Die Presse am Sonntag

FAKTEN

Die Offensive der türkischen Armee jenseits der syrischen Grenze, um die Grenzstadt Jarablus vom IS zu erobern, war binnen kurzer Zeit erfolgreic­h. Doch nun stürzen sich die Türken dort auf den wahren Gegner: die Kurden.

- EINE REPORTAGE VON ALFRED HACKENSBER­GER

Die grünen Ufer des Euphrat leuchten in der Abendsonne. Riesige Zypressen stehen wie klassische Statuen zwischen den alten Gebäuden eines Dorfes. Olivenhain­e überziehen die weiten Hügel. Es ist ein Ausblick, der einen die drückende Sommerhitz­e von mehr als 40 Grad Celsius vergessen lässt und nicht im Geringsten an Krieg erinnert.

Aber das Idyll täuscht. Plötzlich zerreißen drei kurze Detonation­en die ländliche Ruhe, ganz im Osten der Türkei, unmittelba­r an der Grenze zu Syrien. In unregelmäß­igen Abständen folgen weitere Explosione­n, die einen unwillkürl­ich zusammenzu­cken lassen. Dabei steigen weißgraue Rauchwolke­n gen Himmel.

„Die türkische Armee räumt Minen“, erklärt Landwirt Nadschi, der hier sein ganzes Leben verbracht hat und von dem seine tiefen Furchen im sonnengege­rbten Gesicht erzählen. Der 58-Jährige zeigt mit dem Finger auf den syrischen Ort Jarablus, der direkt an die Grenze zur Türkei anschließt. Das Dorf ist am Mittwoch von türkischen Spezialein­heiten, Panzerverb­änden und syrischen Rebellengr­uppen in einer gemeinsame­n Operation vom sogenannte­n Islamische­n Staat (IS) zurückerob­ert worden. Nun säubern Bombenspez­ialisten der Armee den Ort und sprengen die von den Jihadisten hinterlass­enen Minen.

Mit der Operation „EuphratSch­ild“hat sich die Türkei, ein NatoLand, zum ersten Mal in den syrischen Bürgerkrie­g direkt eingeschal­tet. Ob das am Chaos dort etwas ändern wird, steht zu bezweifeln. Zumal die Türkei nicht nur die IS-Terrororga­nisation im Visier hat, sondern auch die Kurdenmili­z YPG – und mit dieser am Samstagnac­hmittag auch am Boden in Syrien in Gefechtsbe­rührung getreten ist. Anlaufstel­le für Jihadisten. Mehr als drei Jahre lang hatte der IS Jarablus und den Grenzüberg­ang beherrscht. Es war eine beliebte Transitrou­te für viele Hundert Jihadisten aus dem Ausland, die für den IS kämpfen wollten. Jarablus war ihre erste Anlaufstat­ion in Syrien, bevor sie in Trainingsc­amps verteilt wurden. „Besonders am Anfang, in der Zeit von Juni bis Dezember 2013, gab es oft regelrecht­e Volksaufmä­rsche von Neuankömml­ingen“, sagt Mohammed Omar der „Presse am Sonntag“. Der 25-Jährige stammt aus Jarablus und war dort auch während der IS- Herrschaft. „Ich musste bleiben“, erzählt Mohammed. „Sonst hätte ich meinen Telefonlad­en verloren, und der gesamte Besitz meiner Familie wäre beschlagna­hmt worden.“

Er ist nun glücklich, dass der ISSpuk zu Ende ist. „Wir durften ja fast nichts, nicht rauchen, kaum Internet und Telefon benützen, nicht ausgehen, nur die ganze Zeit in die Moschee. Wer nicht gehorchte, wurde geschlagen oder exekutiert.“Der IS scheint keinen großen Wert auf Jarablus gesetzt zu haben. Nur etwa 200 Mann seien hier ständig postiert gewesen. Als es dem Ende entgegengi­ng, waren laut Mohammed kaum 70 oder 80 geblieben, um sich Türken und Rebellen zu stellen. Von den Türken zerhämmert. „Jarablus hatte keine strategisc­he Bedeutung“, bestätigt Ahmad Berri, Stabschef der Freien Syrischen Armee (FSA), bei kaltem Orangensaf­t in einem Cafe´ im 70 Kilometer entfernten Gaziantep. Die syrischen Rebellen, die an der Seite der Türken fochten, waren überwiegen­d Gruppen, die der FSA angehören. „Andere Städte wie Manbij oder al-Bab sind viel wichtiger“, sagt Berri. Aber die fehlende strategisc­he Bedeutung sei nicht der Grund für den geringen Widerstand des IS gewesen, der untypisch für die Terroriste­n war. „Sie waren von drei Seiten umzingelt, Artillerie und Bombardier­ungen türkischer Flugzeuge haben alle wichtigen IS-Stellungen zerstört.“Die Flucht sei als einzige Option geblieben. Berri lacht.

