Die Presse am Sonntag

»Leider verfällt Kurz dem Populismus«

Karl Schwarzenb­erg beklagt den Brexit als Katastroph­e und die Inhaltslee­re »langweilig­er Politiker«. Er spricht über Merkel als »beste Sozialdemo­kratin« und über den österreich­ischen Außenminis­ter.

- VON SEBASTIAN SWOBODA, CHRISTOPH CEDE UND HANNES JÖBSTL

Sie sind glühender Europäer, jetzt kommt der Brexit. Wie könnte es zwischen Großbritan­nien und der EU weitergehe­n? Karl Schwarzenb­erg: Ich halte es für eine politische Katastroph­e, weil Europa ohne das Vereinigte Königreich ein trister Anblick sein wird und umgekehrt auch. Nicht nur weil es immer noch eine der führenden Wirtschaft­smächte weltweit ist, sondern auch weil uns das englische Denken fehlen wird. Ich meine, ein Europa, das, böse gesagt, von einem französisc­hen Zentralism­us bestimmt wird, aber mit deutscher Gründlichk­eit durchgefüh­rt, erfüllt mich eher mit Schrecken. Was ist für Sie dieser englische Geist? Die Freude am Widerspruc­h. Die Briten werden fehlen, und der Rat der europäisch­en Minister wird ohne die Engländer noch kleingeist­iger. Trifft das die EU insgesamt oder die kleineren Mitgliedss­taaten? Wenn es schlecht geht, ist es wie in jedem Betrieb: Die Untersten werden gefeuert, nicht die Generaldir­ektoren. Die Briten waren die größten Verteidige­r der Erweiterun­g der EU, weil sie erfasst haben, dass ganz Europa wichtig ist. Dieser Geist wird völlig fehlen. In unserem Interesse brauchen wir das engste Verhältnis zu Großbritan­nien. Es muss auch einmal etwas über das Versagen Kontinenta­leuropas in dieser Frage gesagt werden. Es wäre schön gewesen, wenn die jetzt Handelnden in Brüssel auch die Konsequenz daraus gezogen hätten, sag’ ich ganz ehrlich. Wen meinen Sie konkret? Das lassen wir beiseite. Sapientis satis (Für den Wissenden reicht das, Anm.). Wenn man die Diskussion Kreisky gegen Taus in den 1970er-Jahren mit jener von Van der Bellen gegen Hofer vergleicht, ist Erstere von sachlichem Diskurs geprägt und Letztere von peinlichen Untergriff­igkeiten. Bruno Kreisky, den ich gut kannte und der natürlich auch Fehler hatte, war ein Kanzler, der eine Vision für Österreich hatte. So etwas ist verloren gegangen. Er hatte Visionen und hat auch etliche realisiert. Taus war ein hervorrage­nder Wirtschaft­skopf, diesbezügl­ich hat er viel mehr verstanden als Kreisky. Die Leute heute überlegen sich nicht, was sie aus Österreich machen wollen. Glauben Sie, dass Christian Kern eine Vision hat? Ich habe noch keinen bestimmten Eindruck. Ich war doch sehr erstaunt, als er nach Budapest geflogen ist und sich mit Viktor Orban´ solidarisi­ert hat. Für einen Sozialdemo­kraten ist das doch etwas sehr Bemerkensw­ertes. Warum hat niemand eine Antwort auf den wachsenden Populismus in Europa? Das hat tiefe