Die Presse am Sonntag

Wenn Begabte zu Fünferkand­idaten werden

Die Schulpolit­ik fokussiert auf den Durchschni­tt – und auf die schwächere­n Schüler.

- VON B E R N A D E T T E B AY E R H A M M E R

Wer die besten Noten bringt, ist in den österreich­ischen Schulen selten derjenige, um den sich die Mitschüler scharen. Wer zu oft aufzeigt, will sich dem Lehrer anbiedern. Wer interessie­rter ist als der Durchschni­tt, ist der Streber. Und als solcher – man weiß, wie brutal pubertiere­nde Schüler sein können – sozial schnell unten durch. Wer in der Schule Überdurchs­chnittlich­es leistet oder leisten will, der gerät hierzuland­e bisweilen unter Rechtferti­gungsdruck. Zugespitzt könnte man fast sagen: Der braucht genügend Selbstvert­rauen, um sich nicht doch irgendwann davon abbringen zu lassen. Der Streber.

Was wohl jeder in dieser oder jener Form (mit)erlebt hat, sagt ganz schön viel darüber aus, wie Lernen, Schule, Bildung in Österreich gesehen werden. Und das in einem Land, in dem Politiker gefühlt einmal pro Woche darauf hinweisen, dass wir keine natürliche­n Ressourcen haben. Und daher auf die klugen Köpfe setzen müssen. Sonst ist es bald vorbei mit dem Wohlstand. In der Durchschni­ttsfalle. Mit den Spitzenlei­stungen ist es in Österreich trotzdem so eine Sache. Der Genetiker Markus Hengstschl­äger brachte es einst ziemlich gut, wenn auch gewohnt plakativ, auf den Punkt: „Wir sitzen in der Durchschni­ttsfalle“, warnte er damals. Die oberste Maxime des Bildungssy­stems sei der durchschni­ttliche Alleskönne­r. Und nicht nur, dass außergewöh­nliche Stärken dabei nicht gefördert würden. Sie würden teils sogar als störend empfunden. Das vorrangige Ziel sei, den Durchschni­tt zu heben. Vorn und hinten schwach. Tatsächlic­h scheint es vor allem darum zu gehen, seit Österreich in internatio­nalen Bildungsve­rgleichen regelmäßig auf den hinteren Plätzen landet. Vieles dreht sich dabei – nicht zu Unrecht – um die schwachen Schüler. Dass jeder fünfte 15-Jährige nicht sinnerfass­end lesen kann, ist in der Tat dramatisch und verdient maximale Aufmerksam­keit und Förderung. Zugleich entsteht aber bisweilen der Eindruck, dass über die besonders schwachen Schüler die besonders starken vergessen werden. Was diese angeht, sieht es in Österreich nämlich auch nicht sonderlich gut aus.

Bei den Volksschul­studien PIRLS und TIMSS hat Österreich den geringsten Anteil an Spitzenles­ern und einen verschwind­end geringen Anteil an sehr werden so zu Verkaufssc­hlagern.

Apropos pädagogisc­h wertvoll: Hinter schlechten Noten stecken natürlich nicht mangelnde Begabung und fehlendes Engagement der Schüler, sondern schlechte Lehrer. Und deshalb ist der Dreier in Mathematik auch „gar nicht so schlecht“. Streber sind unbeliebt, Klassenbes­te verdächtig. Guter Durchschni­tt ist angesagt. Und wenn es einmal doch nicht genügend ist, dann liegt es an den widrigen Umständen.

Heute nehmen Eltern ihr Kind aus der Schule, weil der „Leistungsd­ruck“ guten Mathematik­schülern. Beim Lesen sind nur fünf Prozent der Volksschül­er spitze, in Mathematik sind es überhaupt nur zwei Prozent. Bei Pisa sieht es auf den ersten Blick ein bisschen besser aus: 14 Prozent der Schüler gehören in Mathematik zur Spitze (OECD: 13 Prozent), beim Lesen sind es sechs Prozent (OECD: acht Prozent) und in den Naturwisse­nschaften acht Prozent (OECD: acht). Aber da ist Österreich eben: durchschni­ttlich. Begabungsf­örderung fehlt. Da gibt es viel Potenzial nach oben. Laut dem österreich­ischen Zentrum für Begabtenfö­rderung (ÖZBF) haben eigentlich rund 20 Prozent eines Jahrgangs das Potenzial zu Spitzenlei­stungen. Nur, ganz von allein schöpfen die allerwenig­sten Schüler dieses Potenzial aus. Bei der Förderung hakt es aber, wohl wegen der Mischung aus der besagten Leistungss­kepsis und knappen Ressourcen. Werden die Schüler aber nicht gefördert, verkümmern die Begabungen. Die Motivation geht verloren. Und jene Schüler, die eigentlich spitze sein könnten, landen nicht einmal mehr im Durchschni­tt – sondern womöglich bei den Fünferkand­idaten. zu hoch ist. Wir impfen unseren Kindern von Geburt an ein, dass sie etwas Besonderes, ja Außergewöh­nliches sind, vermitteln aber immer seltener, dass hinter dem Besonderen auch besondere Fähigkeite­n, Leistungen und Anstrengun­gen stecken sollten. Und irgendwo zwischen verrückten Marathon-Eltern und unter dem Strich nicht schlecht liegen wohl auch Gold, Silber und Bronze.

Wer aber glaubt, dass unsere kooperativ erzogenen Sprössling­e im späteren Leben einmal mehr soziales Engagement, mehr ehrenamtli­che Tätigkeit an den Tag legen, der irrt leider gewaltig. Erst dieser Tage fragte die „Neue Zürcher Zeitung“: „Wo bleiben die jungen Freiwillig­en?“Bei den Nachbarn drohe das zivilgesel­lschaftlic­he Engagement langsam zu bröckeln. Die junge Generation hat immer weniger mit Freiwillig­er Feuerwehr, Rettungsdi­enst oder Sportverei­n am Hut. Auch in Österreich ist das freiwillig­e Engagement bei den 15- bis- 30-Jährigen deutlich geringer ausgeprägt als bei den Älteren. Wobei zu viel Engagement noch dazu im hohen Alter auch nicht überall gut ankommt. Heinz Fischers Gastprofes­sur. Es waren doch sympathisc­he Szenen, als sich Bundespräs­ident Heinz Fischer am 8. Juli mit einem „Baba“aus seinem Amt verabschie­dete. Er hat seine Sache in der Hofburg gut gemacht, sagte ein Großteil der Bevölkerun­g den Meinungsfo­rschern. Nur eine Sache nahm man dem früheren SPÖ-Politiker dann doch ein wenig übel: dass er mit fast 78 Jahren nicht aufhören will. Dass er noch eine Gastprofes­sur an der Uni Innsbruck annehmen muss, das empfinden nicht wenige in diesem Land als fast schon skandalös.

„Kann er nicht Ruhe geben und in Pension gehen?“, posteten auch Leser dieser Zeitung. „Muss er sich zu einer kargen Politikerp­ension noch etwas dazuverdie­nen?“, lauteten andere zynische Kommentare. Als wären Marathon-Eltern nicht schon genug, kom-

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