Tickende Umweltzeitbombe unter
Vor 50 JŻhren gŻã ©ie US-Armee CŻmp Century in GrönlŻn©s Westen Żuf. Der KlimŻwŻn©el mŻcht nun ©ie Hoffnung zunichte, Giftmüll un© verstrŻhltes KühlwŻsser ãlieãen Żuf ewig unter Eis konserviert.
Der halbstündige Film, den die US-Armee im Jahr 1964 veröffentlichte, lässt an den Beginn von „Das Imperium schlägt zurück“aus der „Krieg der Sterne“-Trilogie denken. Gigantische Kettenfahrzeuge schieben sich durch endlos scheinende Eiswüsten, enorme Maschinen fräsen metertiefe Laufgräben in den polaren Schnee, während eine futuristisch anmutende Kleinstadt unter dem Eis Form annimmt.
Doch das sind keine Szenen aus einem Science-Fiction-Film. Der Propagandafilm, den man auf YouTube ansehen kann, zeigt vielmehr den Bau eines militärischen Forschungsprojekts zum Höhepunkt des Kalten Kriegs. Camp Century, ein Stützpunkt der amerikanischen Streitkräfte im Westen Grönlands, rund 1300 Kilometer südlich des Nordpols und auf einem knapp zwei Kilometer hohen Plateau gelegen, sollte bis zu 200 Mann dauerhaft beherbergen können: acht Meter unter der Eisoberfläche.
Ein kleiner Nuklearreaktor lieferte die Elektrizität; er war in Schenectady im US-Teilstaat New York gebaut und per Schiff zur Luftwaffenbasis Thule an Grönlands Westküste gebracht worden, wo er auf einen Spezialschlitten verladen und rund 200 Kilometer über eisige Wüsten landeinwärts gezogen wurde. Das gelang mit erstaunlicher Akkuratesse: Einzig die Keramikplatte eines Arbeitstisches ging bei diesem Transport zu Bruch. Schweizerische Schneefräsen, die ursprünglich zur Freilegung blockierter Alpenpässe bestimmt waren, hoben die acht Meter tiefen Gräben aus, in denen die Wohnräume in Fertigteilbauweise ebenso rasch aufgestellt wurden, wie das klei- ne Atomkraftwerk in Betrieb ging. Einen Frisiersalon gab es ebenso wie eine kleine Andachtskapelle, das Trinkwasser kam aus einer Zisterne im arktischen Eis und war gut 2000 Jahre zuvor als Schnee gefallen. Im Juni 1959 begannen die Ingenieure des Pionierkorps der US-Army die Arbeit an Camp Century; bereits im Oktober 1960 war es fertig. Projekt Eiswurm. Offiziell sollte Camp Century der Erforschung der Arktis, dem Test transportierbarer Nuklearreaktoren und der Errichtung von Gebäudestrukturen in extremen Kältebedingungen dienen. Man zog Bohrkerne aus dem Eis, bis zu 1500 Meter tief. Zwei Pfadfinder, ein amerikanischer und ein dänischer, durften als Hilfsforscher Zeit auf der Basis verbringen. Ein Jahr nach Fertigstellung reiste der Starjournalist Walter Cronkite an, um für CBS News einen Bericht aus der „Stadt unter dem Eis“zu drehen.
Er habe recht gut geschlafen, meinte Cronkite, abgesehen von einer leichten klaustrophobischen Panikattacke, nachdem man ihm eingebläut hatte, er dürfe unter keinen Umständen seine Unterkunft verlassen, denn auf der eisigen Oberfläche erwarte ihn der Tod. Was er nicht wissen konnte, und wo- rauf man in Dänemark erst im Jahr 1997 stieß: Camp Century war auch eine Versuchseinrichtung für ein gigantisches Atomwaffenprogramm des Pentagons. Unter dem Namen Project Iceworm verfolgte der US-Generalstab ab 1960 den Plan, auf einer Fläche von rund 130.000 Quadratkilometern ein rund 4000 Kilometer langes Tunnelnetz durch den Schnee und das Eis zu graben, um rund 600 Atomraketen gegen die Sowjetunion in Stellung bringen zu können.
Doch schon nach drei Jahren war klar, dass Camp Century kein Jahrhundert und nicht einmal das erhoffte Jahrzehnt bestehen würde. Die Eismassen bewegten sich stärker, als man es vermutet hatte, und begannen, die Baustrukturen zu zerdrücken. Monat für Monat mussten im Durchschnitt 120 Tonnen Schnee und Eis entfernt werden. 1965 baute man den Atomreaktor aus, ein Jahr später wurde Camp Century aufgegeben. Als Armeeingenieure im Jahr 1969 Nachschau hielten, hatte Grönlands Eis die meisten Räume und Gänge bereits zermalmt.
Auch das Project Iceworm war nur von kurzer Lebensdauer. Denn noch ehe Camp Century fertiggestellt worden war, hatte das U-Boot USS George Washington im Juni 1960 erstmals eine strategische Mittelstreckenrakete vom Typ Polaris abgefeuert. Das eröffnete den US-Streitkräften die Möglichkeit, mit Atomwaffen bestückte U-Boote unter dem Eis der Arktis patrouillieren zu Camp Century lassen: eine wesentlich billigere und einfachere Methode der nuklearen Abschreckung der Sowjets, als Tausende Kilometer von Tunneln durch Grönlands Eis zu graben. 2090 wir© es ernst. All das hatte bis Anfang August nur geschichtlichen Wert, als Episode aus der kältesten Ecke des Kalten Kriegs. Doch dann veröffentlichte eine internationale Gruppe von Klima- und Polarforschern in der Fachpublikation „Geophysical Resarch Letters“die beunruhigenden Ergebnisse ihrer Untersuchungen des Abfalls, den die Besatzung von Camp Century vor einem halben Jahrhundert zurückließ. Die gute Nachricht: Der feste Abfall ist derzeit von einer rund 36 Meter dicken Eisschicht bedeckt, der flüssige von etwa 65 Metern Eis. Die schlechte Nachricht: Spätestens rund um das Jahr 2090 könnte diese Schutzschicht wegen des Treibhauseffekts wegge-
Bis zu 200 MŻnn sollten Żcht Meter unter GrönlŻn©s Eis leãen un© Żrãeiten können. Der PlŻn: 600 AtomrŻketen üãer 4000 Kilometer Tunnel in Stellung ãringen.
schmolzen sein. „Das würde letztlich die Remobilisierung physischer, chemischer, biologischer und radiologischer Abfälle an dieser Stelle bedeuten“, warnen die Forscher in ihrem Papier.
Der einstige Glaube, dieses Umweltproblem unter einer polaren Eisschicht gleichsam sich selbst überlassen zu können, erweist sich angesichts des vom Menschen verstärkten Klimawandels als trügerisch. Es sind bedenkliche Substanzen, die aus den Trümmern des Camps ins Schmelzwasser und somit über kurz oder lang ins Polarmeer gelangen könnten: rund 20.000 Liter Dieselöl für die Notfallgeneratoren, 24 Millionen Liter menschlicher Fäkalien und sonstiger organischer Abfälle, die in Sickergruben deponiert wurden, schwach verstrahltes Kühlwasser des Atomreaktors, das ebenfalls in einer unisolierten Grube