Bei Jugo-Liga, Folklore und Cevapcici »lebendig ignoriert«
Die Ankömmlinge organisierten sich in Arbeitervereinen. Das verband sie mit der Heimat und hielt sie hier aus der Öffentlichkeit.
Andere hätten in Gartenhütten oder in Kellerwohnungen gelebt. „Das waren richtige Rattenburgen. Es gab Leute, die das schamlos ausgenutzt haben“, so Mijatovic.´ Arbeit gab es reichlich, aber ohne Meldezettel gab es keine Ausländer-Arbeitskarte, die jeder legal Beschäftigte vorweisen musste. „Es gab Leute, die haben 500 Schilling verlangt, nur damit sie den Meldezettel ausstellen“, erzählt er. Was Türken und Jugoslawen trennt. Es war ein Problem, das die türkischen mit den jugoslawischen Gastarbeitern teilten. In anderen Bereichen hatten es die Jugoslawen leichter. Am Arbeitsplatz etwa schon der Sprache wegen: Viele hatten in ihrer Heimat zumindest ein paar Brocken Deutsch gelernt. Auf den Baustellen und in Fabriken gab es viele Burgenland-Kroaten, quasi die ersten Arbeitsmigranten in Wien, die übersetzen konnten. Auch im Gesellschaftsleben konnten Jugoslawen schneller andocken. Mijatovic´ erzählt, vor allem über den Fußball habe er viele Wiener kennengelernt, schnell Freunde gefunden. Paare haben sich bei den ex-jugoslawischen Arbeitern vor allem in Österreich gefunden, weil von dort auch Frauen zum Arbeiten gekommen sind. Türkische Gastarbeiter haben ihre Frauen oft aus ihrer Heimat nach Österreich geholt – das hat deren Integration erschwert. Schutz und Kontrolle aus der Heimat. Jugoslawen hatten dafür viel staatliche Unterstützung aus der Heimat: Die damals sozialistische Republik, so Hainzl, habe großes Interesse gehabt, ihre Bürger im Ausland an sich zu binden – und in gewisser Weise zu kontrollieren. „Der Staat hat in dem Geist gehandelt, dass die Leute sicher zurückkommen.“Der Staat hat viel unternommen, die Vereine unterstützt und auch Gewerkschafter nach Österreich geschickt.
Die Religion war wohl ebenso ein Vorteil: Jugoslawen, so sie christlichen Glaubens waren, konnten bei Kirchen andocken. „Die Slowenische und die Kroatische Mission in Graz waren da sehr aktiv“, sagt Hainzl. Auch die Nähe der Länder hat Jugoslawen den Start in Österreich einfacher gemacht: die gemeinsame Geschichte. Außerdem war das damalige Jugoslawien, anders als damals die Türkei, schon Urlaubsland der Österreicher. Man kannte die Sprache, das Essen, die Lebensart. Ressentiments verschärften sich. Willkommen waren die Gastarbeiter freilich trotzdem nicht überall. „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogn’s zu dir Tschusch“– das Plakat der Aktion Mitmensch aus dem Jahr 1973 ist wohl das berühmteste Dokument für Fremdenfeindlichkeit dieser Zeit. „Gastarbeiter: Kollege oder Werkzeug? Nicht Werkzeug sondern Mensch wie du und ich“, steht auf einem anderen Plakat aus dieser Zeit, das in der Ausstellung zu sehen ist.
Die Ressentiments verschärften sich, so die Kuratoren. 1972 stimmten 90 Prozent der Österreicher der Gastarbeiterbeschäftigung zu, solange sie „unseren Wohlstand vermehren“. Zugleich sagte jeder zweite Österreicher, er wolle mit Gastarbeitern „überhaupt nichts“zu tun haben. Und 60 Prozent der Österreicher waren der Meinung, ausländische Arbeitnehmer sollten abgesondert in eigenen Quartieren leben.