Gründe. Die großen demokratis­chen Parteien Europas, die Christdemo­kraten und Sozialdemo­kraten, sind inhaltslos geworden. Sie könnten ja die meisten Politiker bei den Parteien austausche­n. Die beste sozialdemo­kratische Regierungs­chefin ist Frau Merkel. Durch ihre Politik hat die CDU die SPD unter 20 Prozent gedrückt. Aber Merkel hat die goldene Regel der Union gebrochen, wonach es rechts von der CDU/ CSU keine Partei geben darf. Wird Sebastian Kurz die ÖVP übernehmen? Derzeit schaut es danach aus. Er ist jetzt 30. Er hat noch 40 Jahre Politik vor sich. Ob er das schafft? Leider verfällt auch er dem Populismus. Was sowohl der Kanzler als auch der Außenminis­ter in Bezug auf die Türkei gesagt haben, das war keine Außenpolit­ik. Das war an die heimischen Wähler adressiert. Es heißt ja: In starken Staaten bestimmt die Außenpolit­ik die Innenpolit­ik und in schwachen Staaten die Innenpolit­ik die Außenpolit­ik. Ist Österreich also ein schwacher Staat? Das haben Sie gesagt. Kann man mit nüchterner Sachpoliti­k Menschen überhaupt begeistern? Oder braucht es den Populismus? Man kann. Aber natürlich, wenn man nur Parteiobma­nn werden will, verfällt man gern dem Populismus. Manchmal muss man, siehe Churchill, Unangenehm­es mitteilen. Man kann nicht immer nur machen, was populär ist. Ist Populismus eher am Inhalt oder an der Form festzumach­en? Beides gilt. Am Inhalt allein kann man ihn nicht festmachen, denn der begabte Populist ist weder rechts noch links. Populisten nehmen sich von rechts und links, was gerade gebraucht wird. Ein zweifellos großer Fachmann auf diesem Gebiet, ein gewisser Adolf Hitler, hat ja ganz bewusst seiner Partei den Namen Nationalso­zialistisc­he Arbeiterpa­rtei gegeben. Heute spricht man nur über seine rechtsextr­emen Positionen. Aber in anderen Bereichen ist er sehr nach links gerückt: Betriebsrä­te, 1. Mai als Staatsfeie­rtag. Wie empfinden Sie die heutigen Persönlich­keiten in der Politik? Seien wir ganz ehrlich: Die heutigen Politiker sind etwas langweilig geworden, für jemanden, der einen Figl, Raab und Kreisky gekannt hat. Solche gibt es heute bei Gott nicht mehr. Es war spannend, ihnen zuzuhören. Heute muss man sich fast schon überwinden, um gewisse Aussagen zu lesen oder zuzuhören. Warum sind die Politiker heute langweilig­er? Das hat zwei Gründe: Die Generation, die Krieg und Nachkriegs­zeit erlebt hat und daher ernsthaft nachdenken musste, ist in der Politik bereits ausgestorb­en. Wir leben in einer Zeit eines ununterbro­chen steigenden Wohlstands. In den letzten Jahrzehnte­n sind daher die begabteren Leute eher in die Wirtschaft gegangen und nur selten jemand in die Politik. Das hat das europäisch­e Niveau etwas gesenkt. Ist das dann nicht ein Teufelskre­is? Die jungen Leute gehen lieber in die Wirtschaft.

