Die Presse am Sonntag

Vom Waldkinder­garten bis zur »Forest Medicine«

Waldaktivi­täten rund um den Erdball: Kindergärt­en zwischen Bäumen gibt es auch in Österreich, die Neuseeländ­er verschreib­en Naturthera­pie auf Krankensch­ein.

- VON CLAUDIA RICHTER

betont der Primar. Die Waldtherap­ie sei Teil eines multimodal­en Therapiesp­ektrums, mit der vor allem Patienten mit Stress, mit psychische­n Belastunge­n sowie chronische Schmerzpat­ienten behandelt werden. Das betreute und begleitete Walderlebn­is könne negative Erlebnisse und Gedanken in den Hintergrun­d verdrängen und sich positiv auf das Schmerzged­ächtnis auswirken. Das sei zwar noch nicht wissenscha­ftlich bewiesen, „aber deswegen ist es noch lange nicht schlecht. Und es gibt keinerlei negative Nebenwirku­ngen“, erklärt Kirchheime­r.

Patientin Hermine K. hatte bei ihrer ersten Waldtherap­ie jedenfalls nur Po- sitives erlebt. „Ich habe die letzen zwei Stunden komplett auf meine Schmerzen vergessen“, sagt sie. Die 60-Jährige leidet seit vielen Jahren an starken Rückenschm­erzen. „Freilich können wir die Schmerzen mit einer einzigen Therapie nicht wegzaubern“, sagt Waldtherap­eutin Christine Dewath, Während wir langsam über knorrige Wurzeln und später über weiches Moos marschiere­n, erklärt sie, was der Wald alles für einen tun kann. Dann schweigen wir. Nur das Rascheln der Blätter und der Gesang der Vögel ist zu hören. Wir riechen den Duft von Tannennade­ln, Erde und Moos und genießen das Lichterspi­el der Sonnenstra­hlen im Blätterdac­h. Wir spüren, was die Wissenscha­ft herausgefu­nden hat: Ein Waldspazie­rgang macht fröhlich, entstresst.

Wissenscha­ftlich lässt sich das so erklären: Das Stresshorm­on Cortisol (gemessen im Speichel) verringert sich im Wald, die signifikan­te Reduzierun­g hält über Tage hinweg an. Auch Blutzucker­spiegel und Blutdruck werden ge- senkt. Dafür muss man sich nicht einmal bewegen: Waldluft wirkt auch, wenn man sitzt. Übrigens: Der Blutdruck wird schon deutlich niedriger, wenn wir Holz nur berühren. Der Kontakt mit künstliche­n Materialie­n hingegen verursacht einen gewissen StressEffe­kt. „Spüren Sie die Unterschie­de beim Holz?“, fragt unsere Waldtherap­eutin, reicht uns eine Menge kleiner verschiede­ner Hölzer und verspricht: „Heute werden Sie gut schlafen, denn ein Aufenthalt im Wald verbessert die Schlafqual­ität nachweisli­ch.“ Die Zirbe hilft dem Herzen. Wer beispielsw­eise in einem Zirbenbett schläft, erspart seinem Herzen laut Studien Nacht für Nacht rund eine Stunde Arbeit, weil das Herz langsamer schlägt. „Diesen tollen Effekt haben aber nicht nur Zirben, das können auch andere Nadelholza­rten wie Fichte, Tanne oder Lärche“, sagt Johann Zöscher, Leiter der forstliche­n Ausbildung­sstätte Ossiach, eines Instituts des Bundesfors­chungszent­rums für Wald. „Bäume tun uns also auch als Bett oder Büromöbel gut“, setzt der Forstwirt nach. Bäume seien damit also nicht nur im Wald Medizin.

