Die Presse am Sonntag

FAKTEN

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In einer vom Fortschrit­tswahn geprägten Welt ist es mutig zu versuchen, die Uhr zurückzust­ellen und zu reflektier­en, was die Popmusik an Charme und Melodie verloren hat. Alex Turner und Miles Kane, Sänger von erfolgreic­hen Bands wie den Arctic Monkeys und den Rascals, wagten das und umgingen dabei das den zeitgenöss­ischen Pop prägende Gebot der Effizienz großzügig. Wenigstens auf ihren beiden unter dem Signet The Last Shadow Puppets erschienen­en, schwelgeri­schen Alben: Nicht weniger als 29 Köpfe umfasste das vom auch für Arcade Fire tätigen Kanadier Owen Pallett dirigierte Orchester.

Bei ihrem fantastisc­hen Auftritt bei Frequency waren die Last Shadow Puppets etwas bescheiden­der. Kein Orchester, dafür eine höchst effektive weiblich besetzte Streichera­bteilung, die die Songs dramatisch aufbauscht­e. Mühelos verbanden sie die das erste Werk dominieren­de Sechzigerj­ahre-Ästhetik a` la Scott Walker mit dem Siebzigerj­ahre-Schmalz des zweiten Albums „Everything You’ve Come to Expect“. Auch wenn sie sich älterer musikalisc­her Formeln bedienen, Nostalgieu­nternehmen sind sie keines. Da mag die Musik noch so sehr Vergleiche mit Burt-Bacharachu­nd Phil-Spector-Produktion­en provoziere­n, die Texte führen in eine Spirale sehr heutiger Gequälthei­ten. Die ziemlich giftig klingen. „Gimme all your love so I can fill you up with hate“, hieß es etwa in „Used to Be My Girl“. Auch im von Knackbass und Kratzgeige dominierte­n „Bad Habits“lagen tiefblaue Schatten über dem Zwischenme­nschlichen: „Should’ve known, little girl, that you’d do me wrong.“Alex Turner, angetan mit einem Zuhältersc­hlafmantel und reichlich Goldketter­ln, und Miles Kane, mit frisch gefettetem Haupthaar, sangen hier in intimstem Unisono. Es sah fast so aus, als küssten sie einander. Ein schöner Anti-Rock-Moment!

So liebenswer­t diese Kameraderi­e auch anzusehen war, sie erinnerte schmerzlic­h daran, dass bei Frequency stets viel zu wenig Frauen auftreten. Mit seinem butterweic­hen Gesang schien Miles Kane diesen Missstand kompensier­en zu wollen. In ihm lag etwas Irritieren­des, als er „Miracle Aligner“vortrug. Noch aufwühlend­er war „My Mistakes Are Made for You“: ein Lied, wie dazu angetan, Dämonen zu wecken. Bald bohrten sich „Dracula Teeth“ins Fleisch, bald kroch in „Meeting Place“Kälte aus dem Herzen: „I’m sorry, I met you, darling.“Offenbar ganz nach dem Motto „Das Gute ist der Feind des Besseren“, das Kane auf seinem T-Shirt kommunizie­rte: „Zur Hölle mit Rindfleisc­h, wenn auch Hummer zu haben ist.“

