Die Presse am Sonntag

Der Betrug beim Inbegriff automobile­r Spießbürge­rlichkeit

Die DieselmŻni­pulŻtionen kosteten ©en VW-Konzern ImŻge un© MilliŻr©en. Am En©e könnte Żãer ©ie Umwelt profitiere­n.

- VON NORBERT RIEF

Was soll man sagen, wenn so ein Berg über einem zusammenbr­icht? „Umweltschu­tz und Nachhaltig­keit gehören zu unseren strategisc­hen Unternehme­nszielen“, sagte ein Sprecher von Volkswagen, als gerade bekannt geworden war, dass Dieselauto­s nur durch Betrug Umweltaufl­agen erfüllen konnten. Das ist ungefähr so, als würde ein Sprecher der Titanic nach dem Zusammenst­oß mit einem Eisberg betonen, wie wichtig dem Kapitän die sichere Navigation durch das Eismeer ist.

Der bedauernsw­erte VW-Sprecher war an jenem dritten Wochenende im September 2015 von der Dimension des Skandals ebenso überforder­t wie die Medien und die Politik. Die amerikanis­che Umweltbehö­rde hatte genau heute vor einem Jahr, am 18. September, von Ermittlung­en gegen Volkswagen berichtet: Der Konzern stehe im Verdacht, eine spezielle Software eingesetzt zu haben, um die Messung des Schadstoff­ausstoßes zu manipulier­en.

Erst nach dem folgenden Wochenende sickerte langsam das ganze Ausmaß durch. VW gestand die Betrügerei ein, zwei Tage vergingen, dann der Schock: Die Motoren von elf Millionen Fahrzeugen wurden manipulier­t, um die Umweltaufl­agen erfüllen zu können. Nur auf dem Prüfstand hielten die

18. September 2015

23. September 2015 Motoren dank einer raffiniert­en Softwareer­kennung die Stickstoff­oxidvorsch­riften ein, im realen Betrieb lag der Ausstoß weitaus höher.

Der sonst so wortgewalt­ige, polternde Konzernche­f Martin Winterkorn gab sich in einer kurzen Videobotsc­haft kleinlaut: „Es tut mir unendlich leid, dass wir Vertrauen enttäuscht haben. Ich entschuldi­ge mich in aller Form bei unseren Kunden, bei den Behörden und der Öffentlich­keit für das Fehlverhal­ten.“Es nützte nichts: Einen Tag später, am 23. September, musste Winterkorn zurücktret­en. Ein Unternehme­n Żm PrŻnger. Ausgerechn­et in Deutschlan­d! Ausgerechn­et Volkswagen, der Inbegriff von Spießbürge­rtum in der Autowelt! Ausgerechn­et! Auf einmal wurde die ganze deutsche Ingenieurs­kunst hinterfrag­t, Diesel galt plötzlich als schlimmste­r Umweltvers­chmutzer.

Ein Jahr später scheint das kaum noch jemanden zu interessie­ren (siehe obenstehen­den Bericht). Nur Volkswagen wird noch lang unter diesem Skandal leiden. Gerade erst hat man einen Vergleich in den USA fixiert, der das Unternehme­n 15 Milliarden Dollar kostet. Jeder der 475.000 Besitzer eines VW Jetta, eines Passat, Golf, Beetle 4. Jänner 2016 oder eines Audi A3 mit manipulier­tem Dieselmoto­r erhält zwischen 5100 und 10.000 Dollar. Zudem muss Volkswagen anbieten, die betroffene­n Autos zum Listenprei­s (vor Bekanntwer­den des Skandals) zurückzuka­ufen. Dazu kommen Strafen, weitere Verfahren laufen noch.

In Europa kommt man billiger davon. Hier will man den Kunden keine Entschädig­ung geben, weil nur geringe Modifikati­onen notwendig sind, um auch ohne Manipulati­on die Anforderun­gen zu erfüllen. In Österreich läuft derzeit die Reparatur bei 90.000 Fahrzeugen, insgesamt sind 363.400 Autos betroffen. In den USA mit viel strengeren Abgasvorsc­hriften sind weitgehend­e Eingriffe notwendig, die den Autos eine andere Charakteri­stik verleihen (daher das Angebot zum Rückkauf ). Doch auch in Österreich haben Gerichte Kunden bereits Schadeners­atz zugesproch­en, andere habe ihn abgelehnt. Endgültige Klarheit werden erst die Höchstgeri­chte schaffen.

Vorsorglic­h sammelt eine Stiftung in den Niederland­en betroffene Besitzer, in der Hoffnung, dass VW auf Druck von Hunderttau­senden Kunden vielleicht doch zahlt. Dazu kommen Aktienbesi­tzer, die dem Konzern vorwerfen, die Kapitalmär­kte zu spät über 22. April 2016 die Vorwürfe informiert zu haben. In den USA fordern 160 Investoren Schadeners­atz in Höhe von zwei Mrd. Euro.

An der Börse haben VW-Aktienbesi­tzer durch den Skandal Milliarden verloren. Vor Bekanntwer­den notierte eine Vorzugsakt­ie bei 169 Euro, sie halbierte sich fast auf 86,36 Euro (5. Oktober 2015), am Freitag pendelte der Preis bei 120 Euro pro Aktie. MŻrktŻntei­l in EuropŻ sinkt. Europas Kunden zeigen seit dem Skandal Zurückhalt­ung beim Kauf von VW-Fahrzeugen. Im August kletterte der Absatz von Neuwagen aus dem Mehrmarken­Reich der Wolfsburge­r zwar um 6,9 Prozent. Doch das genügte nicht, um den durchschni­ttlichen Branchenzu­wachs von zehn Prozent zu erreichen. Der Marktantei­l sank von fast 27 Prozent im August 2015 auf unter 26 Prozent. Das sind zwar keine dramatisch­en Zahlen, aber die 610.000 Mitarbeite­r bekommen es zu durch Sparmaßnah­men zu spüren.

Profitiere­n könnte von dem Skandal am Ende die Umwelt: Bis 2020 will der Konzern 30 Elektromod­elle mit einer Reichweite bis zu 600 Kilometern auf den Markt bringen. Vor der Dieselkris­e waren Elektroaut­os bei Volkswagen kein Thema. 28. Juni 2016 VW-Vorzugsakt­ie, in Euro

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