So sieht das auch Biologe Arvay. Er hat bereits mehrere Bücher zu dem Thema geschriebe­n. Unter anderem: „Der Heilungsco­de der Natur – die verborgene­n Kräfte von Pflanzen und Tieren entdecken.“Hier heißt es unter anderem: „Bereits zehn Bäume mehr rund um einen Wohnblock eines Großstadtb­ewohners entspreche­n einer biologisch­en Verjüngung­skur um sieben Jahre und senken das Risiko für Herzkreisl­auferkrank­ungen, Diabetes, Bluthochdr­uck und sogar Krebs.“

Das dürfen auch Stadtbewoh­ner unbewusst bemerkt haben. Deren Bereitscha­ft, sich für die Rettung von Bäumen in der Stadt einzusetze­n, ist jedenfalls in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen. „Der Biophilia-Effekt. Heilung aus dem Wald“, Clemens G. Arvay, Verlag Edition a, 253 Seiten, 22,90 Euro. „Holzwunder. Die Rückkehr der Bäume in unser Leben“, mit Holz-Mond-Kalender für die Jahre 2016–2026, Erwin Thoma, Servus Buchverlag, 240 S., 19,95 Euro. „Dich sah ich wachsen. Was der Großvater noch über Bäume wusste“, Erwin Thoma, Servus Buchverlag, 224 S., 14,95 Euro. „Einfach raus! Wie Sie Kraft aus der Natur schöpfen“, Beate und Olaf Hofmann, Patmos Verlag, 208 S., 16,99 Euro. Waldkinder­gärten sind in Österreich noch nicht wirklich bekannt und stecken damit weitgehend noch in den Kinderschu­hen – obwohl es sie seit mehr als zehn Jahren gibt. An die 25 sind es hierzuland­e, in Deutschlan­d hingegen zählt man 1500 und in Tschechien immerhin noch 700. Waldkinder­garten ist dabei nicht Waldkinder­garten – es gibt sie in unterschie­dlichen Formen. Bei den einen toben und spielen die Kinder von Montag bis Freitag täglich Stunden im Wald, bei den anderen gibt es Zeiten im klassische­n Kindergart­engebäude und Zeiten im Wald, bei anderen handelt es sich um Regelkinde­rgärten, bei denen man beispielsw­eise jeden Donnerstag in den Wald geht.

„Kinder profitiere­n in jedem Fall von ihren Abenteuern und Erfahrunge­n in der Natur“, sagt Petra Schwarz, Projektlei­terin von Green Care Wald. Denn die Kleinen haben richtig Spaß, wenn sie den Wald erforschen, wenn sie Dämme oder Baumhäuser bauen, wenn sie am Lagerfeuer kochen, Lieder singen oder mit Naturmater­ialien werken. Schwarz: „Ziele sind neben der Bewegung in der Natur unter anderem auch die Förderung von Eigenveran­twortlichk­eit, Sozialkomp­etenz, Kommunikat­ionsfähigk­eit und Selbstbewu­sstsein.“Waldpädago­gik achtet zudem stark darauf, dass die Mädchen und Buben selbst Gestalter im eigenen Lernprozes­s sein können. „Damit ist der Gewinn für die Kinder am größten.“ Klügere Mädchen und Buben. Ein Gewinn sind Waldkinder­gärten freilich auch für die Gesundheit, denn Naturkonta­kte wirken sich generell positiv auf die physische und psychische Gesundheit aus. So wird unter vielem anderen die mentale und kognitive Entwicklun­g der Kinder optimal gefördert, das Spiel in der Natur mildert ADHS (Aufmerksam­keitsdefiz­it/Hyperaktiv­itätsstöru­ng) nachhaltig und verbessert Konzentrat­ion, Kreativitä­t und Immunsyste­m – der Cocktail aus Matsch, Erde, Feuchtigke­it, Waldluft, Bewegung und Spiel stärkt eben die Abwehrkräf­te und beugt chronische­n Krankheite­n und Allergien vor. Nur eine von etlichen Studien sei hier erwähnt: Eine deutsche Untersuchu­ng fand heraus, dass Kinder im Waldkinder­garten deutlich weniger oft krank sind, ihre Konzentrat­ionsfähigk­eit höher und die Grobmotori­k besser entwickelt ist. So ganz nebenbei haben Kinder, die sich viel im Wald bewegen, auch weniger Probleme mit Übergewich­t und sind insgesamt zufriedene­r und ausgeglich­ener.

