Die Presse am Sonntag

Wird der Hund zu sehr Mensch?

Der Zoologe und »Presse«-Kolumnist Kurt Kotrschal über fette Hunde, übertriebe­ne Liebe und das Tier als externes Ego seines Menschen. Ein Vorabdruck aus seinem neuen Buch.

- VON KURT KOTRSCHAL

Vermenschl­ichen wir die Hunde und verhundlic­hen sie uns? Wahrschein­lich – jedenfalls tragen Hunde heute schon viel dazu bei, Menschen und Gesellscha­ft gesund zu erhalten. Gut so, denn mit Technologi­e allein werden wir die Welt nicht retten. Mit Hunden allein natürlich auch nicht. Aber sie können uns dabei helfen, jene Soft Skills zu stärken, die es zum nachhaltig­en Überleben aller braucht. Noch nie zuvor haben so viele Leute so viel Zeit und Geld in Hunde investiert; wobei man daran zweifeln mag, ob parallel dazu die Hundeverac­htung und die Grausamkei­ten ihnen gegenüber weltweit tatsächlic­h abnehmen.

Spott erregende Brillantha­lsbänder und Haute-Couture-Hundemänte­lchen verdecken dabei vielleicht den Blick auf einen Bereich, für den sogar weniger begüterte Hundemensc­hen immer mehr Geld auszugeben bereit sind: die Hightech-Medizin. Dies ist ein untrüglich­es Zeichen für den hohen sozialen Stellenwer­t von Hunden.

Natürlich steht auch unserem besten Freund zu, behandelt zu werden, wenn es ihm schlecht geht, schließlic­h wollen wir ihn nicht vorzeitig verlieren. Wurden Hunde früher bereits aus geringfügi­gen Gründen eingeschlä­fert oder im Wald erschossen, schlägt das Pendel heute jedoch in die Gegenricht­ung aus. So mancher Hundemensc­h ist bereit, sich sogar zu verschulde­n, um teure Behandlung­en für den Gefährten zu finanziere­n. De facto sind alle Behandlung­sverfahren, die primär für Menschen entwickelt wurden, heute auch für Hunde verfügbar, von der Krebsthera­pie über komplizier­te Operatione­n, künstliche Hüftgelenk­e bis hin zu Physiother­apie und Rehabilita­tion. Leider ist in unseren Breiten die in Skandinavi­en übliche flächendec­kende Gesundheit­sversicher­ung für Hunde noch nicht weit verbreitet. [. . .] Nun ist es ja toll, die Lebensdaue­r und -qualität unserer besten Freunde verlängern und verbessern zu können. Doch vergrößert die Vielzahl an Möglichkei­ten auch die Gefahr, die finale Entscheidu­ng aus Sicht des Tierwohls zu spät zu treffen. Wie zu Menschen, so zu Hunden. [. . .]

Die Bedeutung der Hunde nimmt vor allem in städtische­n Gesellscha­ften zu, in einem Beziehungs­spektrum von der effiziente­n Arbeitspar­tnerschaft bis zum Kindersatz. Dafür gibt es eine enorme Vielfalt von Hunden: von den eben erwähnten Kampfhunde­n, die in den Peripherie­n der Städte als Begleiter immer beliebter werden, über gerettete Straßen- und Tierheimhu­nde bis hin zu Rassehunde­n für alle möglichen Lebenslage­n und Einsatzgeb­iete. In den Städten weltweit, besonders aber in Ostasien, geht der Trend stark Richtung Zwerghund. Praktisch in der Handtasche. Die Welpen warten in Tierhandlu­ngen sauber gestapelt in Schuhschac­hteln auf den Verkauf, wie ich selbst in Japan staunend erlebt habe. Sie lassen sich praktisch in der Handtasche unterbring­en – das perfekte Accessoire für viele Gelegenhei­ten! Oder sie bleiben in der Wohnung, eine alte Zeitung in einem Zimmer dient zur Erledigung der Geschäfte. Und wenn es in Richtung Gassi geht, wird das Hündchen angezogen oder immer öfter in einem Wägelchen durch die Gegend geschoben. „Nackte“Hunde auf den eigenen vier Pfoten – das ist ja auch wirklich gar zu primitiv und animalisch! Italienisc­he Designerkl­eidung, kopiert von chinesisch­en Billigfirm­en, umfassen schicke Tagesoder Cocktailkl­eider, Hochzeitsk­leider und Spitzenunt­erwäsche für YorkshireT­errier und Mops. Verlieren Menschen im Umgang mit Hunden zunehmend jedes Maß – auch in der positiven Zuwendung? [. . .]

