Die Presse am Sonntag

Die hohe Kunst, das eigene Spiel aufzuziehe­n

Geht es nach Günter Bresnik, hat Dominic Thiem bei den US Open eine sehr gute Auslosung – nun liege es an ihm.

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Im Jänner 2016, als niemand damit rechnete, hatte das lange Warten ein Ende. Erstmals seit Graf bei den French Open 1999 triumphier­te mit Angelique Kerber wieder eine deutsche Spielerin auf Major-Ebene. Kerber hatte mit ihrem Endspieler­folg bei den Australian Open über die klar favorisier­te US-Amerikaner­in Serena Williams für die größte deutsche Tennissens­ation nach Boris Beckers Wimbledon-Sieg 1985 gesorgt. Über Nacht erwachte eine ganze Nation, die einst so verrückt nach der gelben Filzkugel war, aus ihrem 17-jährigen Dornrösche­nschlaf. Für den neuen Star hagelte es Glückwünsc­he aus der Heimat, auch von Angela Merkel. „Es war fasziniere­nd, wie unerschroc­ken und nervenstar­k Sie sich im Finale gegen die wohl beste Spielerin der Welt durchgeset­zt haben“, ließ die Kanzlerin wissen.

Durch diesen unerwartet­en Coup stieß Kerber in völlig neue Sphären vor. „An diesem Abend ist mein Traum wahr geworden“, sagte die 28-Jährige, die trocken bemerkte: „Grand-Slam-Champion bleibe ich für den Rest meines Lebens.“Einen nicht unbeträcht­lichen Anteil an ihrem Aufstieg hat ausgerechn­et das Idol ihrer Jugend, Steffi Graf. Im Frühjahr 2015 hatte Kerber der 22-fachen Grand-Slam-Siegerin, die das aktuelle Geschehen auch nach ihrer Karriere stets aufmerksam verfolgte, ein Mail geschriebe­n. „Steffi hat mir häufig gesagt, dass ich bei ihr immer willkommen bin. Dass sie mir helfen würde.“Grafs Antwort folgte prompt, nur kurze Zeit später standen beide gemeinsam in Las Vegas, wo Graf mit ihrem Gatten Andre Agassi lebt, auf dem Platz. Acht Tage wurde trainiert, analysiert, über Details gesprochen. „Ich spürte, dass sie mir unglaublic­h viel geben kann“, sagte Kerber danach. „Sie hat meine Zweifel zerstreut.“ Am Scheideweg. Tatsächlic­h wurde sich die gebürtige Bremerin ihres Leistungsv­ermögens erst relativ spät bewusst. Im Sommer 2011 stand sie am Scheideweg ihrer Karriere, in Wimbledon hatte sie die bereits zehnte Auftaktnie­derlage in diesem Jahr kassiert. „Vor jedem Match sagte ich mir: Bitte nicht, bitte nicht noch einmal in der ersten Runde ausscheide­n. Aber mit dieser Einstellun­g verlierst du natürlich erst recht.“Die Linkshände­rin hatte den Spaß am Spiel verloren, der Glaube an den Durchbruch wich Versagensä­ngsten. „Ist Tennis noch das Richtige?“, fragte sich Kerber, die ernsthaft mit dem Gedanken spielte, den Schläger für immer in die Ecke zu stellen und eine Ausbildung zur Physiother­apeutin zu machen. Sie tat es nicht, erfand sich stattdesse­n als Tennisspie­lerin neu. Kerber stellte Training und Spielweise um, verzichtet­e auf Süßigkeite­n und suchte nun täglich den Weg in die Kraftkamme­r. „Ich sah Serena (Williams, Anm.) und andere Spielerinn­en, die immer fitter und fitter wurden. Ich wusste, ich muss etwas machen.“Heute zählt Kerber zu den fittesten Spielerinn­en auf der Tour.

Der Triumphzug in Australien hat aus der Tochter polnischer Einwandere­r eine neue Spielerin geformt. „Ich werde jetzt ganz anders wahrgenomm­en“, sagt sie und verspürt Anerkennun­g. „Es hat ein bisschen gedauert, aber die Leute zeigen jetzt auch, dass sie meine Leistung respektier­en und schätzen. Ich habe mir das über die Jahre erarbeitet, jetzt genieße ich diese Situation.“

Die laufenden Saison hat sich zu einem packenden Zweikampf mit Serena Williams entwickelt. Für die Niederlage in Melbourne revanchier­te sich die 34-Jährige mit einem Finalsieg in New York. Eine gute Auslosung: Zum Abschluss seines dritten vollen MajorJahre­s hat Dominic Thiem bei den US Open bei der Ziehung des Auftaktgeg­ners Glück gehabt. Der 22-Jährige profitiert­e von seiner Setzung als Nummer acht und bekam zum Auftakt den Australier John Millman zugelost. Sollte sich der Niederöste­rreicher durchsetze­n, trifft er entweder auf Ricardasˇ Berankis aus Litauen oder den Tunesier Malek Jaziri.

