Die Wartesaal-Koalition
Die Wähler warten auf Ergebnisse, doch worauf warten eigentlich SPÖ und ÖVP? Die Große Koalition wirkt derzeit eher wie ein Übergangsprojekt. Das hat auch mit der Situation der ÖVP zu tun.
Journalismus, lautet ein lapidares Bonmot, ist Wiederholung. Politik allerdings auch. Gerade in diesem Herbst. Gleich drei Wahlkämpfe werden neu aufgelegt. Erstens der nun mit Arztattesten garnierte Zweikampf um die Bundespräsidentschaft. Zweitens eine Bezirksvertretungswahl, die außerhalb Wiens niemanden interessiert, wären – wie „Die Presse“herausfand – nicht für die Wahlkarten schadhafte Kuverts ausgeliefert worden. Die blöderweise aus derselben Druckerei wie jener für die Präsidentschaftswahl stammen. Und drittens? Der dritte Wahlkampf ist streng genommen keine Neuauflage. Er läuft nonstop. Er ist das Grundrauschen, quasi die Fahrstuhlmusik der Regierung.
Die sich über den Sommer allerdings zu einer penetranten Titelmelodie gemausert hat. Sie übertönt die Versprechen, die man in ungezählten „Neuer Deal, neuer Stil“-Interviews nachlesen kann: Die Regierung wolle, müsse, werde bis Herbst liefern, denn – das wisse man selbst – dies sei die letzte Chance für Rot-Schwarz. Bloß: So fühlten sich die vergangenen Wochen nicht an. Vielmehr hatte man den Eindruck, dass die Regierungsparteien (oder Teile davon) es vielen Wählern und Analysten gleichtun: Sie glauben nicht mehr an sich, an die Große Koalition. Igel und Hase. Die derzeit eher einem Wartesaal gleicht. Ähnlich wie in einem Büro, in dem Angestellte neben der Arbeit Stellenangebote googeln, wird statt gemeinsam regiert lieber am eigenen Profil gefeilt. Dieser Strategie wird alles (Freihandelsabkommen, Mitgliederbefragungen, Beziehungen zur Türkei) untergeordnet. Zu tun hat das unter anderem mit der speziellen Situation der ÖVP, deren Bundesparteivorstand sich am Sonntag zur Selbstfindung trifft. Auch ohne wilde Obmann-Gerüchte ist klar, dass sich das Gravitationszentrum der Macht zu Sebastian Kurz verschoben hat, inhaltlich gibt er de facto die Richtung vor. Doch gerade Kurz fremdelt mit dieser Koalition. Wenn er im „Standard“etwa sagt: „Die Regierung wäre gut beraten, endlich zu handeln“, müsste man eigentlich fragen: Warum „die Regierung“, warum nicht schlicht „wir“? Gehört er nicht dazu? Auch inhaltlich geht der Kreis um Kurz zur SPÖ auf Distanz: Kurz setzt, dem europäischen Trend folgend, auf Workfare statt Welfare (sprich: mehr Auflagen, mehr Gegenleistung für Sozialleistungen). Auf Begrenzung des Sozialstaats, nicht nur, aber auch für Flüchtlinge. Ersteres ist für die SPÖ ein Problem. Zweiteres vermutlich langfristig weniger (auch wenn das aktuell noch anders klingt).
Bis zum Beweis des Gegenteils macht diese Konstellation gemeinsame Projekte schwierig. Genutzt wird die Zeit bis 2017 oder 2018 aber trotzdem. Etwa für Aufholjagd im Web. Hier gilt: alle gegen die FPÖ. Auch wenn das ein Igel-Hase-Rennen wird, so scheinen es SPÖ und ÖVP ernst zu meinen: Der Kanzler hat gemerkt, dass Instagram-Bilder – egal, wie chic – nicht massentauglich sind. Er verbreitet Neuigkeiten nun via Video und Kanzler-Blog. Die Facebook-Seite von Kurz gleicht schon länger einem Episodenfilm. Die aktuelle Folge zeigt den Außenminister mit Boris Johnson. Mitterlehner gibt sich da bescheidener. Sein jüngster Eintrag: ein Foto von der Eröffnung der PlusCity in Linz.