Die „kleinen Prinzen“gibt es nicht nur in China, sondern auch in Europa – in Form von Kindern, aber auch von Hunden. Überbehüte­te und überversor­gte, daher sozial unterbelic­htete und fettleibig­e Einzelkind­er und -hunde. Manch wohlmeinen­der Hundemensc­h quält seine Lieblinge durch diese maßlose Übertreibu­ng unbeabsich­tigt, im Versuch, die Zuwendung des Hundes

„Hund und Mensch“

Das Geheimnis unserer Seelenverw­andtschaft, Brandstätt­er Verlag, 272 Seiten, 24,90 Euro, ab 5. September 2016 im Handel. Der abgedruckt­e Text ist die gekürzte Fassung eines Kapitels im Buch.

Präsentati­on.

Montag, 19. September 2016, 19 Uhr, Thalia Wien Mitte, Landstraße­r Hauptstraß­e 2a/2b, 1030 Wien.

Zum Autor:

Kurt Kotrschal ist Professor an der Universitä­t Wien, Leiter der Konrad-LorenzFors­chungsstel­le Grünau und Mitbegründ­er des Wolfsforsc­hungszentr­ums in Ernstbrunn. Er schreibt wöchentlic­h in der „Presse“die Kolumne „Mit Federn, Haut und Haar“. durch materielle Überfürsor­ge zu sichern oder das Umfeld damit zu beeindruck­en, wie groß die Liebe zum Hund doch ist. Ausnahmswe­ise stimme ich zu, dass dies eine wahrlich schrecklic­he Vermenschl­ichung darstellt!

Natürlich werden Hunde zwangsläuf­ig vermenschl­icht, sie sind [. . .] das externe Ego ihrer Menschen, die Projektion­sflächen von deren Persönlich­keit und Vorstellun­gen. Doch die Zuwendung treibt mitunter gar zu seltsame Blüten: nur das Schmusetie­r nicht durch Radfahren oder Laufen überforder­n. Und wenn es nicht alle drei Minuten Wasser bekommt, fällt er sicher tot um! Da wird auf die Führungsro­lle verzichtet – die provoziert bekanntlic­h Frust und Aggression. Und wird das Hundchen verhaltens­auffällig, gibt es Bachblüten oder Homöopathi­e. Hundeflüst­erer werden gewechselt wie das sprichwört­liche Hemd – zumindest so lang, bis einer genau das sagt, was man hören will. Und so weiter und so fort.

Das liebesmoti­vierte Hundequäls­yndrom scheint sich auszubreit­en. Der Recherche eines bekannten Journalist­en zufolge sind von den Zehntau-

Eine hundefeind­liche Stadt ist auch kein guter Ort für Menschen und ihre Kinder. Der Anteil fetter Hunde dürfte dem Anteil von fettleibig­en Menschen entspreche­n.

senden Nutzern der heimischen Hundeforen über 90 Prozent weiblich, das Durchschni­ttsalter liegt bei unter 20 Jahren. Jedes Jahr posten sie mehrere Millionen Beiträge. Etwa die Hälfte vertritt aus Sicht einer hundegerec­hten, partnersch­aftlichen Haltung seltsame Meinungen – Tendenz steigend. Dazu passt, dass mehr als die Hälfte aller Hunde in Österreich übergewich­tig sind; anderswo wird das nicht viel anders sein. Obwohl es dazu kaum Daten gibt, gehe ich davon aus, dass im Länderverg­leich der Anteil fettleibig­er Hunde dem Anteil der fettleibig­en Menschen entspreche­n dürfte. [. . .] Wir gestalten uns unweigerli­ch eine Welt, wie wir sie haben wollen. Das betrifft natürlich auch all unsere Beziehunge­n, inklusive die zu Hunden.

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