Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Schleierhaft, 2. Teil. Warum Nonnen keinen Burkini tragen und trotzdem in Cannes nicht an den Strand dürfen: von der gefährlichen Lust, anderen etwas vorschreiben zu wollen.
Das Burkini-Verbot für die Strände von Cannes hat auf Facebook zahllose Reaktionen ausgelöst. Etwa das Foto einer Strandpartie um 1900 im klassischen Badekostüm: „In der alten Zeit war alles besser. Sogar die Herren trugen Burkinis.“Ein anderes Bild, mit zwei Nonnen aus Zams, postete der grüne Tiroler Landtagsabgeordnete Ahmet Demir und schrieb dazu: „Habe zwei Burka-Trägerinnen in Zams gesichtet. Sachen gibt’s. Unterdrückte Frauen überall. ;)“
Das wurde weniger lustig aufgenommen. ÖVP und FPÖ versuchten auf der Klaviatur des Volkszorns zu spielen, auch wenn die Vorsitzende der Frauenorden, Sr. Beatrix Mayerhofer, sich als nicht beleidigt outete. Sie stellte aber klar: Der Schleier von Ordensfrauen ist Zeichen ihrer freiwilligen Bindung an Gott. Mit Unterdrückung der Frau habe er nichts zu tun.
Für die Verordnung der Stadt Cannes ist das trotzdem egal. Sie verbietet nämlich nicht das Baden im Burkini, sondern politisch korrekt und ganz neutral den Aufenthalt am Strand in „ostentativ religiöser“Kleidung – also auch in Nonnentracht. So funktioniert nämlich der Laizismus: Wenn man nicht aus sachlicher Notwendigkeit, sondern aus Abneigung gegen eine einzelne Religion – hier den Islam – vorgehen möchte, so wird immer eine Breitseite gegen Religion an sich daraus.
Eine sachliche Notwendigkeit gibt es hier wirklich nicht. Allenfalls bei der Gesichtsverschleierung könnte man das für Sondersituationen wie Demos oder Gerichtstermine ins Treffen führen. Aber prinzipiell gilt: Ist der Islam ungefährlich, warum darf man ihn dann nicht sehen? Ist er aber gefährlich, wäre das erst recht ein Grund, seine Angehörigen sichtbar zu machen, also etwa eine Burka nicht zu verbieten, sondern allen vorzuschreiben. Und wenn man die Unabhängigkeit der Musliminnen stärken will, sollte man sie nicht durch ein Burkaverbot ins häusliche Exil abdrängen, sondern schrittweise mit dem starken Selbstbewusstsein europäischer Frauen in Berührung bringen.
Wie man sich kleidet, ist eine höchstpersönliche Angelegenheit, aus der sich die Gesetzgeber in den meisten freien Ländern bis jetzt aus guten Gründen herausgehalten haben. Allenfalls ist er eingeschritten, wo Nacktheit das allgemeine Schamgefühl verletzt hat, was ja bei Burka oder Burkini gerade nicht der Fall ist. Wenn man also mit einer Kleidervorschrift den Angehörigen einer verdächtigen Gruppe signalisieren möchte, dass sie hier unerwünscht sind, dann muss man sich vor Augen halten, dass das eine Präzedenzwirkung hat. Verdächtig ist dem Volk bald jemand. Vielleicht auch einmal Sie oder ich. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.