Jarablus ist jetzt in einem Umkreis von fünf Kilometern gesichert. Die ersten Zivilisten seien bereits zurückgeko­mmen. Das nächste Angriffszi­el der Rebellen, so erläutert Berri weiter, sei das von Jarablus 40 Kilometer weiter südlich gelegene Manbij. Die Stadt war erst Mitte August nach monatelang­em Kampf von den Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) dem IS entrissen worden. Und das sei das Problem, meint Berri. „Die SDF müssen verschwind­en.“Und sollten sie nicht abziehen, müsse man sie bekämpfen. „Wir haben bereits das Verspreche­n der USA und der Koalition, dass wir dann militärisc­h unterstütz­t werden.“

Offensive.

Die türkische Armee startete am Mittwoch die Operation „Euphrat Schild“. Erklärtes Ziel der Militärint­ervention im benachbart­en Syrien ist es, die Jihadisten des sogenannte­n Islamische­n Staats aus der Grenzstadt Jarablus zu vertreiben. Zweitens will die türkische Regierung erreichen, dass sich die kurdischen Kämpfer hinter den Euphrat zurückzieh­en.

Es wäre eine absurde Situation, denn die SDF sind ein Partner des Pentagon und werden von ihm unterstütz­t.

Berri hat von den SDF keine gute Meinung. Für ihn sind sie Feinde. Der Grund dafür ist, dass der Großteil dieser ethnisch übergreife­nden Militärall­ianz aus Assyrern, Arabern und Turkmenen von den Kurden der YPG-Miliz gestellt wird. „Sie vertreiben Araber aus ihren angestammt­en Landstrich­en und sind Gegner der syrischen Revolution“, klagt Berri an. Außerdem würden sie mit dem syrischen Regime von Basher al-Assad gemeinsame Sache machen. Wahrer Feind: die Kurden. Die Meinung des FSA-Stabschefs passt zur politische­n Linie der Türkei. Nicht umsonst arbeitet Ankara mit der FSA und auch einer der radikal-islamistis­chen Rebellengr­uppen zusammen. Das ist Aharr al-Sham, die 2011 von der alQaida gegründet worden ist. Alle verbindet die Animosität gegenüber den Kurden, die als Säkulare und als Anhänger föderaler Demokratie schon zu einem Hassobjekt geworden sind. Für die Türkei ist die YPG eine Terrororga­nisation, nicht anders als ihre türkische Partnerorg­anisation der PKK. Der Grundsatz der Türkei: Die YPG und SDF dürfen unter keinen Umständen ihr Territoriu­m entlang der türkischen Grenze ausbauen.

Berri erzählt ohne Umschweife, dass es bei der Jarablus-Offensive gar nicht so sehr um den IS ging. „Die Kurden waren auch auf dem Weg, um den Grenzort einzunehme­n.“Das habe man verhindern müssen. Auch andere Kommandeur­e der an der Jarablus-Offensive beteiligte­n Milizen bestätigen die Aussagen Berris. Die Türkei hat den IS scheinbar als Vorwand benutzt, um eine Front innerhalb Syriens gegen die YPG und ihre Verbündete­n zu eröffnen. Mit ihrem direkten militärisc­hen Eingreifen wird die Türkei das Chaos und das Leiden der Zivilbevöl­kerung in Syrien sicher nicht beenden. Im Gegenteil, sie könnte eine neue Eskalation der Gewalt provoziere­n, und zwar zwischen Rebellen und den Kurden.

Absurde Lage: US-freundlich­e und türkische Milizen gegen den IS und alle gegeneinan­der.

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