Es ist ein rasches Wiedersehe­n mit dem 27-jährigen Millman: Erst in der Vorwoche hatte Thiem in Cincinnati den Weltrangli­sten-81. mit 7:5, 6:1 besiegt. „Er hat einen guten Aufschlag, spielt von der Grundlinie aber nicht so schnell. Er ist nach der Papierform ein Spielertyp, der Dominic entgegenko­mmen sollte“, sagt Coach Günter Bresnik. Im Halbfinale von Winston-Salem unterlag der Australier dem Spanier Wimbledon. Kerber verpasste die Möglichkei­t, als erste Deutsche nach 20 Jahren (Graf ) den Titel gewinnen zu können. „Obwohl ich verloren habe, hat mir dieses Match die Gewissheit gegeben, dass ich endgültig angekommen bin. Ich weiß, dass ich noch weitere Finale spielen kann, auch mit einem anderen Ausgang.“ Rütteln am Thron. Bei den am Montag beginnende­n US Open in New York erwartet die Tenniswelt eine Fortsetzun­g dieses elektrisie­renden Duells. Dabei steht nicht nur der letzte Grand-SlamTitel des Jahres auf dem Spiel, auch der Tennis-Thron ist umkämpft. Noch hat Williams 190 Punkte Vorsprung auf Kerber, die allerdings die bessere Ausgangspo­sition im Big Apple hat. Kerber würde Williams nach den US Open überholen und als erste Deutsche seit Graf 1997 die Weltrangli­ste anführen, wenn ihre Konkurrent­in das Halbfinale Pablo Carren˜o mit 4:6, 6:7. Bresnik aber warnt: „Das ist ein gestandene­r Profi, kein junger Qualifikan­t!“In Flushing Meadows hat Millman die zweite Runde noch nie erreicht.

Über die Auslosung könne man sich, so der Trainer, grundsätzl­ich aber „nicht beschweren“. Das liege auch an den guten Saisonerge­bnissen Thiems. Auf eine Nummer acht des Turniers würden anfangs eben weniger spektakulä­re Gegner warten. „Spielerisc­h sollte Dominic diesen Gegnern überlegen sein. Es geht darum, dass er sein Spiel aufzieht und das konsequent durchzieht“, erklärte Bresnik.

Physisch sei sein Schützling, der vor seinem Comeback in Cincinnati nach einer Schleimbeu­telentzünd­ung in der linken Hüfte drei Wochen pausieren musste, wieder auf der Höhe. Zuletzt trainierte der Lichtenwör­ther auf Long Island. „Er macht einen guten

Angelique Kerber,

in Bremen geboren und in Kiel aufgewachs­en, kam durch ihre Eltern. zum Tennis. Vater Slawek trainierte sie, Mutter Beate ist bis heute ihre Managerin. Kerber lebt in Puszczykow­o, Polen, wo ihr Großvater ein Tenniscent­er besitzt, das er Angie nannte. Bei den US Open kann Kerber die Spitzenpos­ition in der Weltrangli­ste übernehmen, Serena Williams führt diese seit 183 Wochen an. Den Rekord hält Steffi Graf mit 186 Wochen. nicht erreicht. Sollte die 28-Jährige ihrerseits ins Viertelfin­ale kommen, müsste Williams schon das Endspiel erreichen, um ihre Spitzenpos­ition zu verteidige­n. Außenseite­rchancen auf die Nummer eins haben auch die Spanierin Garbine Muguruza und Polens Agnieszka Radwan´ska.

Noch hat Williams 190 Punkte Vorsprung auf Kerber, die aber die bessere Ausgangsba­sis hat.

Kerber hätte bereits vergangene Woche beim Turnier in Cincinnati an Williams vorbeizieh­en können, verlor aber das Endspiel gegen die Tschechin Karolina Pl´ıskovˇa.´ In New York bietet sich eine neue Chance. „Ich funktionie­re nicht, wenn ich mir zu hohe Erwartunge­n setze“, sagt Kerber. „Wenn es passiert, passiert es.“ Eindruck!“In der dritten Runde, im Kampf um den Achtelfina­leinzug, könnte Thiem auf einen gesetzten Spieler treffen. Setzen sich die Favoriten durch, dürften entweder der als Nummer 29 im Turnier stehende Local Hero Sam Querrey oder der Serbe Janko Tipsarevic´ warten. Geht die Reise bis ins Viertelfin­ale, könnte Thiem auf Olympia-Silbermeda­illengewin­ner Juan Mart´ın del Potro (ARG) oder David Ferrer (ESP-11) treffen. Im dritten Anlauf! Barbara Haas hat heuer erstmals die Qualifikat­ion für ein Grand-Slam-Turnier geschafft. Nachdem die 20-Jährige bei den French Open und in Wimbledon jeweils in der dritten Runde gescheiter­t war, nahm sie bei den US Open die letzte Hürde. Sie besiegte die Slowakin Jana Cˇepelova´ mit 6:2, 6:4 und trifft nun auf die Ungarin T´ımea Babos.

 ?? APA ?? Titel bei den Australian Open, Finale in Wimbledon, dazu olympische­s Silber in Rio: Angelique Kerber gelang 2016 der Vorstoß in die absolute Weltspitze.
APA Titel bei den Australian Open, Finale in Wimbledon, dazu olympische­s Silber in Rio: Angelique Kerber gelang 2016 der Vorstoß in die absolute Weltspitze.

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