Vom Waldkindergarten bis zur »Forest Medicine«
Waldaktivitäten rund um den Erdball: Kindergärten zwischen Bäumen gibt es auch in Österreich, die Neuseeländer verschreiben Naturtherapie auf Krankenschein.
betont der Primar. Die Waldtherapie sei Teil eines multimodalen Therapiespektrums, mit der vor allem Patienten mit Stress, mit psychischen Belastungen sowie chronische Schmerzpatienten behandelt werden. Das betreute und begleitete Walderlebnis könne negative Erlebnisse und Gedanken in den Hintergrund verdrängen und sich positiv auf das Schmerzgedächtnis auswirken. Das sei zwar noch nicht wissenschaftlich bewiesen, „aber deswegen ist es noch lange nicht schlecht. Und es gibt keinerlei negative Nebenwirkungen“, erklärt Kirchheimer.
Patientin Hermine K. hatte bei ihrer ersten Waldtherapie jedenfalls nur Po- sitives erlebt. „Ich habe die letzen zwei Stunden komplett auf meine Schmerzen vergessen“, sagt sie. Die 60-Jährige leidet seit vielen Jahren an starken Rückenschmerzen. „Freilich können wir die Schmerzen mit einer einzigen Therapie nicht wegzaubern“, sagt Waldtherapeutin Christine Dewath, Während wir langsam über knorrige Wurzeln und später über weiches Moos marschieren, erklärt sie, was der Wald alles für einen tun kann. Dann schweigen wir. Nur das Rascheln der Blätter und der Gesang der Vögel ist zu hören. Wir riechen den Duft von Tannennadeln, Erde und Moos und genießen das Lichterspiel der Sonnenstrahlen im Blätterdach. Wir spüren, was die Wissenschaft herausgefunden hat: Ein Waldspaziergang macht fröhlich, entstresst.
Wissenschaftlich lässt sich das so erklären: Das Stresshormon Cortisol (gemessen im Speichel) verringert sich im Wald, die signifikante Reduzierung hält über Tage hinweg an. Auch Blutzuckerspiegel und Blutdruck werden ge- senkt. Dafür muss man sich nicht einmal bewegen: Waldluft wirkt auch, wenn man sitzt. Übrigens: Der Blutdruck wird schon deutlich niedriger, wenn wir Holz nur berühren. Der Kontakt mit künstlichen Materialien hingegen verursacht einen gewissen StressEffekt. „Spüren Sie die Unterschiede beim Holz?“, fragt unsere Waldtherapeutin, reicht uns eine Menge kleiner verschiedener Hölzer und verspricht: „Heute werden Sie gut schlafen, denn ein Aufenthalt im Wald verbessert die Schlafqualität nachweislich.“ Die Zirbe hilft dem Herzen. Wer beispielsweise in einem Zirbenbett schläft, erspart seinem Herzen laut Studien Nacht für Nacht rund eine Stunde Arbeit, weil das Herz langsamer schlägt. „Diesen tollen Effekt haben aber nicht nur Zirben, das können auch andere Nadelholzarten wie Fichte, Tanne oder Lärche“, sagt Johann Zöscher, Leiter der forstlichen Ausbildungsstätte Ossiach, eines Instituts des Bundesforschungszentrums für Wald. „Bäume tun uns also auch als Bett oder Büromöbel gut“, setzt der Forstwirt nach. Bäume seien damit also nicht nur im Wald Medizin.
So sieht das auch Biologe Arvay. Er hat bereits mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben. Unter anderem: „Der Heilungscode der Natur – die verborgenen Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken.“Hier heißt es unter anderem: „Bereits zehn Bäume mehr rund um einen Wohnblock eines Großstadtbewohners entsprechen einer biologischen Verjüngungskur um sieben Jahre und senken das Risiko für Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Bluthochdruck und sogar Krebs.“
Das dürfen auch Stadtbewohner unbewusst bemerkt haben. Deren Bereitschaft, sich für die Rettung von Bäumen in der Stadt einzusetzen, ist jedenfalls in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. „Der Biophilia-Effekt. Heilung aus dem Wald“, Clemens G. Arvay, Verlag Edition a, 253 Seiten, 22,90 Euro. „Holzwunder. Die Rückkehr der Bäume in unser Leben“, mit Holz-Mond-Kalender für die Jahre 2016–2026, Erwin Thoma, Servus Buchverlag, 240 S., 19,95 Euro. „Dich sah ich wachsen. Was der Großvater noch über Bäume wusste“, Erwin Thoma, Servus Buchverlag, 224 S., 14,95 Euro. „Einfach raus! Wie Sie Kraft aus der Natur schöpfen“, Beate und Olaf Hofmann, Patmos Verlag, 208 S., 16,99 Euro. Waldkindergärten sind in Österreich noch nicht wirklich bekannt und stecken damit weitgehend noch in den Kinderschuhen – obwohl es sie seit mehr als zehn Jahren gibt. An die 25 sind es hierzulande, in Deutschland hingegen zählt man 1500 und in Tschechien immerhin noch 700. Waldkindergarten ist dabei nicht Waldkindergarten – es gibt sie in unterschiedlichen Formen. Bei den einen toben und spielen die Kinder von Montag bis Freitag täglich Stunden im Wald, bei den anderen gibt es Zeiten im klassischen Kindergartengebäude und Zeiten im Wald, bei anderen handelt es sich um Regelkindergärten, bei denen man beispielsweise jeden Donnerstag in den Wald geht.
