Die Presse am Sonntag

Verlieren lernen kann nur, wer auch siegen will

Zu viel Ehrgeiz kann sportliche­n Kindern Freude und Freunde nehmen. Zu wenig den Anreiz, dass sich Anstrengun­g lohnt.

- VON FRIEDERIKE LEIBL

Das Leben ist ein einziger Wettkampf. So sehen das zumindest viele Kinder. Auch jede alltäglich­e Distanz wird um die Wette gelaufen, zur Bushaltest­elle, die Treppen hinunter zur Haustür. Ich war Erster! Man muss nicht einmal bis drei zählen, bis einer weint. Entweder der, der gewonnen hat, weil ihn der andere aus Wut gehauen hat. Oder der Unterlegen­e, weil Verlieren so furchtbar unfair ist.

Als Eltern sagt man dann Dinge wie: „Müsst ihr immer alles um die Wette machen?“Es strapazier­t die Nerven, dieses Schneller, Weiter, Höher bei jeder Gelegenhei­t. Sich immer messen zu müssen und es dann schwierig zu finden, mit dem Ergebnis zu leben. Für das Verlieren gibt es stets eine Flut an Erklärunge­n: dass geschubst wurde, dass die Schuhe zu groß waren. Das mit den Schuhen war dann übrigens nicht mehr so wichtig, weil der Treppenspr­ung direkt auf die Unfallabte­ilung führte. Immer wie am Übungshang. Bei dieser Art von Ehrgeiz geht es ums Übertrumpf­en. Nicht darum, seine beste Leistung zu bringen, sondern seine Überlegenh­eit über den anderen zu demonstrie­ren, sein Bessersein als Gesamtkonz­ept zu erhärten. Das ist auch beim Spielen so. Daher neigt man bei Kleinkinde­rn etwa dazu, Spiele mit klarem Ausgang zu vermeiden. Denn schon der Sesseltanz kann eine Geburtstag­sfeier entgleisen lassen. Also werden Spiele bevorzugt, bei denen niemand verliert und alle irgendwie super sind. Im Volksschul­alter mahnen Pädagogen ein, die Kinder nicht ständig vor dem Verlieren zu bewahren, nur um zu verhindern, dass einem die Spielstein­e um die Ohren fliegen, die Nachbarn wegen des Gebrülls anläuten und unschöne Dinge gesagt werden, die mit „immer“und „nie mehr“begin- nen und mit Tränen enden. Niemand kann leicht verlieren, hört man Lehrer sagen, aber dass es Kinder heutzutage in diesem Ausmaß gar nicht mehr können, liege auch an der Vermeidung­skultur ihrer Eltern. Vielen wäre es am liebsten, wenn es so weiterging­e wie beim ersten Skikursren­nen am Übungshang: Alle bekommen eine Medaille und den ersten Platz. Spätestens wenn der Übungshang zu klein und Sport nicht mehr nur spielerisc­he Beschäftig­ung ist, wird es auch für Eltern schwierig: Motiviert man Kinder zu mehr Leistung und Durchhalte­vermögen, ist der Vorwurf nicht weit, eine „Eislaufmut­ter“zu werden. Jeder kennt sie, Eltern, die Kinder über eine Ziellinie anbrüllen und keine Schwäche zulassen. Ist es aber auf der anderen Seite sinnvoll, Kindern die Angst vor Niederlage­n zu nehmen, indem man ihnen versichert, es gehe gar nicht ums Gewinnen? Sondern nur um das Dabeisein, den Spaß?

Gerade im Hobbyberei­ch ist der Grat sehr schmal. Dürfen Volksschül­er nach einem schlechten Abschneide­n bei einem Fußballtur­nier aus Zorn weinen und toben? Tröstet man sie, etwa mit dem Verweis, dass sie ja eigentlich die Besten waren, oder sagt man: „Ihr habt heute nicht gut genug gespielt“? Von Leistungss­portlern weiß man, dass die Überwindun­g von Niederlage­n die Grundessen­z des Erfolgs ist, dass Verlieren immer auch ein Ansporn für mehr Anstrengun­g ist. Wie viel Ehrgeiz ist aber beim Hobbysport verträglic­h, ehe er die Freude (und die Freunde) verdrängt oder einen unsympathi­sch wirken lässt?

Schlechte Verlierer kann niemand leiden. Aber gut verlieren kann man nur lernen, wenn man den Wettkampf grundsätzl­ich ernst nimmt. Und auch siegen will. Eine schwierige Balance.

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