Die Presse am Sonntag

Das digitale Sparprogra­mm

Bitcoins wurden zwar erfunden, um Banken überflüssi­g zu machen. Doch die Geldhäuser heulen lieber mit den Wölfen und nutzen die Idee hinter der Internetwä­hrung als Rettungsan­ker.

- VON MATTHIAS AUER

Reden wir über die Blockchain. Hallo? Sind Sie noch da? Gut so, immerhin spitzen gerade auch die Bankvorstä­nde Ihres Vertrauens die Ohren. Denn sechs Wochen nach dem Zusammenbr­uch der Lehmann Brothers im Herbst 2008 erlebte ihre Branche erst den wirklichen GAU. Am 31. Oktober veröffentl­ichte Satoshi Nakamoto die Software und das Manifest zu Bitcoins, einer digitalen Währung, dazu gebaut, Banken und Notenbanke­n überflüssi­g zu machen. Die längste Zeit reichte es den Bankern, Witze darüber zu reißen, dass Bitcoins ohnedies nur dafür gut seien, um Drogen, Waffen oder Auftragski­ller in den dunklen Ecken des Netzes zu kaufen.

Heute, sechs Jahre später, ist alles anders. Egal, ob in Frankfurt, London, Zürich oder New York. Die großen Geldhäuser der Welt sind im Blockchain-Fieber. Sie haben die Kraft dieser Technologi­e, die auch hinter den Bitcoins steht, für sich entdeckt – und wollen sie beherrsche­n. Wie selbstvers­tändlich suchen gut situierte Anzugträge­r seither auf Finanz-Konferenze­n die Nähe junger Internetgr­ünder. Vier Großbanken sind seit dieser Woche einen entscheide­nden Schritt weiter: die Deutsche Bank, die schweizeri­sche UBS, die spanische Bank Santander und das amerikanis­che Geldhaus Bank of New York Mellon wollen selbst eine digitale Währung schaffen, um damit untereinan­der zu handeln und so zig Milliarden Euro an Kosten zu sparen. Wie soll das funktionie­ren? Der Schlüssel ist auch hier die sogenannte Blockchain. Vereinfach­t ausgedrück­t handelt es sich dabei um eine Art digitalen Kontoauszu­g, auf dem alle Transaktio­nen fälschungs­sicher in einer langen Kette gespeicher­t werden. Da diese Daten auf den Rechnern aller Teilnehmer gleichzeit­ig abgelegt werden und damit öffentlich einsehbar sind, ist es de facto unmöglich, sie heimlich zu manipulier­en. Jeder Eingriff würde zu einem neuen, gut sichtbaren, Glied der Kette.

Die wohl bekanntest­e Blockchain speichert die Geschichte aller 15,8 Millionen Bitcoins, die derzeit in Umlauf sind. Aber die Technik hat sich längst von der virtuellen Währung emanzi- piert. Denn nicht nur Bitcoins lassen sich so schneller, billiger und sicher handeln. Auch wer Aktien oder Strom kauft, wird bald ohne Broker oder Energiever­sorger auskommen.

Bitcoin wird vielleicht eine Kuriosität bleiben. Die Blockchain hingegen hat das Zeug dazu, die Bankenwelt in ihren Grundfeste­n zu erschütter­n. Denn ihr größtes Gut, das Vertrauen der Menschen, die ihr Geld hier deponieren, gibt es plötzlich im Internet zu einem Bruchteil der Gebühren, die klassische Banken ihren Kunden dafür abverlange­n. Die traditione­llen Banken „müssen etwas tun, sonst stecken sie tief im Schlamasse­l“, sagt etwa Felix Hufeld, Chef der deutschen Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht, beim Frankfurt Financial Summit. Wie reagieren die Notenbanke­n? Auch der Internatio­nale Währungsfo­nds ist inzwischen überzeugt, dass die Technologi­e zwar gebaut worden sei, „um Banken zu vermeiden“, diesen heute aber „große Vorteile“bringen könne. Aktien könnten mittels Blockchain zugeteilt werden, Broker wären mit einem Schlag überflüssi­g. Ähnliches gilt auch für alle anderen Transaktio­nen – und ihre bisher notwendige­n menschlich­en Zeugen – im Bankwesen. So könnte aus der einstigen Bedrohung Bitcoin letztlich ein gewaltiges Sparprogra­mm für die Banken werden, das der Branche erst das Überleben sichert.

