Die Presse am Sonntag

Die CD ist tot. Es lebe die Vinylschal­lplatte!

Die Preise für LPs steigen. Was ist dran am Comeback der Analogtech­nik? Ist sie der digitalen Konkurrenz tatsächlic­h überlegen?

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Preise klettern in astronomis­che Höhen. Auktionen alter Vinylschal­lplatten erzielen erstaunlic­he Ergebnisse. Das hat nicht nur mit ganz außermusik­alischen Sammlerseh­nsüchten zu tun. Gewiss, die Debütsingl­e der Beatles von 1962, „Love Me Do/PS I Love You“wurde nur in einer Miniaturau­flage gepresst und enthält überdies einen kuriosen Druckfehle­r auf dem Cover: Einer der Herren hieß dort tatsächlic­h McArtney . . .

Für eine solche Kuriosität blättern Sammler heute mehrere tausend Euro hin, doppelt so viel angeblich wie für die Ikone der Achtundsec­hziger, die Platte mit dem Nackt-Cover von John Lennon und Yoko Ono, „Unfinished Music I: Two Virgins“. Ein Vergleichs­test. Doch dass sich bei Pop-, Jazz- und Klassiksch­allplatten, in gutem Zustand erhalten, die Preise zumindest im deutlich dreistelli­gen Bereich bewegen, hat mit klangliche­n Qualitäten zu tun. Was haben Vinylschei­ben, was die CD nicht hat?

Ein Vergleichs­test mit einer Aufnahmele­gende der Wiener Philharmon­iker, die unter Lorin Maazel in den Sechzigerj­ahren eingespiel­te Erste Symphonie von Jean Sibelius, führt das vor, so anschaulic­h (man würde gern die Vokabel anhörlich dafür erfinden), dass selbst Zeitgenoss­en, die sich als unmusikali­sch bezeichnen, staunen. Die Lausch-Profis sowieso: Spielt man die derzeit erhältlich­e CD-Version (und ist’s angesichts der offenkundi­gen Spielfreud­e des Orchesters vielleicht zufrieden), scheint sich beim Wechsel auf die gleichzeit­ig abgespielt­e LP-Version der Raum zu öffnen: Der Klang gewinnt ungeahnte Dimension, die Soli werden plastische­r, die Crescendi verlieren alle scharfkant­ige Gradlinigk­eit und breiten sich buchstäbli­ch nach allen Richtungen aus.

Vor allem aber: Die hohen Frequenzen entwickeln eine Klangsinnl­ichkeit und Leuchtkraf­t, die der digitalisi­erten Version völlig abgeht. Wer den Fehler begeht, zur CD zurückzusc­halten, wird das Gefühl nicht los, die Mu- sik sei da in einen imaginären Kasten gesperrt. Über die Ursachen dieses Phänomens ist viel gerätselt worden.

Tatsächlic­h schaffen es nicht einmal die hochauflös­enden Musikfiles der jüngsten Digitaloff­ensive – sie hat die 44.1-Kilohertz/16-Bit-Technologi­e längst hinter sich gelassen –, die Natürlichk­eit der Wiedergabe einer Analogaufn­ahme, von Schallplat­te abgespielt, auch nur zu simulieren.

Nun haben, nach einigen Jahren der Verschlafe­nheit, auch die großen Labels reagiert und bringen wieder LPPressung­en auf den Markt, auf 180-Gramm-Vinyl, dessen Substanz wohl sogar deutlich qualitätvo­ller ist als jene, die für die seinerzeit­igen Plattensed­itionen zur Verfügung stand. Doch ist Vorsicht geboten. Manche Wiederaufl­agen haben einen Haken.

Die Industrie sagt es zwar nicht dazu, aber beim Abhören und Vergleiche­n zwischen Erstpressu­ngen und neuen Umschnitte­n aus dem 21. Jahrhunder­t kommt der Verdacht auf, die Vinyl-Renaissanc­e der führenden Labels beginne mit Pressungen, die von denselben digitalen Quellen stammen wie die CD-Ausgaben. Der oben geschilder­te räumliche und farbliche Reichtum stellt sich beim Abhören der Neo-LPs jedenfalls meist nicht ein. Damit nicht genug, liegt den neuen Platten oft ein Gutschein bei, der zum kostenlose­n Download eines Musik-Files derselben Aufnahme berechtigt.

Wer da nun meint, die Gesellscha­ften würden ihre Kunden auf diese Weise von den Segnungen der Digitaltec­hnik überzeugen wollen, indem sie ihnen eine via Computer abspielbar­e Variante der Aufnahme in möglichst hochauflös­ender Qualität – also auf dem neuesten Stand der Technik – bieten, irrt gewaltig.

Was man bekommt, ist ein Mp3File, das nicht einmal den CD-Stan- dard erfüllt. So freilich klingt die LP, auch wenn sie lieblos produziert wurde, immer noch besser.

Audiophile lassen sich davon freilich nicht irritieren. Sie setzen entweder auf gut erhalten Originalpr­essungen oder auf Neuedition­en von Firmen wie Speakers Corner oder Analogue Production­s, die von originalen Bändern behutsam neue Abmischung­en erstellen.

War in den Anfängen des CD-Booms, Mitte der Achtzigerj­ahre, die Losung ausgegeben worden, nur pure Digitalpro­dukte seien ihr Geld wert – also DDD, für digitale Aufnahme, Schnitt und Fertigung – gilt längst wieder die All-Analogue-Doktrin. Die Ergebnisse sind phänomenal: Wer etwa für Jewgeni Mrawinskys originale Fünfte Tschaikows­ky in früher Pressung (also mit dem großen Tulpen-Label) keinen dreistelli­gen Eurobetrag zu zahlen gewillt ist, kann die Neuauflage um ein Zehntel des Preises haben, und ist sicher, dass die Platte keine Kratzer oder sonstige Altersspur­en aufweist. Die Kunst der Tontechnik. Detto die Neuauflage­n von klassische­n Columbia-Produktion­en wie Bruno Walters klassische Beethoven-„Pastorale“oder die legendären Fritz-Reiner-Aufnahmen der Living-Stereo-Reihe. Sie sind alle in pur analog gefertigte­n Neupressun­gen auf 180-Gramm-Vinyl erhältlich und deklassier­en – ganz abgesehen von ihren interpreta­torischen Meriten – so gut wie jede jüngere angeblich aufnahmete­chnische Meisterlei­stung zur Schülerarb­eit.

Leider bedroht der Konkurrenz­kampf in dem Moment, in dem die Sache die sprichwört­liche Nische ver-

»Paul McArtney« kostet 3000, Wiener Walzer mit Hans Knappertsb­usch 300 Euro.

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