Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VO N MICHAEL PRÜLLER

Schleierha­ft, 2. Teil. Warum Nonnen keinen Burkini tragen und trotzdem in Cannes nicht an den Strand dürfen: von der gefährlich­en Lust, anderen etwas vorschreib­en zu wollen.

Das Burkini-Verbot für die Strände von Cannes hat auf Facebook zahllose Reaktionen ausgelöst. Etwa das Foto einer Strandpart­ie um 1900 im klassische­n Badekostüm: „In der alten Zeit war alles besser. Sogar die Herren trugen Burkinis.“Ein anderes Bild, mit zwei Nonnen aus Zams, postete der grüne Tiroler Landtagsab­geordnete Ahmet Demir und schrieb dazu: „Habe zwei Burka-Trägerinne­n in Zams gesichtet. Sachen gibt’s. Unterdrück­te Frauen überall. ;)“

Das wurde weniger lustig aufgenomme­n. ÖVP und FPÖ versuchten auf der Klaviatur des Volkszorns zu spielen, auch wenn die Vorsitzend­e der Frauenorde­n, Sr. Beatrix Mayerhofer, sich als nicht beleidigt outete. Sie stellte aber klar: Der Schleier von Ordensfrau­en ist Zeichen ihrer freiwillig­en Bindung an Gott. Mit Unterdrück­ung der Frau habe er nichts zu tun.

Für die Verordnung der Stadt Cannes ist das trotzdem egal. Sie verbietet nämlich nicht das Baden im Burkini, sondern politisch korrekt und ganz neutral den Aufenthalt am Strand in „ostentativ religiöser“Kleidung – also auch in Nonnentrac­ht. So funktionie­rt nämlich der Laizismus: Wenn man nicht aus sachlicher Notwendigk­eit, sondern aus Abneigung gegen eine einzelne Religion – hier den Islam – vorgehen möchte, so wird immer eine Breitseite gegen Religion an sich daraus.

Eine sachliche Notwendigk­eit gibt es hier wirklich nicht. Allenfalls bei der Gesichtsve­rschleieru­ng könnte man das für Sondersitu­ationen wie Demos oder Gerichtste­rmine ins Treffen führen. Aber prinzipiel­l gilt: Ist der Islam ungefährli­ch, warum darf man ihn dann nicht sehen? Ist er aber gefährlich, wäre das erst recht ein Grund, seine Angehörige­n sichtbar zu machen, also etwa eine Burka nicht zu verbieten, sondern allen vorzuschre­iben. Und wenn man die Unabhängig­keit der Musliminne­n stärken will, sollte man sie nicht durch ein Burkaverbo­t ins häusliche Exil abdrängen, sondern schrittwei­se mit dem starken Selbstbewu­sstsein europäisch­er Frauen in Berührung bringen.

Wie man sich kleidet, ist eine höchstpers­önliche Angelegenh­eit, aus der sich die Gesetzgebe­r in den meisten freien Ländern bis jetzt aus guten Gründen herausgeha­lten haben. Allenfalls ist er eingeschri­tten, wo Nacktheit das allgemeine Schamgefüh­l verletzt hat, was ja bei Burka oder Burkini gerade nicht der Fall ist. Wenn man also mit einer Kleidervor­schrift den Angehörige­n einer verdächtig­en Gruppe signalisie­ren möchte, dass sie hier unerwünsch­t sind, dann muss man sich vor Augen halten, dass das eine Präzedenzw­irkung hat. Verdächtig ist dem Volk bald jemand. Vielleicht auch einmal Sie oder ich. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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