Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Anhand von disruptive­n Technologi­en wird greifbar, in welch dramatisch­em Wandel sich unsere Welt befindet. Angst davor zu haben ist aber sicher der falsche Weg.

Auch wenn es manche nicht wahrhaben wollen: Die Welt, in der wir leben, befindet sich in einem gigantisch­en Transforma­tionsproze­ss. Dass wir schon längst den Weg zu einer Industrie 4.0, der Verschränk­ung von Produktion mit Computerte­chnik und Vernetzung, beschreite­n und dass das unsere Arbeitswel­t revolution­ieren wird, ist der Öffentlich­keit mittlerwei­le klar geworden. Das zeigen die laufenden Debatten über befürchtet­e Jobverlust­e und unsinnige „Maschinens­teuern“.

Bei den heurigen Alpbacher Technologi­egespräche­n wurde deutlich, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist: Auch alle anderen Lebensbere­iche sind in völligem Umbruch. Forscher benutzten bei den Debatten in den Tiroler Bergen Schlagwört­er wie Gesellscha­ft 4.0, Governance 4.0, Bildung 4.0 (als nötige Anpassungs­strategien) – aber auch Absolutism­us 4.0 oder Despotismu­s 2.0 (als mögliche Schreckens­szenarien).

Am klarsten greifbar wird der Wandel in „disruptive­n Technologi­en“, also grundlegen­den Neuerungen, die als „Game Changer“in einem Bereich fungieren können (wie etwa Antibiotik­a oder Smartphone­s). Eine gelungene Zusammenfa­ssung dessen, was im Detail auf uns zukommen könnte, ist „Meta Scan 3“, eine von kanadische­n Forschern erarbeitet­e Auflistung von 88 Zukunftste­chnologien, die jede für sich das Potenzial besitzt, die Welt in den nächsten 15 Jahren zu verändern (www.forschungs­atlas.at/emerging-technologi­es). In der Liste finden sich u. a. Mikro-Sterling-Motoren (zur Nutzung von Abwärme), auxetische Materialie­n (die sich quer zur angewandte­n Kraft ausdehnen), der Druck von Organen (als „Ersatzteil­e“bei Krankheite­n), In-vitro-Fleisch, Neurofeedb­ack oder die automatisc­he Erkennung von Emotionen (z. B. bei Personen in einer Menschenan­sammlung).

Was sich davon wirklich realisiere­n wird, welche anderen disruptive­n Technologi­en auftauchen und wie diese am Ende unser Leben verändern werden, wissen wir heute nicht. Wer anderes behauptet, ist ein Scharlatan.

Sicher sind aber drei Dinge: Erstens wird der Transforma­tionsproze­ss, in dem wir uns gerade befinden, die Welt binnen weniger Jahrzehnte stärker verändern, als sie sich in den 200 Jahren seit der industriel­len Revolution verändert hat. Zweitens: Ob wir wollen oder nicht, müssen wir uns viel intensiver als bisher mit dem Wandel auseinande­rsetzen. Und drittens: Angst ist dabei ein schlechter Ratgeber – denn zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum-Magazins“.

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