„Kinder profitieren in jedem Fall von ihren Abenteuern und Erfahrungen in der Natur“, sagt Petra Schwarz, Projektleiterin von Green Care Wald. Denn die Kleinen haben richtig Spaß, wenn sie den Wald erforschen, wenn sie Dämme oder Baumhäuser bauen, wenn sie am Lagerfeuer kochen, Lieder singen oder mit Naturmaterialien werken. Schwarz: „Ziele sind neben der Bewegung in der Natur unter anderem auch die Förderung von Eigenverantwortlichkeit, Sozialkompetenz, Kommunikationsfähigkeit und Selbstbewusstsein.“Waldpädagogik achtet zudem stark darauf, dass die Mädchen und Buben selbst Gestalter im eigenen Lernprozess sein können. „Damit ist der Gewinn für die Kinder am größten.“ Klügere Mädchen und Buben. Ein Gewinn sind Waldkindergärten freilich auch für die Gesundheit, denn Naturkontakte wirken sich generell positiv auf die physische und psychische Gesundheit aus. So wird unter vielem anderen die mentale und kognitive Entwicklung der Kinder optimal gefördert, das Spiel in der Natur mildert ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung) nachhaltig und verbessert Konzentration, Kreativität und Immunsystem – der Cocktail aus Matsch, Erde, Feuchtigkeit, Waldluft, Bewegung und Spiel stärkt eben die Abwehrkräfte und beugt chronischen Krankheiten und Allergien vor. Nur eine von etlichen Studien sei hier erwähnt: Eine deutsche Untersuchung fand heraus, dass Kinder im Waldkindergarten deutlich weniger oft krank sind, ihre Konzentrationsfähigkeit höher und die Grobmotorik besser entwickelt ist. So ganz nebenbei haben Kinder, die sich viel im Wald bewegen, auch weniger Probleme mit Übergewicht und sind insgesamt zufriedener und ausgeglichener.
Die gesunden Seiten des Waldes macht sich unter anderem auch der „Therapiesalon im Wald“zunutze. „Als Besonderheit beziehen wir den therapeutischen Erlebnisraum Wald und die Natur in unser Therapieangebot ein“, erwähnt der Psychologe Thomas Legl. Hauptschwerpunkt des Therapiesalons am Fuß der Rax ist eine ganzheitliche Behandlung beziehungsweise Prävention von psychosomatischen Erkrankungen. „Neben medizinischen Behandlungen, Psycho- und Entspannungstherapie laden wir auch zu kontemplativen Spaziergängen, machen Bergtouren, bieten Mountainbike-Ausflüge und halten Gestalt-, Kreativ- und Maltherapiestunden im Wald ab. Wir suchen da auch Plätze, wo man sich wohlfühlt, suchen Materialien aus der Natur und vieles mehr.“
Entschleunigung vom Alltag und Reizentflutung im Wald sollen das Fundament für verbessertes Wohlbefinden bilden. Untergebracht sind die Patienten in einem waldnahen Hotel der Mittelklasse, das Therapiegästen exklusiv zur Verfügung steht. Japanische Medizin. Doch nicht nur hier, sondern auch in Asien befasst man sich mit Waldmedizin und ihrer heilenden Wirkung. In Japan ist Shinrin-yoku, was übersetzt so viel wie Waldbaden heißt, eine offiziell anerkannte Methode zur Vorbeugung und unterstützenden Behandlung von Krankheiten. Auf japanischen medizinischen Universitäten gibt es seit 2012
Ein Spaziergang im Wald regt die Produktion von körpereigenen Killerzellen an. Spielen im Wald wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Kindern aus. Je mehr Bäume in einer Wohngegend, desto niedriger ist das Risiko für Herzleiden.
auch den eigenen Forschungszweig „Forest Medicine“. Einer ihrer Pioniere, der Mediziner Qing Li, zeigte mittels einer Analyse von Gesundheitsdaten der gesamten japanischen Bevölkerung auf, dass in Waldgebieten deutlich weniger Menschen an einer Krebserkrankung sterben als in unbewaldeten Gebieten – und das, nachdem viele andere mögliche Einflussfaktoren auf das Sterberisiko herausgerechnet wurden. In einem japanischen Geriatriezentrum hat man herausgefunden, dass bereits ein 15-minütiger Aufenthalt auf einer waldähnlich bepflanzten Terrasse sich bei Senioren positiv auf die Herzfrequenz auswirkt.
In Neuseeland gibt es bereits sogenannte grüne Verschreibungen; erschöpfte und depressive Menschen können quasi auf Kosten der Krankenkasse in die Natur gehen. Lichtungen sind beliebt. In Dänemark wird im Rahmen des Waldtherapiegartens Nacadia erforscht, wie der Wald aussehen soll, um größtmögliche gesundheitliche Benefits zu bieten. Menschen ziehen einen Wald mit hohen Bäumen und Lichtungen vor, die ob ihrer Helligkeit ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Ein dichter, dunkler Wald hat für viele Menschen nicht wirklich eine entspannende Wirkung.
In den USA und Australien hat sich die Wilderness- oder Abenteuer-Therapie etabliert. Der Wald wird als Ort genützt, um die Folgen des eigenen Tuns unmittelbar aufzuzeigen. Das Ziel dabei: Im Wald soll man wieder seine Mitte finden, speziell ausgebildete Therapeuten unterstützen dabei.
In Toronto hat der Umweltpsychologe Marc Berman die Baumdichte innerhalb der Stadt mit den Gesundheitsdaten der Bewohner abgeglichen und herausgefunden: Je mehr Bäume in einer Wohngegend stehen, desto niedriger ist das Risiko für Herzkreislauferkrankungen.