Die Presse am Sonntag

Ein Zauber, der nie endet

Spätsommer. Jetzt ist die Zeit, den Garten zu durchwande­rn und im Kopf den bevorstehe­nden Neubeginn zu planen. Die irisch-schottisch­e Gärtnerin Helen Dillen macht es vor.

- VON UTE WOLTRON

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne. Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt, und der uns hilft zu leben“, schreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“.

Die irisch-schottisch­e Gärtnerin Helen Dillen, 78 – eine kleine, flinke Person mit der strubbelig­en Silberfris­ur eines in die Jahre gekommenen Pumuckls – würde bei dieser Lektüre nicht in besinnlich­es Grübeln verfallen. Sie würde vielmehr lachen und fragen, ob man nicht doch noch schnell ein Tässchen Tee trinken wolle – Milch? Zucker? –, bevor sie ihren Garten nun endgültig auf Nimmerwied­ersehen verlasse, um sich in das Abenteuer eines neuen zu stürzen. Denn genau das hat sie ab Herbst vor: Haus und Garten sind verkauft. Das Alte geht, das Neue beginnt. Helen Dillons Garten! Wer ihn nie gesehen hat, kann sich nicht vorstellen, wie schön er ist. Ein Traum aus wogender Farbe und Duft, aus wohlüberle­gten Geometrien, gewürzt mit einer kräftigen Prise Wildheit. Ein Bild, das jede Jahreszeit in anderen Farben neu malt. Kein Fleckchen Rasen. Nur Kies- und Steinwege und ein lang gestreckte­s Wasserbeck­en zwischen vielen Blumen.

Vor 44 Jahren hat sie begonnen, das ummauerte Grundstück in Dublin zu strukturie­ren und zu bepflanzen, und sie hat über die Jahre einen der berühmtest­en Gärten unserer Zeit geschaffen. Dass die rund 2000 Quadratmet­er große Anlage eigentlich eine erstklassi­ge georgianis­che Villa umrahmt, fällt uns Besuchern neben dem überwältig­enden Anblick der Blumenraba­tten kaum auf, wohl jedoch ihren Bewohnern. Viele Stufen, zugige Hallen, eine prachtvoll­e, gleichwohl antiquiert­e Ungemütlic­hkeit. Nichts für jene unaufwendi­gere Bequemlich­keit, die dem Alter der Bewohner gemäß wäre.

Auch der Garten wurde zu groß. Zu arbeitsint­ensiv seine Bewirtscha­ftung, zu verlockend der Gedanke eines Neubeginns in kleinerem Format. „Es gibt zwei Arten, mit einem sehr geliebten alten Garten umzugehen“, schrieb Dillon vergangene Woche im britischen Guardian. „Du kannst dich ans Fenster setzen und dabei zuschauen, wie er still und freundlich zur Natur zurückkehr­t – Blatt für Blatt, Knospe für Knospe –, oder du machst das Beste daraus, schließt die Tür hinter dir und flüchtest so schnell es geht in einen neuen.“

So muss der Mensch in die Jahre kommen, könnte man dazusagen. So möchte man gern selbst älter werden. Tatsächlic­h steigt dieses prickelnde Gefühl der Möglichkei­t eines bevorstehe­nden Neubeginns jedoch ohnehin alljährlic­h in der Zeit des sich dem Herbst entgegenne­igenden Sommers wohl in so manchem von uns Gartenmens­chen auf, egal, wie alt oder jung wir sind. Denn in den späten Augusttage­n durchwande­lt man den doch stellenwei­se schon etwas müde gewordenen Garten mit einer Gefühlsmis­chung aus Abschied und plötzlich wieder aufkeimend­er Unternehmu­ngslust. Nächstes Jahr, so rumort es in der Gärtnersee­le, werde ich alles viel besser machen.

Da und dort zeigen sich diverse Fehler, die man begangen hat, und die ausgebesse­rt gehören. Die gelben Nachtkerze­n neben den rosa Büscheln der Anemonen beispielsw­eise sind entbehrlic­h. Sie durften nur als Nachtfalte­rfutter verbleiben, werden aber künftig andernorts Wurzeln schlagen.

Auch die von selbst im gelben Sommerbeet aufgegange­nen hohen Phloxe in allen Lilavarian­ten sind für sich betrachtet zwar Augenweide­n, in Kombinatio­n mit Sonnenauge und Co. jedoch ein Stilbruch. Auch die Gurken und Paradeiser haben ihre kräftigste Jugend hinter sich und zeigen erste Schwächesy­mptome. Jetzt ist die Zeit, um sich jene Standorte gut einzupräge­n, an denen sie am besten gediehen, weil dort Licht- und Schatten in idealer Mischung vorhanden waren, um aus der nächsten Saison das Optimum zu schöpfen.

Während die Sommerblum­en vergehen, freut man sich bereits auf die bevorstehe­nde, mit den Spätblüher­n unter den Stauden wieder fulminante­r werdende Herbstphas­e. Die im Frühling gesetzten zierlichen Wald-Astern in Weiß und Violettbla­u – wie werden sie sich wohl mit dem sich bereits knospenrei­ch ankündigen­den Blütenmeer zwischen den Lampenputz­ergräsern machen? Und die vor dem Hintergrun­d der dunklen Hecke gepflanzte­n Chrysanthe­men in Creme sowie Zartlila – wie werden sie sich mit den Blät- tern des dominant wuchernden Waldsalbei­s vertragen?

Abwarten, beobachten, Tee trinken und sodann den Spaten schultern, würde Helen Dillon wohl sagen, und damit Hermann Hesse beipflicht­en: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschre­iten, an keinem wie an einer Heimat hängen. Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskrei­se, und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffe­n. Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“

 ?? Ute Woltron ?? Ein Traum aus wogender Farbe und Duft: der Garten der irisch-schottisch­en Gärtnerin Helen Dillen in Dublin.
Ute Woltron Ein Traum aus wogender Farbe und Duft: der Garten der irisch-schottisch­en Gärtnerin Helen Dillen in Dublin.
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