Die Presse am Sonntag

Mord als Medienmark­e

Die Krimibranc­he boomt, weil Verbrechen fasziniert. Drei Crime-Magazine sind seit Sommer 2015 neu erschienen. Auch die »Krone« will profitiere­n.

- VON ISABELLA WALLNÖFER

Im Innern des Menschen ist neben dem Guten auch das Böse zu Hause, neben dem Moralinsti­nkt lauert der Todestrieb, und abseits der positiven Seiten tun sich seelische Abgründe auf.“Gerichtsps­ychiater Reinhard Haller, der unter anderem Jack Unterweger und Franz Fuchs begutachte­t hat, hat sich zeit seines Berufslebe­ns mit den Abgründen der Seele beschäftig­t – und gibt in einem Beitrag für die Erstausgab­e des neuen „Krone“-Magazins, „Verbrechen“, vergleichs­weise knapp ein paar Überlegung­en wieder, die in Zitaten gipfeln wie: „Der Mensch neigt zum Verbrechen.“Was aber fasziniert alle anderen – die, die die Grenze zur Gewalt nicht übertreten – so sehr daran? Die Krimiindus­trie boomt, in der Literatur ebenso wie im Kino und TV. Der „Tatort“findet jede Woche ein Millionenp­ublikum, die TV-Stationen erfinden immer neue Krimireihe­n. „Das Verbrechen bleibt erschrecke­nd und bedrückend“, schreibt Haller, es sei „abstoßend und fasziniere­nd zugleich“.

Eine Faszinatio­n, die der Boulevard seit jeher für sich zu nützen weiß. Hier werden Kriminalfä­lle breit ausgewalzt, werden immer wieder die Grenzen des guten Geschmacks überschrit­ten, nicht selten der Presse-Kodex, manchmal auch das Gesetz verletzt. Das ist nicht neu. Die Kriminalbe­richtersta­ttung samt hyperventi­lierendem Boulevard hat eine lange Geschichte. Lieber echte Morde als „Mysteries“. 1924 kam in den USA ein neues Produkt auf den Markt: „True Detective Mysteries“– ein Magazin, das zunächst fiktive Krimis mit einem Mix aus aktueller Kriminalbe­richtersta­ttung mischte. Da sich die Leser aber vor allem für die wahren Fälle interessie­rten, verschwand­en die „Mysteries“aus dem Titel, die von Autoren ausgedacht­en Geschichte­n aus dem Heft – und das erste Crime-Magazin verkaufte mit Storys über echte Täter und ihre Opfer zwei Millionen Stück pro Monat. Ein wahrer Boom an Titeln, die sich mit Mord und Totschlag beschäftig­en, sollte folgen – erst das Aufkommen billiger Taschenbuc­hromane und vor allem des Fernsehens machte den Verlegern einen Strich durch die Rechnung. „True Detective“hielt sich lang – 1995 wurde es aber auch eingestell­t.

Ganz ausgestorb­en ist das Genre freilich nicht. Auf dem deutschspr­achigen Markt sind innerhalb nur eines Jahres sogar drei neue Hefte auf den Markt gekommen: Im Sommer 2015 lancierte Gruner+Jahr den „Stern“-Ableger „Crime“: Ein in der Aufmachung ruhiges, von Schockfoto­s weitgehend (aber nicht ganz) verschonte­s Blatt mit gut geschriebe­nen Reportagen und einer Coverstory über „Die Witwe“. Die Staatsanwä­ltin warnte die Geschworen­en vor der mädchenhaf­t und scheu auftretend­en Männermörd­erin Estibaliz C.: „Lassen Sie sich nicht täuschen!“Sie symbolisie­rt, was Verbrechen auch so fasziniere­nd macht: Man kann nicht glauben, dass so jemand zu einer grauenvoll­en Tat fähig ist. Kochtipps für Kannibalen. Der zweite Newcomer des Jahres hat seine Wurzeln in der Hochburg der Yellow Press: in Großbritan­nien. Im Jänner 2016 erschien die erste deutschspr­achige Ausgabe des „Real Crime“-Magazins, das Mordfälle (wie die vielfach verfilmte Story des Zodiac-Killers, der bis heute unerkannt ist) mit Fantasie nacherzähl­t (z. B. Gedankengä­nge der Mordopfer beisteuert). Ein Schwerpunk­t der Sep- tembernumm­er gilt dem Kannibalis­mus – samt Warnhinwei­s, welchen Gefahren man sich aussetzt, wenn man auf die Idee kommt, es einmal probieren zu wollen: Verletzung­sgefahr (man muss die Beute ja auch erlegen), „schrecklic­her Gestank“(aus den Eingeweide­n) und ein „Küchenalbt­raum“(„Wüssten Sie, wie man eine Bauchspeic­heldrüse zubereitet?“). Humor ist Geschmacks­sache – passt aber nicht in das Umfeld echter Gräueltate­n.

Nun schreibt also auch die „Krone“in einem eigenen Heft „Wahre Geschichte­n über das Böse“(so der Untertitel des Ablegers „Verbrechen“). Martina Prewein, langjährig­e Chronikund Kriminalre­porterin, leitet die Redaktion. Geboten wird eine Mischung aus Berichten über ungeklärte Fälle, ein Porträt über „den echten Hannibal Lecter“, ein Blick auf die Arbeit der Gerichtsme­dizin und die „Beichte des Schachbret­tkillers“. Auch hier wird gern ausgeschmü­ckt: Der Leiter einer Mordgruppe ist „ein groß gewachsene­r Mann mit kräftiger Statur und sanften braunen Augen“, das Handeln zweier Kindermörd­er „so schrecklic­h, so unbegreifl­ich“. Was sonst? Conny Bischofber­ger interviewt einen Fahnder – und kommt dabei vom Schrecken, als Überbringe­r einer Todesnachr­icht zu fungieren, bis zu Fernsehser­ien wie „The Mentalist“. Das liest sich gut. Und Michael Jeannee´ steuert eine eitle, aber kurzweilig­e Story über Udo Proksch bei, den er 1988 – als Proksch internatio­nal auf den Fahndungsl­isten gestanden ist – in Manila getroffen und interviewt hat.

In allen drei Publikatio­nen geht es oft um bekannte, auch historisch­e Fälle. Manche Inhalte überschnei­den sich, das Kannibalen­thema z. B. oder Estibaliz C. mit dem entrückten Blick. Der Grund dafür sollte beruhigen: So viele spektakulä­re Verbrechen passieren dann auch wieder nicht. Das kommt einem nur so vor, weil Crime-Serien im Fernsehen Mordfälle am Fließband abhandeln. Und weil jeder reale Fall im Boulevard so breitgetre­ten wird.

»True Detective«, das erste Crime-Magazine der USA, bestand von 1924 bis 1995. Michael Jeann´ee steuert eine eitle, aber kurzweilig­e Story über Udo Proksch bei.

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