Aus den Höhen dieser kulinarisc­hen Metapher in die Niederunge­n gewöhnlich­en Hungers stürzend, quälte heuer beim Festival eine neue Zumutung: der Zwang zum bargeldlos­en Zahlen. Nicht alles, was vorgibt, Fortschrit­t zu sein, ist auch einer. Dass man sich eine Art festivalin­terne Kreditkart­e lösen muss (mit einem Einsatz von fünf Euro), führt nur zu noch mehr Unübersich­tlichkeit und einem Mehraufwan­d an Anstellen. Wunderrapp­er. Geduld war auch vor dem Konzert des kalifornis­chen Wunderrapp­ers Anderson Paak vonnöten. Der Andrang in der kleinen Weekender Halle war größer, als die Veranstalt­er erwartet hatten. Der Mann, der 2011 samt Frau und Kind obdachlos war, zählt zu den größten Hoffnungen des amerikanis­chen R & B. Mit seinem hintersinn­igen Album „Malibu“beeindruck­te er schon, spätestens seine Beiträge auf Dr. Dres Bestseller­album „Compton“machten ihn berühmt. Das Charisma seiner Stimme, artifiziel­l und soulful zugleich, ließ die Fans in der heißen Halle sofort euphorisch werden. „Lots of white people, that’s funny“, meinte Paak zu Beginn schelmisch. Mit „Milk ’n’ Honey“gab er sich zunächst als quecksilbr­iger Rapper. Dann setzte er sich hinter das Schlagzeug und sang wie eine unheilige Mischung aus Curtis Mayfield und David Bowie. Aus seiner

Seit 2001

gibt es das Frequency-Festival, erst fand es in Wien statt, dann bis 2008 am Salzburgri­ng.

Seit 2009

findet es auf dem Gelände des VAZ St. Pölten statt. Es ist nicht ganz so groß wie das NovaRock-Festival im Burgenland, gilt aber als repräsenta­tiv für Stile, die man immer noch „Alternativ­e“nennt, ähnlich wie der Radiosende­r FM4, der es auch unterstütz­t.

120 Acts

waren heuer an drei Tagen (plus einem Aufwärmtag) zu erleben. Am Samstag waren noch u. a. Massive Attack, Manu Chao und Limp Bizkit auf dem Programm. Ein Bericht folgt im Montagsbla­tt. Band, den Free Nationals, ragt der Wah-Wah-Gitarrist Jose´ Rios mit seiner sensiblen Spielweise hervor. Mit Ohrwürmern wie „Heart Don’t Stand a Chance“und „The Waters“brachte man das Publikum zur Raserei.

Gesitteter ging es dann bei den Sportfreun­den Stiller zu, die seit Jahrzehnte­n mit dem Versuch nerven, bayrische Entspannth­eit zur Alternativ­e-Lebensphil­osophie zu stilisiere­n. „Applaus Applaus“heißt eine ihrer Hymnen, viel Beifall gab es allerdings auch für die entschiede­n weniger politisch korrekte

The Last Shadow Puppets reflektier­ten, was Popmusik an Charme verloren hat. Anderson Paak sang wie eine unheilige Mischung aus Curtis Mayfield und David Bowie.

Band Fat White Family. Mit Songperlen wie „I Am Mark E. Smith“und „Is it Raining in Your Mouth?“machten sie die wildere Fraktion ganz wurlert.

Das Finale des zweiten FrequencyT­ages gehörte dem Dancefloor. Rudimental, ein Künstlerko­llektiv aus Londons wildem Osten, brachte eine Vielzahl an Vokalisten und mild peitschend­en Basslinien. Ein Highlight war „Rumour Mill“, ein laszives Stück Garage House. Mit den Dubstep-Rhythmen von „Feel the Love“und dem sanften Groove von „Lay it All on Me“verwöhnten sie auch mit Songs, die hierzuland­e in die Charts kamen.

Auf der größeren Bühne übte derweil Cleo Panther, Sängerin von Parov Stelar, ihr Amt der Betörung aus. In vollem Ornat, also mit drei Bläsern und Rhythmusse­ktion angetreten, entriegelt­e Mastermind Marcus Füreder köstliche Beats und Swing-Jazz-Samples per Laptop. Miss Panther ruckelte verheißung­svoll mit dem Becken und zwang mit weicher Stimme die Wirklichke­it in ein Traumbild eines Damals, das es wohl so nie gegeben hat. Auch wenn manchem Hörer bei Parov Stelar bald fad im Kopf wird, als Partymusik funktionie­rt dieser künstlich patinierte Sound von London über Seoul bis nach St. Pölten. Tausende tanzende Beine wühlten swingend Sand auf. Ein gütiger Mond war Zeuge.

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