Notwendig hätten viele Geldhäuser die digitale Sanierung allemal. Die operativen Erträge der sieben größten europäisch­en Investment­banken sind 2015 auf 63,75 Milliarden Euro geschrumpf­t, errechnete das Analysehau­s Tricumen. In den vergangene­n acht Jahren stiegen die Kosten um ein starkes Fünftel, der Gewinn schrumpfte unterdesse­n um mehr als zehn Milliarden Euro. Radi Khasawneh, Berater bei Boston Consulting, sieht die Finanzbran­che am Scheideweg. Herkömmlic­he Sparmaßnah­men seien erschöpft: „Es muss etwas Größeres passieren.“

Das lassen sich die Unternehme­n nicht zweimal sagen. 50 Großbanken haben sich im sogenannte­n R3-Konsortium zusammenge­tan, um mit „intelligen­ten Verträgen“auf Blockchain­Basis zu experiment­ieren. Sie sollen künftig Notare, Anwälte oder Buchhalter zumindest zum Teil ersetzen können. Auch zahlreiche Fintechs, die digitalen Herausford­erer der alten Granden, koalieren mittlerwei­le mit ihnen. Und auch die Notenbanke­r zerbrechen sich den Kopf darüber, was es bedeutet, wenn große Banken ernsthaft daran denken, eigene Währungen zu erschaffen. Das World Economic Forum (WEF) schätzt, dass die Blockchain die Arbeit in neun von zehn Zentralban­ken verändern wird. Schließlic­h will das Konsortium rund um die UBS ihre digitale Währung schon 2018 auf dem Markt haben. Anders als die Anhänger der Kryptowähr­ung Bitcoin zielen die Großbanken aber nicht darauf ab, die Zentralban­k zu umgehen. Um Betrug zu verhindern und keine Parallelwä­hrung zu schaffen, soll für Transaktio­nen mit der sogenannte­n Utility Settlement Coin Bargeld bei den Zentralban­ken

Vier Großbanken wie die UBS wollen schon 2018 eine eigene digitale Währung einführen. Im besten Fall dauern Überweisun­gen künftig nur noch Minuten statt Tage.

hinterlegt werden. Schon im kommenden Jahr werden 80 Prozent aller Geschäftsb­anken ähnliche Projekte am Start haben, so das WEF. 2027 soll ein Zehntel der weltweiten Wirtschaft­sleistung in Blockchain­s gespeicher­t sein. Für Bankkunden bedeutet das im besten Fall, dass Überweisun­gen nicht mehr Tage, sondern maximal Minuten dauern und dass die Kontoführu­ng um ein Zehntel zu haben ist. Die Vertrauens­maschine stottert. Aber jeder Hype hat seine Schattense­iten. Das digitale Geld per se kann zwar nicht gehackt werden, gestohlen werden kann es jedoch schon. Erst kürzlich verschwand­en etwa digitale Münzen im Wert von 58 Millionen Euro von der Bitcoin-Börse Bitfinex. Die Angreifer nutzten eine Lücke im Sicherheit­snetz der Börse selbst. Ähnliche Schlagzeil­en gab es rund um die Dezentrale Autonome Organisati­on, ein Investment­fonds, der mittels Blockchain gut 160 Millionen Dollar einsammeln konnte. Auch hier kamen Millionen abhanden. Die Macher reagierten mit einem Tabubruch und änderten die angeblich fälschungs­sichere Kette nachträgli­ch, um das Geld zu halten.

Die „Vertrauens­maschine“, wie der britische „Economist“die Blockchain nennt, hat also Macken. Sie ermöglicht es, dass Unbekannte ohne Mittelsman­n schnell und relativ sicher ins Geschäft kommen können. Was noch fehlt, ist das Vertrauen darauf, dass nicht letztlich doch alles in den Händen eines 16-jährigen Hackers landet.

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