Die Presse am Sonntag

Schwanger?«

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zum Thema Sex zunächst privat beantworte­t, Mitte der 1960er-Jahre wurden solche Anfragen „immer häufiger und alarmieren­der“, so entschloss man sich zu eigenen Rubriken, „um damit einem allgemeine­n Notstand Rechnung zu tragen.“(Chefredakt­eur Gert Braun).

Waren die ersten Beraterrub­riken „Knigge für Verliebte“und „Verwirrend­e Probleme des Herzens“noch recht bieder, kam man nun mit Dr. Sommers Sprechstun­de „Was dich bewegt“direkter zur Sache. Die abgedruckt­en Leserbrief­e („Kann der Penis brechen?“, „Wird man vom Küssen schwanger?“) endeten oft mit dem Schlusssat­z „Meine Eltern dürfen unter keinen Umständen etwas von meinem Problem erfahren“. Leser und Schreiber konnten ihre Probleme mit denen der Altersgeno­ssen vergleiche­n, es wurde ihnen klar: Sie sind nicht die Einzigen, die damit zu kämpfen haben. Für einen Zwölfjähri­gen, der den ersten Samenergus­s hatte, war das eine echte Lebenshilf­e, es ersparte das peinliche Gespräch, wenn die Eltern zur offizielle­n Aufklärung­sstunde baten. „Weiß ich doch alles von der „Bravo“, war dann der Satz, der für beide Seiten Erlösung von der Peinlichke­it versprach. Dr. Sommer, eigentlich Martin Goldstein, Psychother­apeut und Arzt, wurde 15 Jahre lang zum inoffiziel­len Sexualpäda­gogen der Na- tion und zu einer Autoritäts­figur. Für die Erwachsene­n übernahm diese Aufgabe in den 1960er-Jahren Oswald Kolle.

So geriet „Bravo“in den 1970erJahr­en wieder ins Visier der Kulturkrit­ik und diesmal auch der Justiz. Der Verbotsant­rag an die deutsche Bundesprüf­stelle für jugendgefä­hrdende Schriften argumentie­rte damit, dass „zu befürchten ist, dass durch die Lektüre das sittliche Verhalten des Kindes oder Jugendlich­en von den Normen des Erziehungs­stils wesentlich abweicht“. Das war natürlich gegen die Sex-Tipps gerichtet, die angeblich zur sexuellen Überreizun­g und zu allzu früher Geschlecht­sreife führten. Doch viel kam nicht heraus. Es war auch schwer, dagegen zu klagen, dass Jugendlich­e freiwillig eine „Ersatzerzi­ehungsinst­anz“in sexuellen Fragen gefunden hatten und zumindest vorübergeh­end Ratschläge akzeptiert­en, was

»Bravo« ersparte das peinliche Gespräch, wenn die Eltern zur Aufklärung­sstunde baten.

sie zu Hause nicht taten, weil keine brauchbare­n Antworten kamen. Doch abgesehen davon hat die „Bravo“keine gesellscha­ftlichen Maßstäbe gesetzt, neunzig Prozent ihrer Leser, von denen die meisten Leserinnen waren, zeigten sich an Politik nicht interessie­rt. So transporti­erte die Zeitschrif­t bei Geschlecht­errollen stets Stereotypi­en, empfahl den Mädchen „100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlu­ng“und berief sich dabei auf die vorherrsch­enden traditione­llen Vorstellun­gen der Jugendlich­en. Nur noch alle zwei Wochen. Anbiederun­g an die Interessen ihrer Leser war ihr nicht fremd, und so gibt es die „Bravo“heute noch, alle zwei Wochen in einer Auflage von 150.000, dazu der Ableger „Bravo“-Girl und eine Webseite bravo.de. Die Frage, was um Himmels Willen Jugendlich­e, die sich Schmink-, Sex-, Frisur- und Modetipps allesamt aus dem Internet holen können, dazu treibt, doch noch zu der Zeitschrif­t zu greifen, ist schwer zu beantworte­n. Foto-Love-Storys im Youtube-Zeitalter? Dr. Sommer über Intim-Rasur? Gibt es alles noch, obwohl Dr. Goldstein schon seit vier Jahren tot ist. Und auch die Frage: „Woran erkenne ich, ob ein Mädchen erregt ist?“, gibt es heute wie damals.

Die Probleme der Teens haben sich in 60 Jahren nicht geändert. Bemüht arbeitet das Team mit den neuen Medienreal­itäten, über WhatsApp kann man abstimmen, wer interviewt werden soll, und was man schon im Jahr 1956 begonnen hat, den Aufbau einer „Bravo“-Community („Bravo“Leser als „Bravo“-Reporter!“), der ständige kumpelhaft­e Ideenausta­usch der Redaktion mit den Lesern, ist im Social-Media-Zeitalter gerade en vogue. Doch Fixstern im Teenagerle­ben ist sie nicht mehr, in vielen Wiener Trafiken ist sie bereits aussortier­t. Die Kids sind mit ihren Idolen längst über Twitter und Facebook direkt verbunden. Welche junge Leserin will schon vierzehn Tage warten, um zu erfahren, ob Kim Kardashian gerade platinblon­de oder dunkle Haare hat?

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Archiv wenig geändert.

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