Zeitungsberichte aus dieser Zeit zeugen davon, dass man verkommene Wohnviertel und Kriminalität gern mit „zu vielen Ausländern“in einen Konnex brachte. Zugleich waren aber auch die prekäre Wohnsituation, Ausbeutung und Diskriminierung, etwa in Form von Hausverboten in Gasthäusern, ein Thema in der Öffentlichkeit, so Hainzl, der betont, dass der Konnex zur Tagesaktualität ihnen in der Ausstellung wichtig sei. Etwa, indem herausgearbeitet wird, wie sich die Debatten von damals und heute ähneln: Ghettoisierung, Diskriminierung, Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt seien heute ebenso Thema wie damals. „Man sollte nicht dieselben Fehler machen“, meint Hadan Özbaz dazu. Heimat? Keine Frage. Niko Mijatovic´ hingegen sagt, für ihn sei Diskriminierung kaum ein Thema gewesen. „Ich hatte nie Probleme, Österreich wurde sofort meine Heimat“, sagt er, nach Bosnien fahre er noch ein, zwei Mal im Jahr. Und seine Kinder – schließlich wird der zweiten Generation stets die berühmte Frage gestellt, in welchem Land sie sich denn zu Hause fühlt – stellen sich die Frage nach der Heimat überhaupt nicht mehr. Die Chronisten sind sich nicht ganz einig, aber der Erste könnte „Mladi Radnik“gewesen sein: „Der junge Arbeiter“wurde 1969 gegründet und lag in der Menzelgasse in Ottakring. Einen anderen frühen, Jedinstvo („Einheit“) in der Praterstraße, gibt es noch heute. In Summe waren mehr als Hundert Arbeitervereine, die den Jugoslawen in Österreich einst eine Art Heimat boten. Man spielte in der „Jugo-Liga“Fußball auf der Schmelz, in den Kellerlokalen Schach und Karten, trank „JugoSchnaps“und türkischen Kaffee. Dazu gab es Cevapcici, „aber nur mit Zwiebeln“, sagt Goran Novakovic, „nicht wie in Österreich mit Gemüse oder Reis“.
Novakovic, gebürtiger Jugoslawe, später unfreiwillig „Serbe“, hat über die Lebensgeschichten der ersten Gastarbeiter das Buch „Wir, die Zugvögel“geschrieben. Er selbst kam erst 1991 nach Österreich, „weil ich nicht am Krieg teilnehmen wollte“. Die Arbeitervereine, sagt er, seien „kleine Oasen im Arbeitsalltag“gewesen, in denen man die Traditionen des Sozialismus, er Brüderlichkeit und Einheit hochgehalten habe. „Die jugoslawischen Gastarbeiter waren da sehr, sehr auf Linie, und durch den Aufenthalt im Ausland war der Bedarf dafür noch größer.“ Seilziehen. Es gab auch eigene Arbeiter- und Sportspiele, die in den Bundesländern veranstaltet wurden und bei denen Folklore-Ensembles auftraten und sich die Leute in Fußball, Seilziehen und Kegeln maßen. Besonders politisch waren die Vereine nie. „Der jugoslawische Staat hat eher ungebildete Leute eingeladen, ins Ausland zu gehen“, sagt Alexander Nikolic. Der Künstler wurde als Sohn jugoslawischer Dissidenten in Wien geboren und befasste sich intensiv mit dem Phänomen der Gastarbeiter. In den Vereinen hatte der Heimatstaat sie im Auge – und Österreich sah die sozialistischen Gäste dort gut aufgehoben und weniger als Gefahr. Sonst wurden die Arbeiter von ihrem Gastland eher „lebendig ignoriert“, sagt Goran Novakovic, „weil man dachte, sie gehen eh zurück“.
Die Gastarbeiter blieben, der jugoslawische Staat zerfiel, und mit ein we-
»Gastarbeiter: Kollege oder Werkzeug?« stand damals auf einem Plakat. Trotzig hielten die Vereine noch eine Weile an der Idee des Jugoslawischen fest.
nig Zeitverzögerung taten das auch die Arbeitervereine. „Menschen, die sich bis dahin als klassische Ex-Jugos gesehen hatten, wurden plötzlich gefragt, woher genau sie stammen“, sagt Novakovic. Recht trotzig hätten die Vereine noch eine Weile an der Idee des Jugoslawischen festgehalten. Es habe gedauert, bis sich ihr Dachverband umbenannt habe, und auch dann zunächst nur in „serbisch-jugoslawisch“.
Aber natürlich seien der Krieg und die Flüchtlinge mit ihren Geschichten nicht ohne Einfluss geblieben. Heute haben Serben, Kroaten oder Bosnier eigene Vereine. Ein durchaus problematisches Phänomen, wie Nikolic findet: „Dass die Idee der Einheit vom Arbeiter einfach auf die Ethnie übergeht.“