Die Presse am Sonntag

Als die Stadt London leuchtete wie eine glühende Kohle

Der Große Brand vom 2. bis 6. September 1666 ist eines der prägenden Ereignisse in der Geschichte Londons. Die Ereignisse vor 350 Jahren, die die damals noch mittelalte­rlich anmutende, dicht verbaute City of London fast vollständi­g zerstört haben, sind du

- VON GÜNTHER HALLER

Über keinen Menschen des 17. Jahrhunder­ts wissen wir so viel wie über den Londoner Bürger Samuel Pepys. Der besessene Tagebuchsc­hreiber schildert uns die Zeit von 1660 bis 1669, eine der spannendst­en Epochen der englischen Geschichte, die Rückkehr zur Monarchie der Stuarts nach zwölf Jahren Cromwell-Republik. Wie keiner vor ihm verknüpft er damit seine nicht minder aufregende private Lebensgesc­hichte, seinen wachsenden Reichtum, seine Leidenscha­ft für Kunst, Wissenscha­ft und gutes Essen, seine erotischen Eskapaden, seinen häuslichen Alltag. Die Fülle der Details, die den Leser schier schwindeli­g machen, war nur für einen bestimmt: für ihn selbst. Wie mit einem Balzac des 17. Jahrhunder­ts können wir bei der Lektüre eintauchen in das dicht gedrängte Leben Londons, wir kennen es so plastisch nur aus den spöttische­n Gemäldezyk­len eines William Hogarth.

Was in den ersten Morgenstun­den des 2. September 1666 – es war ein Sonntag – geschah, beunruhigt­e Pepys zunächst nicht. Eine Hausangest­ellte hatte ihn nachts gegen drei Uhr geweckt, weil sie einen Brand in der City sah, er legte sich aber wieder ins warme Ehebett. Der Sommer dieses Jahres war heiß und trocken gewesen, ein warmer Südwestwin­d blies seit Ende August und es kam immer wieder zu Bränden, weil die Menschen aus Bequemlich­keit das Herdfeuer über Nacht glimmen ließen (Streichhöl­zer waren noch nicht erfunden) und weil das Feuer in den eng verbauten Gassen leicht von einem Holzfachwe­rkhaus zum anderen übersprang. Brände gehörten zum Londoner Alltag. „Das Feuer auspissen.“Man war Kummer gewöhnt, im Jahr zuvor hatte eine verheerend­e Pestepidem­ie gewütet und rund hunderttau­send Londoner, also ein Drittel der Bevölkerun­g, das Leben gekostet. Das Feuer an diesem 2. September brach in einer Bäckerei in

Das Große Feuer von London 1666

Nach der Katastroph­e wurde London wieder aufgebaut, aber auch heute erinnert noch einiges an das Feuer. „The Monument of the Great Fire of London“, kurz auch „The Monument“ist eine beliebte Touristena­ttraktion, auch eine Tube Station trägt diesen Namen. Das Museum of London zeigt bis April 2017 zum Anlass die Ausstellun­g „Fire Fire“. Eine 120 Meter lange Holzskulpt­ur auf der Themse, die Londons Skyline von 1666 nachbildet, wird am 4. September in Brand gesetzt: „Watch it burn!“ Der London Dungeon bietet zum 350-JahrJubilä­um die Gruselshow „Escape The Great Fire“mit LiveAkteur­en und Spezialeff­ekten. Aufgabe ist es, heil aus dem Feuer herauszuko­mmen. der Pudding Lane aus, warum, wurde nie geklärt. Dem Lord Mayor, der ebenfalls aus dem Schlaf gerissen worden war, war die anfänglich­e Nonchalanc­e („Pish! A woman might piss it out!“) bald vergangen. Inzwischen waren nämlich am Themseufer bereits 300 Häuser zerstört, auch die Speicher mit Öl, Branntwein, Pech und anderem brennbaren Material hatten Feuer gefangen, wichtige Wasserröhr­en waren abgesperrt und durch einen verhängnis­vollen Zufall konnten die Schlüssel nicht gefunden werden. Zudem trieb ein heftiger Wind das Feuer rasch der City zu.

Pepys überbracht­e dem König in Whitehall die Schreckens­nachricht. Charles II. befahl, kein Haus zu schonen, um das Feuer einzukreis­en. Die Themse war inzwischen voll mit Booten und Kähnen, die Fliehenden trugen ihren Hausrat auf dem Rücken oder vergruben ihn im Garten. Am Abend des ersten Brandtages bot das sich in einem gewaltigen Bogen erstrecken­de Feuer einen Anblick von schauerlic­her Schönheit. Pepys‘ Tagebuchei­ntrag: „Jeder versucht, sein Hab und Gut zu retten, es in den Fluss zu werfen oder in kleine Boote. Die Armen bleiben in ihren Häusern, bis das Feuer sie erreicht hat, dann rennen sie auf die Schiffe oder von einer Anlegebrüc­ke auf die andere. Beobachtet­e etwa eine Stunde lang, wie das Feuer sich nach allen Richtungen ausbreitet­e und niemand Anstalten zum Löschen machte – alle kümmerten sich nur um ihre Habseligke­iten und überließen das Feuer sich selbst. Der starke Wind treibt das Feuer in die City, und nach der langen Trockenhei­t ist jetzt alles leicht entzündlic­h, sogar die Steine in den Kirchenmau­ern.“

Am Dienstag den 4. September, erreichte die Katastroph­e mit der Zerstörung der Cheapside, einer breiten Paradestra­ße, durch die der König kam, wenn er die City besuchte, einen Höhepunkt. Am Nachmittag erreichte das Feuer die Guildhall, den Sitz der Stadtbehör­de, das Gebäude „leuchtete Stunden hindurch wie eine glühende Kohle“. Ein Großteil der City war bereits ein rauchender Trümmerhau­fen, als die St.-Pauls-Kathedrale, das höchste und eindrucksv­ollste Gebäude der Stadt, noch unversehrt emporragte. Der verhältnis­mäßig große freie Platz ringsum bot eine gewisse Sicherheit, daher schafften die Buch-, Papier- und Stoffhändl­er der Nachbarsch­aft ihre Waren in die Kirche. Gegen Abend aber fiel ein Funkenrege­n auf das Gotteshaus, ein Brett auf dem Dach fing Feuer und im Nu stand alles in hellen Flammen. „Zwei Tage und Nächte flogen die Steine von Paul’s wie Grana-

Alle kümmerten sich um ihre Habseligke­iten und überließen das Feuer sich selbst.

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