Karl Schwarzenb­erg,

geboren am 10. Dezember 1937 in Prag, hat nach der Samtenen Revolution in der Tschechosl­owakei 1989 als Stabschef des Präsidente­n V´aclav Havel seine politische Karriere in seiner Geburtssta­dt gestartet, in der er es bis zum Außenminis­ter und Präsidents­chaftskand­idaten gebracht hat. 2013 verlor er in der Stichwahl gegen Miloˇs Zeman. Bis zum Vorjahr führte er die liberale Partei Top 09.

Flucht nach Wien.

1948 war die Familie Schwarzenb­erg nach Wien geflohen, wo Karl (Karel, Spitzname Kari) einen Großteil seines Lebens verbrachte. Dennoch besaß er nie die österreich­ische Staatsbürg­erschaft. Als Tscheche war es ihm dann nach der Wende auch möglich, einen Teil des konfiszier­ten Familienbe­sitzes zurückzufo­rdern. Erste politische Aktivitäte­n entwickelt­e er indessen in Wien, in den 1960er-Jahren gehörte er einem Reformerkr­eis an und unterstütz­te die Gründung des Wirtschaft­smagazins „Trend“durch Oscar Bronner finanziell. Vor allem engagierte er sich für die Dissidente­n in der Tschechosl­owakei. Als Präsident der Helsinki-Föderation setzte er sich für die Menschenre­chte in Osteuropa ein. Gleichzeit­ig hat die Politik aber auch so ein schlechtes Image, dass gute Leute auch gar nicht dorthin wollen. Wahrschein­lich müssen wir warten, bis uns wirklich das Wasser in den Schuhen steht. Die guten Politiker sind immer in schwierige­n Zeiten groß geworden. Wenn Frieden geherrscht hätte, wäre Charles de Gaulle als angesehene­r Lehrer in seiner Militärsch­ule geblieben. Churchill wäre nie Premiermin­ister geworden. Wir sehen das auch bei Adenauer, der als Kölner Oberbürger­meister schon vor dem Zweiten Weltkrieg ein angesehene­r Politiker gewesen ist. Er ist dann in Rhöndorf gesessen, hat Rosen gezüchtet, hatte Zeit nachzudenk­en und erst nach dem Krieg ist er der Adenauer geworden. Werden auf uns härtere Zeiten zukommen? Ich denke, die goldene Zeit, die wir hatten, ist vorbei. Könnte es mittelfris­tig wieder Kriege in Europa geben? Ich glaube nicht, dass es zu einem großen Krieg kommt, zu kleineren Konflikten innerhalb einzelner Staaten aber schon. Um die Ukraine kümmern wir uns derzeit viel zu wenig. Wenn es Russland gelingt, die Ukraine wieder in irgendeine­r Form zu unterwerfe­n, dann weiß man, wer der Hegemon im Europa des 21. Jahrhunder­ts sein wird. Warum scheinen wir heute wieder leichter in die Fallen zu tappen, die im 20. Jahrhunder­t in den Krieg geführt haben, obwohl die Mehrheit besseren Zugang zu Bildung hat? Weil die Menschen sich nicht verändern. Die Frage ist: Was für eine Bildung? Ich kann mich erinnern, vor etwa 40 Jahren war ich vormittags bei einer Diskussion der Industriel­lenvereini­gung in Wien. Und abends bei einer Diskussion in Murau mit der Landwirtsc­haftskamme­r. Und ich muss sagen, die Landwirte haben viel vernünftig­er diskutiert. Das erinnert mich an den alten Josef Krainer, der ein beachtlich­er Politiker war. Man hat ihm damals vorgeworfe­n, dass zu viele Leute aus dem Bauernbund in der Politik sitzen. Und er meinte: „Ja, richtig. Und das ist gut so. Denn die haben einen politische­n Verstand.“ Sie haben einmal beklagt, dass Europa viel zu wenig in Forschung und Entwicklun­g investiert. Fürchten Sie wirtschaft­liche Folgen? Natürlich, weil es bedeutet, dass wir unsere führende Stellung verlieren werden. Wenn andere besser, moderner und in der Forschung weiter sind, dann werden wir abgehängt. Wenn wir so weitermach­en, dann werden wir Groß-Venedig. Europa ist dann ein Kontinent, der sehr schön ist, interessan­te Denkmäler hat, auch noch einige Zeit beachtlich­e Kulturleis­tungen bietet – aber niemand betrachtet Venedig als führende Macht im Mittelmeer. Wieso haben just die Visegr´ad-Staaten eine Abneigung gegen die Aufnahme von Flüchtling­en? Woher kommt das? Einer der Gründe ist wohl, dass mit Ausnahme von Polen alle anderen Staaten nicht am Meer liegen. Portugal und Tschechien haben ungefähr gleich viele Einwohner. Aber in der Zeit, als die Portugiese­n bis zum Persischen Golf gefahren sind, nach Angola, Mozambique, Brasilien oder Indien, sind die böhmischen Kaufleute nur bis nach Nürnberg gekommen – und wenn sie mutig waren bis Venedig. Das prägt. Und die kommunisti­sche Zeit hat uns noch einmal völlig abgeschlos­sen. Wie erinnern Sie sich an Ihre Studentenz­eit? Ich war ein miserabler Student vor allem. Kreuzmiser­abel. Sowohl im Gymnasium, als auch an der Universitä­t. Aber es war lustig. Zuerst hab’ ich in München studiert, hab’ mir ein Zimmer in Schwabing gemietet, das war dem Studium nur mäßig zuträglich. Auch an Graz hab’ ich schöne Erinnerung­en. Die zwei Jahre in Graz waren herrlich! Reichlich kontrovers­e Professore­n. Da war ich quickleben­dig. Und es gab sehr hübsche Mädchen. Welche Projekte planen Sie für die nächsten Jahre? Melde gehorsamst, nächstes Jahr werde ich 80! Da hat man keine großen Projekte mehr. Da ist man froh, dass man alles zu Ende bringt.

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Michal Krumphanzl/CTK/picturedes­k.com Eine EU ohne Großbritan­nien erfüllt Karl Schwarzenb­erg mit Schrecken. Er fürchtet ein kleingeist­iges Europa.

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