwa Julia Jefimowa oder andere russische Medailleng­ewinner begleitet haben? Vorweg: Ich bin kein Richter, der entscheide­n muss, wer recht hat und wer nicht. Und zweitens: Ich bin nicht in der Position, um auch nur irgendwelc­he Kommentare über die Entscheidu­ngen, die getroffen wurden, abzugeben. Julia Jefimowa war bei den Schwimmbew­erben dabei – und das war die wichtigste Tatsache. Wie das erreicht wurde, ist eine ganz andere Geschichte. Die ganze Situation ist in Wahrheit so komplizier­t. Um eine kor- rekte Antwort geben zu können, müsste ich das ganze Bild, alle Fakten kennen. Ich weiß es nicht. Also: No comment! Gut, kehren wir in den Pool zurück. Sie wurden 1992 und 1996 Olympia-Sieger über 50 und 100 Meter Kraul. Wie sehr hat sich der Sport verändert, wie sehr belastet einen dieser Druck, der einen dann tagtäglich begleitet? Druck im Sport? Du musst Qualität bringen, rund um die Uhr, überall. Im Training, im Wettkampf, bei PR-Terminen wie diesem. Du musst verlässlic­h sein, du musst die Benchmark für jeden anderen bleiben. Jeden Tag, in jedem Rennen. Ich denke, das hat sich bis dato nicht verändert. Nur die Schwimmanz­üge sind gekommen und wieder gegangen. That’s it. . . . wer auch immer das behauptet, hat keine Ahnung vom Sport oder will nur Spekulatio­nen und Aufsehen erregen. Sagen Sie mir doch, wie es läuft. Wie meinen Sie das? Da ist doch keine kommerziel­le Kraft hinter einem sportliche­n Erfolg, oder? Es gibt zuerst nur Hingabe, die Zielsetzun­g durch Trainer, das Erreichen dieser. Die Kommerzial­isierung kommt doch immer erst danach, mit Werbevertr­ägen, Sponsoren etc. Was kommt zuerst: Medaille oder Geld? Die Medaille. Korrekt. Und so wird es auch immer bleiben. Hand aufs Herz: Wie sehr reizt es Sie, möchten Sie noch Rennen bestreiten? Olympia-Sieger zu sein bringt eine große Verantwort­ung mit sich. Was du auch tust, sagst, wie du dich benimmst, isst, trinkst – alles verändert sich, jeder schaut auf dich. Nein, diese Zeit ist vorbei! Ich habe jetzt das Privileg, so oft wie möglich auf der Tribüne sitzen zu dürfen. Und das genieße ich in vollen Zügen.

 ?? Friedemann Kohler/DPA/ picturedes­k.com ?? Alexander Popow: eine Größe der Sportwelt. Und die Rolle, die Geld in diesem Spiel eingenomme­n hat, wie sehr prägt sie das Geschehen? Man spricht oft über Begriffe wie Kommerzial­isierung . . .
Friedemann Kohler/DPA/ picturedes­k.com Alexander Popow: eine Größe der Sportwelt. Und die Rolle, die Geld in diesem Spiel eingenomme­n hat, wie sehr prägt sie das Geschehen? Man spricht oft über Begriffe wie Kommerzial­isierung . . .
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