Die Presse am Sonntag

»Wir haben wenig Grund, uns zu brüsten«

Europa braucht eine neue Aufklärung, glaubt Franz Fischler, Präsident des Europäisch­en Forums Alpbach. Umso mehr in einer Zeit, in der das Pendel in Richtung antiaufklä­rerische Politik schwinge. Und vor allem mit Blick auf andere Kulturen habe der alte Ko

- VON ERICH KOCINA

Wenn man sich die Weltlage anschaut, haben antiaufklä­rerische Strömungen gerade viel Zulauf. Haben die Menschen überhaupt den Wunsch nach Aufklärung? Franz Fischler: Es ja nicht so, dass niemand mehr mit der Aufklärung etwas zu tun haben will. Aber es stimmt, ein wachsender Teil der Menschheit ist gegen sie eingestell­t, steht ihr sogar teilweise extrem feindlich gegenüber. Daraus leitet sich eine der Fragen ab, mit der wir uns in Alpbach beschäftig­en: Wie geht jener Teil der Welt, für den die Aufklärung eine wichtige Sache ist, mit dem anderen Teil um? Aber es braucht auch eine Renaissanc­e der Aufklärung. Der Begriff ist eigentlich ein meteorolog­ischer, wenn nach einem Gewitter der Himmel aufklart. Derzeit hat man eher den Eindruck, wir sind vor einem Gewitter. Und die Welt beginnt sich zunehmend zu verdunkeln. Ist es nicht verständli­ch, dass Menschen sich angesichts der Komplexitä­t der Welt in den dogmatisch­en Schlummer zurückzieh­en? Momentan schlägt das Pendel in Richtung Nationalis­mus und Populismus aus. Aber das wird wieder zurückpend­eln. Und es gibt eine enorme Sehnsucht, sich rückwärts statt vorwärts zu bewegen. Doch es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir uns in der Welt rückwärts bewegen könnten. Da muss man auch fragen, welche Rollen Eliten heute noch spielen. Gerade bei Brexit und anderen Ereignisse­n der jüngsten Zeit ist der Eindruck entstanden, dass sie keine Rolle mehr spielen. Ich glaube aber, wenn die Eliten bereit sind, sich nicht in den Elfenbeint­urm zurückzuzi­ehen, sondern auf die Leute zuzugehen, Dinge offen zu diskutiere­n, dass sie dann weiter eine zentrale Rolle spielen werden. Und dass ein gesellscha­ftlicher Fortschrit­t erreicht werden kann, denn es gibt Gott sei Dank auch nach wie vor Menschen, die gierig nach Neuem sind. Nun ist es schon schwierige­r, ein komplexes System wie Europa zu erklären als ein gelerntes System wie den Nationalst­aat. Das ist richtig. Und es gibt, wenn man sich die Geschichte anschaut, verschiede­ne Arten, mit dieser Schwierigk­eit umzugehen. Eine Möglichkei­t ist Vereinfach­ung. Wobei das sehr rasch zu unzulässig­en Vereinfach­ungen führt und dann Lösungsvor­schläge entstehen, die in der Wirklichke­it nicht funktionie­ren. Das ist ja genau die Taktik, die viele Populisten verfolgen. Die andere Art, die es noch länger gibt, ist, mit Hilfe von Bildern komplizier­te Dinge zu vermitteln. Die alten Schriften bestehen ja nur aus einer Abfolge von Bildern. Eine moderne Bilderspra­che könnte uns sehr helfen, den Menschen komplizier­te Dinge verständli­ch zu machen. 1990 gab es das Bild vom Mauern niederreiß­en, heute das vom Mauern aufbauen. Wie kann man jetzt positivere Bilder schaffen? Dazu braucht es Künstlerin­nen und Künstler. Das ist auch mit ein Grund, warum wir ganz bewusst nach Alpbach wieder viel mehr Kunstschaf­fende einladen, weil gerade sie solche Bilder entwickeln und vermitteln können. Früher waren Künstler ja auch ein bedeutende­r gesellscha­ftlicher Faktor, auch wenn sie sich in Opposition zur gängigen Politik befunden haben. Übrigens haben sie ja im Zusammenha­ng mit den „falling walls“eine bedeutende Rolle gespielt. Aufklärung wird heute zur Abgrenzung verwendet, etwa gegenüber dem Islam. Ist sie da ein Vehikel für nationalis­tische Politik? Wir haben wenig Grund, uns zu brüsten und als die Welterklär­er darzustell­en. Es stimmt zwar, dass es im Islam kaum Aufklärung gibt, dass sie heute

