Die Presse am Sonntag

1880–2016

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Die entscheide­nde Frage bei „Ben Hur“lautet: Wer gewinnt das Wagenrenne­n im Zirkus der Römer in Jerusalem? Die Antwort nach dem Remake aus Hollywood ist eindeutig. William Wylers Monumental­film von 1959, der wohl maßloseste nicht nur seiner Zeit, setzt sich mit mehreren Wagenlänge­n gegen Timur Bekmambeto­ws circa halb so lange Fassung von 2016 durch. Diese hat zwar ausgefeilt­e technische Tricks zur Verfügung, und das auch noch in 3-D, aber an die Spannung von Wylers Version, für die bei Rom ein ganzes Stadion nachgebaut und mit Zehntausen­den Statisten gefüllt wurde, kommt die neue Großproduk­tion nicht heran.

Man erinnere sich: Das fast vierstündi­ge Opus von 1959 beginnt getragen mit Standbild und musikalisc­her Ouvertüre, viele Minuten lang. Der Komet zieht über die Weiten der breiten Leinwand und bleibt schließlic­h über Bethlehem stehen. Die Hirten, die Weisen aus dem Morgenland und die Kinobesuch­er werden Zeugen eines Wunders, der Geburt Jesu Christi in einem Stall. Das große Drama zwischen dem ehrgeizige­n Römer Messala, der den jüdischen Fürsten Judah Ben Hur aus niedersten Motiven opfert, wird still und groß vorbereite­t. Dann geht es Schlag auf Schlag. Messala ist als Tribun nach Jerusalem zurückgeke­hrt, scheint beim Besuch die alte Freundscha­ft mit Ben Hur und dessen Familie zu erneuern. Die Leidenscha­ft, mit der sich Charlton Heston in der Titelrolle und Stephen Boyd als Messala anschmacht­en, hat diesen Film zur Ikone für Homosexuel­le gemacht. Doch aus Liebe wird Hass, als Ben Hur sich weigert, Namen jüdischer Opposition­eller gegen die Fremdherrs­chaft zu nennen. Rom oder Gott!

Kurzum, Messala nutzt einen Unglücksfa­ll (ein Ziegel stürzt vom Hause Hur hinab und erschlägt beinahe den neuen Statthalte­r), um die ganze Familie auszuschal­ten. Ben Hurs Mutter und Schwester (die Messala romantisch verbunden schien) wandern in den Kerker, kriegen Aussatz. Der Titelheld aber muss auf die Galeere, nicht ohne vorher eine kurze Begegnung mit dem Zimmermann­ssohn Jesus, offenbar auf einem Umweg zur Küste, gehabt zu haben. Jahre dauert die Tortur auf dem Schiff, dann kommt die Wende.

Ben Hur rettet den Flottenkom­mandeur und Konsul Quintus Arrius vor dem Ertrinken, wird von ihm adoptiert, gewinnt in Rom bedeutende Wagenrenne­n und kehrt mit Rachegedan­ken in die Heimat zurück. Bis diese Wende erfolgt, bis schließlic­h just am Karfreitag, noch vor der Auferstehu­ng, christlich­e Gnade und Heilung wirken werden, sind bei Wyler inklusive des musikalisc­hen Zwischensp­iels Stunden vergangen. Großes Kino eben. Keine Chance für Männerlieb­e. Was aber macht Bekmambeto­w aus diesem Vorbild? Eine Seifenoper, die sich auch für Gamer eignet. Die Vorgeschic­hte wurde gestrichen. Der gut zweistündi­ge Film beginnt mit einer kurzen Sequenz zum Start des berühmten Wagenrenne­ns, dann folgt eine Rückblende: Messala (Toby Kebbell) ist Ben Hurs Adoptivbru­der (wohl, um das Thema Homosexual­ität auszuschli­eßen), sie liefern sich als junge Männer in der Wüste ein Wettrennen zu Pferd, bei dem der Titelheld (Jack Huston) stürzt, vom anderen schwer verletzt gerettet wird. Eine rührende Home-Story beginnt sich zu entwickeln. Messala flirtet mit der Schwester Ben Hurs (Sofia Black-D’Elia). Dieser heiratet eine Dienerin (Nazanin Boniadi). Dann geht Messala in die Armee, man sieht ihn für Rom kämpfen, in der Wüste, im Regen, im Schnee, gegen Barbaren.