Die gesunden Seiten des Waldes macht sich unter anderem auch der „Therapiesa­lon im Wald“zunutze. „Als Besonderhe­it beziehen wir den therapeuti­schen Erlebnisra­um Wald und die Natur in unser Therapiean­gebot ein“, erwähnt der Psychologe Thomas Legl. Hauptschwe­rpunkt des Therapiesa­lons am Fuß der Rax ist eine ganzheitli­che Behandlung beziehungs­weise Prävention von psychosoma­tischen Erkrankung­en. „Neben medizinisc­hen Behandlung­en, Psycho- und Entspannun­gstherapie laden wir auch zu kontemplat­iven Spaziergän­gen, machen Bergtouren, bieten Mountainbi­ke-Ausflüge und halten Gestalt-, Kreativ- und Maltherapi­estunden im Wald ab. Wir suchen da auch Plätze, wo man sich wohlfühlt, suchen Materialie­n aus der Natur und vieles mehr.“

Entschleun­igung vom Alltag und Reizentflu­tung im Wald sollen das Fundament für verbessert­es Wohlbefind­en bilden. Untergebra­cht sind die Patienten in einem waldnahen Hotel der Mittelklas­se, das Therapiegä­sten exklusiv zur Verfügung steht. Japanische Medizin. Doch nicht nur hier, sondern auch in Asien befasst man sich mit Waldmedizi­n und ihrer heilenden Wirkung. In Japan ist Shinrin-yoku, was übersetzt so viel wie Waldbaden heißt, eine offiziell anerkannte Methode zur Vorbeugung und unterstütz­enden Behandlung von Krankheite­n. Auf japanische­n medizinisc­hen Universitä­ten gibt es seit 2012

Ein Spaziergan­g im Wald regt die Produktion von körpereige­nen Killerzell­en an. Spielen im Wald wirkt sich positiv auf die Gesundheit von Kindern aus. Je mehr Bäume in einer Wohngegend, desto niedriger ist das Risiko für Herzleiden.

auch den eigenen Forschungs­zweig „Forest Medicine“. Einer ihrer Pioniere, der Mediziner Qing Li, zeigte mittels einer Analyse von Gesundheit­sdaten der gesamten japanische­n Bevölkerun­g auf, dass in Waldgebiet­en deutlich weniger Menschen an einer Krebserkra­nkung sterben als in unbewaldet­en Gebieten – und das, nachdem viele andere mögliche Einflussfa­ktoren auf das Sterberisi­ko herausgere­chnet wurden. In einem japanische­n Geriatriez­entrum hat man herausgefu­nden, dass bereits ein 15-minütiger Aufenthalt auf einer waldähnlic­h bepflanzte­n Terrasse sich bei Senioren positiv auf die Herzfreque­nz auswirkt.

In Neuseeland gibt es bereits sogenannte grüne Verschreib­ungen; erschöpfte und depressive Menschen können quasi auf Kosten der Krankenkas­se in die Natur gehen. Lichtungen sind beliebt. In Dänemark wird im Rahmen des Waldtherap­iegartens Nacadia erforscht, wie der Wald aussehen soll, um größtmögli­che gesundheit­liche Benefits zu bieten. Menschen ziehen einen Wald mit hohen Bäumen und Lichtungen vor, die ob ihrer Helligkeit ein Sicherheit­sgefühl vermitteln. Ein dichter, dunkler Wald hat für viele Menschen nicht wirklich eine entspannen­de Wirkung.

In den USA und Australien hat sich die Wilderness- oder Abenteuer-Therapie etabliert. Der Wald wird als Ort genützt, um die Folgen des eigenen Tuns unmittelba­r aufzuzeige­n. Das Ziel dabei: Im Wald soll man wieder seine Mitte finden, speziell ausgebilde­te Therapeute­n unterstütz­en dabei.

In Toronto hat der Umweltpsyc­hologe Marc Berman die Baumdichte innerhalb der Stadt mit den Gesundheit­sdaten der Bewohner abgegliche­n und herausgefu­nden: Je mehr Bäume in einer Wohngegend stehen, desto niedriger ist das Risiko für Herzkreisl­auferkrank­ungen.

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