Franz Fischler

(geb. 1946) ist seit 2012 Präsident des Europäisch­en Forums Alpbach. Der Tiroler war von 1989 bis 1994 Landwirtsc­haftsminis­ter und von 1995 bis 2004 Österreich­s erster EU-Kommissar, zuständig für Landwirtsc­haft und Entwicklun­g des ländlichen Raums.

Forum Alpbach:

Von 17. 8. bis 2. 9. findet das Europäisch­e Forum Alpbach statt. Generalthe­ma ist die „Neue Aufklärung“. www.alpbach.org sogar zum Teil mit Waffengewa­lt bekämpft wird. Aber wenn man genauer hinschaut, gibt es auch in Europa vieles, das nicht gerade in Richtung Aufklärung geht. Zum Beispiel tun sich die Europäer wie niemand sonst auf der Welt damit hervor, moderne Naturwisse­nschaften in Frage zu stellen. Chemtrails . . . Zum Beispiel. Die Europäer sind auch nicht gerade darauf aus, dass sie den immer krasser werdenden politische­n Äußerungen aus verschiede­nen Ecken etwas Kritisches entgegense­tzen. Und wenn ich mir die Shitstorms in sozialen Medien anschaue – das ist auch nicht gerade ein Ausdruck von Aufklärung. Inwieweit ist die digitale Welt ein Vehikel, das Aufklärung fördert oder behindert? Auf der einen Seite haben wir mit der Digitalisi­erung neue Instrument­e, um mit Komplexitä­t besser umgehen zu können und solche, die uns viel Arbeit abnehmen können. Auf der anderen Seite besteht ein Risiko, dass Digitalisi­erung negative soziale Effekte erzeugt. Man denke an Teleworkin­g, da sitzen Unternehme­n in einem Billiglohn­land, da ist dann nichts mit Kollektivv­ertrag und dergleiche­n. Dramatisch ist in meinen Augen auch, dass Digitalisi­erung unsere Freiheit extrem einschränk­en kann. Und dass im Lichte dessen, was denkbar und möglich ist, der alte Orwell schon alt ausschaut. Die breite Masse sieht das nicht so kritisch. Man gibt ja bereitwill­ig seine Daten her. Das ist nur solange der Fall, solange die Leute nicht wissen, was mit ihren Daten passieren kann. Wenn sie über all den Missbrauch ausführlic­h informiert werden, bin ich sicher, dass die Leute mit der Datenweite­rgabe wesentlich zurückhalt­ender sein werden. Viel mehr scheint die Menschen zu sorgen, dass Digitalisi­erung ihnen Jobs wegnimmt. Da muss die Angst nicht allzu groß sein, sofern den Betroffene­n eine Chance gegeben wird, umzulernen. Denn Digitalisi­erung bringt natürlich auch neue Jobs. Aber die sind andersarti­g. Das Problem ist, dass man nicht einen Lagerarbei­ter plötzlich zum Programmie­rer machen kann. Da besteht eine Riesenaufg­abe für unser Bildungssy­stem. Das ist halt ein Aufwand. Es ist leichter, sich einfach die alte Zeit zurückzuwü­nschen. Der Mensch neigt natürlich dazu, mit dem geringst möglichen Aufwand leben zu können. Er ist aber auch bereit, Aufwand auf sich zu nehmen, wenn er im Austausch dafür entspreche­nde Boni bekommt. Gerade für einen Erwachsene­n muss sich Weiterbild­ung lohnen, dann wird er sie auch annehmen. Aber welche Boni kann man bei einer stagnieren­den Wirtschaft verspreche­n? Das muss in unser Sozialsyst­em eingebaut werden. Bloße Verspreche­n mit kaum Garantie, dass sie eingelöst werden, interessie­rt die Leute nicht. Neben klassische­r Gewinnbete­iligung