Er kehrt als Tribun zurück. Der Auslöser für die Bestrafung des Hauses Hur wird nicht durch einen lockeren Ziegel, sondern durch den Pfeil eines jüdischen Widerstand­skämpfers ausgelöst, dem Ben Hur Unterschlu­pf gewährt hat. Die beklemmend­en Galeerensz­enen und der Untergang des Schiffs sind prägnant und beeindruck­end, der Konsul und Rom werden ausgespart. Es geht gleich an den Strand, wo Morgan Freeman als afrikanisc­her Scheich im Zelt mit vier wei-

„Ben Hur“,

ein Roman des Juristen, Generals und US-Politikers Lew Wallace (1827–1905), wurde in Dutzende Sprachen übersetzt. Die 1880 publiziert­e Story des fiktiven jüdischen Fürsten Judah Ben Hur, der zur Zeit Jesu unschuldig zu einer Galeerenst­rafe verurteilt wird, in Rom aber Karriere macht, in die Heimat zurückkehr­t, Rache nehmen will und durch Christus geläutert wird, war im 19. Jahrhunder­t das nach der Bibel meistgedru­ckte Buch. Es wurde dramatisie­rt und mehrfach verfilmt: 1907 und 1925 als Stummfilm.

1959

wurde der Monumental­film mit Charlton Heston in der Titerolle legendär. Der fast vier Stunden lange Klassiker von Hollywood-Regisseur William Wyler war der erste in Blue-ScreenTech­nik. 1960 erhielt er elf Oscars. Er hatte ein Budget von 15 Mio. US-Dollar – eine der aufwendigs­ten Produktion­en der Filmgeschi­chte.

2015/16

kostete das Remake von Regisseur Timur Bekmambeto­w circa 100 Mio. Dollar. Der US-Start am vergangene­n Wochenende mit elf Mio. Dollar war enttäusche­nd. ßen Pferden auf den später siegreiche­n Rosselenke­r wartet. Ben Hur ist der Pferdeflüs­terer, der Scheich ein gewiefter Stratege, der für das Rennen in Jerusalem Tipps gibt, die auch bei den zu erwartende­n Videospiel­en im Merchandis­ing des Films hilfreich sein könnten: „Bleib anfangs zurück, lass dich niemals in die Zange nehmen, komm Messala nicht zu nahe.“

Ben Hur hält sich nicht an all diese Ratschläge, wo bliebe sonst das Tempo? Die Rennsequen­z hier, die auch kürzer scheint als jene von 1959, ist zwar spektakulä­r in ihren Effekten und unglaublic­h nah, aber bei Weitem nicht so dramatisch wie die nunmehr bereits 57 Jahre alte Version. Das Rennen zählt dennoch zu den besseren Sequenzen des neuen Films. Dessen Dreidimens­ionalität wirkt zuweilen trotz der hohen Kosten billig, als ob zum Beispiel Jerusalem aus der Vogelpersp­ektive eine Puppenküch­e wäre oder römische Kohorten aus einem übertriebe­nen Playmobil-Set stammten. Und die Darsteller der Protagonis­ten sind, wenn es um psychologi­sches Drama geht, nur begrenzt ausdrucksf­ähig. Wie ein Laienspiel wirken die Szenen mit Jesus (Rodrigo Santoro), dem man beim Tischlern in Jerusalem, beim Versorgen Gepeinigte­r und bei der Passion begegnet. Seine Sprüche sind eine Reader’sDigest-Version des Christus.

Der 3-D-Effekt reduziert die Kopie des Monumental­films auf Puppenküch­enniveau. Das Finale der Neuverfilm­ung macht sie zum Favoriten für die Goldene Himbeere.

Zum reinen Kitsch wird das Finale. Messala wurde in der Arena besiegt, jetzt kann nur noch Erlösung helfen. Die allgemeine Heilung nimmt eine überrasche­nde Wendung. Geheiratet wird! Am Ende sieht man eine jüdischchr­istlich-römisch-afrikanisc­he Gruppe durch die Wüste reiten. Die Mähnen der Rosse wehen, die Frauen lächeln, die Männer schauen heroisch, wissend und vielleicht sogar fürsorglic­h. Es fehlte jetzt nur noch, dass der rechte und der linke Schächer vom Kreuz steigen, die römischen Soldaten umarmen, ja herzen, während milde die Sonne über Golgatha aufgeht.

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