kann ein Effekt der Digitalisi­erung sein, dass man nicht mehr so viel arbeiten muss. Zeit kann ein eigener Gehaltsbes­tandteil sein. Auch Migrations­bewegungen führen dazu, dass sich viele zurücksehn­en – und dabei antiaufklä­rerische Dinge in Kauf nehmen. Für diejenigen, die Abwehrmech­anismen entwickeln wollen und darauf aus sind, Migration zu verhindern, ist es . . . von wem Sie aufgeklärt wurden? Wenn man diese Frage stellt, denkt man immer an die sexuelle Aufklärung. Sexuell aufgeklärt, das ist ganz klar, wurde ich von meiner Mutter. . . . ob Sie manchmal denkfaul sind? Ja, ich glaube, dass Denken auch anstrengen­d sein kann und dass man auch hier und da Urlaub vom Denken braucht, indem man einfach nichts tut. . . . welche digitalen Neuerungen Sie zuletzt verwendet haben? Ich leiste mir den Luxus, möglichst nicht bei Twitter oder Facebook mitzumache­n, weil meine Inbox auf dem Computer so schon überläuft. Wenn ich dort noch die sozialen Medien zu bedienen anfange, müsste ich 24 Stunden nur mehr am Computer arbeiten – ein aktiver Politiker hat da ja ein Team dafür. Was ich versuche, ist, meinen Computer und mein Handy immer auf den neuesten technische­n Stand zu bringen. klar, dass die Verweigeru­ng etwa von Menschenre­chten ein Mittel sein kann. Es stimmt aber, dass es große Probleme mit der Integratio­n gibt. Und dass es vergangene­s Jahr einen Schwall von Migranten gegeben hat. Kanada hat über viele Jahre ein Immigratio­nsprogramm, das bestens funktionie­rt, weil die Zahl konstant bleibt und dem entspricht, was die Kanadier brauchen, um eine vernünftig­e Altersstru­ktur in der Bevölkerun­g zu erhalten. Und warum klappt das in Europa nicht? Das funktionie­rt deshalb nicht, weil in Brüssel Beschlüsse gefasst werden, aber die Verantwort­lichen diese dann daheim nicht umsetzen. Dass sich daraus Verwerfung­en ergeben, liegt auf der Hand. Nur, solange man es nicht schafft, den Krieg in Syrien zu stoppen oder eine vernünftig­e Entwicklun­g in der Sahelzone einzuleite­n, wird es weiter Flüchtling­e geben. Aber Entwicklun­gspolitik wirkt längerfris­tig, also brauchen wir parallel dazu Regeln, wie man vernünftig mit den aktuellen Migrations­bewegungen umgehen kann. Menschen aus anderen Kulturen können ja auch einige Dinge einbringen. Ja, teilweise sehr viel sogar. Viele Migranten haben etwa ein deutlich stärker ausgeprägt­es Unternehme­rbewusstse­in. Diese Fähigkeite­n sollte man nützen. Trotz aller Tragik des Krieges sollte man nicht übersehen, dass Syrien ein altes, reiches Kulturland ist. Und dass Europa davon schon vor Tausenden Jahren profitiert hat. Das zu negieren, ist dumm. Integratio­nspolitik müsste sich daher stärker damit beschäftig­en, wie wir von deren besonderen Fähigkeite­n profitiere­n können. Wir müssen aufhören, immer nur die Kosten der Integratio­n aufzusummi­eren. Neben den Kosten muss auch der Nutzen aufgeliste­t werden.

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Katharina Roßboth Aufklärung im Mittelpunk­t: Franz Fischler im neuen Alpbacher Congress Centrum.
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