»Ich weiß noch, wie viel die Butter kostet«
Rapid-Trainer Mike Büskens ist 2005 nur knapp dem Tod entronnen. Der 48-jährige Deutsche erzählt, wie er dem Leben seither begegnet, warum er freiwillig auf Geld verzichtet und wieso Bayern für RB Leipzig vorerst unantastbar bleibt.
Trainer stehen unter großem Stress, während der 90 Minuten gilt es zahllose Eindrücke zu verarbeiten und Entscheidungen zu treffen. Können Sie ein Spiel überhaupt genießen? Mike Büskens: Manchmal, wenn meine Mannschaft zum Beispiel ein Tor fantastisch herausspielt, dann gibt es diesen Augenblick. Aber solche Momenten sind rar gesät, das ist ein seltener Luxus. Gladbach-Coach Andr´e Schubert meinte unlängst in einem Interview, alle Trainer seien Interimstrainer, unabhängig von der Laufzeit ihrer Verträge. Stimmen Sie zu? Da hat er vollkommen recht. Die Haltbarkeit der Trainer wird immer kürzer, weil Vereine immer weniger Geduld haben und oftmals aus einem Affekt entscheiden. Wie sollen Dinge entstehen, wenn man eigentlich nie die Ruhe hat, eine Entwicklung zuzulassen? Im Fußball geht es um viel Geld, Vereine unterliegen einem wirtschaftlichen Druck, also wird oft der vermeintlich einfachste Weg gewählt, wenn es nicht wie gewünscht läuft. Selbst wenn du heute einen mehrjährigen Vertrag hast: Du landest ruckzuck auf der Straße. Warum aber haben Sie bei Rapid ganz bewusst nur für ein Jahr unterschrieben? Sehnen Sie sich nicht nach einer gewissen Sicherheit? Ein Jahr ist ein Zeitraum, während dessen beide Seiten herausfinden können, ob es passt oder eben nicht. Wenn es nicht passt, werden Arbeitsverhältnisse oft schmutzig beendet, darauf habe ich ehrlich keine Lust. Ich möchte mich nicht über meine Abfindung definieren, sondern in meinen Handlungen frei sein. Damit kann ich letztlich besser leben. Das ist eine höchst löbliche Einstellung, aber welcher Arbeitnehmer verzichtet schon freiwillig auf Geld? Ich verdiene gern Geld, ich verdiene auch gern gutes Geld, aber es ist nicht meine alleinige Motivation. Wenn es so wäre, müsste ich sofort aufhören. Ich bin mittlerweile seit 27 Jahren im Profifußball beschäftigt und weiß immer noch, wie teuer die Butter bei Hofer oder Aldi ist. Und ich stelle fest, dass die Lebensmittel in Österreich teilweise teurer sind als in Deutschland. Was ich damit sagen will, ist: Ich weiß, was es braucht, um zu leben und zweimal am Tag warm essen zu können. Sie wirken sehr geerdet, bodenständig. Hat die lebensbedrohliche Sepsis nach einer Darminfektion 2005 Ihre Einstellung zum Leben gravierend verändert? Ich war schon immer sehr werteorientiert, habe nie auf großem Fuß gelebt oder bin abgehoben. Aber klar, wenn man so eine Erfahrung macht und die Chance auf das Weiterleben bei zwei bis fünf Prozent liegt, dann wird man noch demütiger. Ich war im künstlichen Koma, habe überall Schläuche gesehen, damit sie mich mit Medikamenten vollpumpen konnten. Das sind schon Momente, die dich prägen. Ich habe bemerkt, wie endlich Dinge sein können. Meine Kinder waren damals zwei und fünf Jahre alt. Mein größter Wunsch war es zu sehen, wie sie groß werden. Ich empfinde heute eine gewisse Dankbarkeit. Wie wirkt sich diese Erfahrung auf Ihr heutiges Arbeitsleben aus? Wenn ich mit Rapid in Altach verliere, könnte ich mir denken: „Hey, Mike, du hast schon Schlimmeres erfahren.“Aber dieses Gefühl hält maximal zehn Sekunden an, dann ärgere ich mich wieder kaputt. Die Realität holt dich eben sehr schnell ein. Aber das sind Dinge, die ich auch lernen und verbessern muss. Ich wünschte, ich hätte in manchen Momenten etwas mehr Gelassenheit. Die Causa um Rapid-Stürmer Maximilian Entrup (19), der einst bei der Austria spielte und einem violetten Fanklub angehörte, hat zu Saisonbeginn hohe Wellen geschlagen und emotionalisiert. Haben Sie sich einmal in den Jungen hineinversetzt? Jeden Tag. Ich habe in dieser Phase sehr viel mit ihm gesprochen, weil hinter jeder Rückennummer auch eine Seele steckt. Rupi ist ein junger Mensch, auf den wahnsinnig viel eingeprasselt ist. Hat er mit dem Thema abgeschlossen? Ich frage ihn nicht jeden Tag. Aber: Rupi macht sich gegenwärtig viel zu viel Druck, weil er jedem beweisen möchte: Ich bin ein Spieler von Rapid und kann und werde dem Verein helfen. Wenn er diese Situation für sich erfolgreich durchlebt, wird ihm das einen großen Schub geben. Da bin ich mir sicher. Was halten Sie als Fußball-Romantiker von der Champions-League-Reform? Diese Reform ist in meinen Augen ein Kompromiss gegenüber den großen Klubs. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Großer von einem Kleinen geschlagen wird, wird damit immer geringer. Ob das auf Dauer gut für den Fußball ist, bezweifle ich. Der Fußball lebt ja auch davon, dass Rapid mal die Chance bekommt, in einem Wettbewerbsspiel Real Madrid gegenüberzustehen. Die Schere wird weiter auseinandergehen. Das wird dann eine Zwei-, Dreioder Vierklassengesellschaft geben. In Deutschland möchte RB Leipzig bald eine Klasse für sich sein. Wird der Klub künftig neue Hierarchien schaffen? Der Verein hat große Ambitionen und die Wirtschaftlichkeit, diesen Ambitionen gerecht zu werden. Die Verantwortlichen wollen kein Mittelmaß. Red Bull sorgt dafür, dass einer aus dem All springt, die geben sich nicht mit Kleinigkeiten zufrieden. Die wollen, dass ihr Produkt richtig beworben wird, sie viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Der Verein mag seine großen Ziele vielleicht nicht in ein oder zwei Jahren erreichen können, aber auf Dauer kann er Traditionsvereinen wie Schalke oder Dortmund gefährlich werden. Denn: Wo ist das wirtschaftliche Ende, wenn du dir einen Formel-1-Rennstall gönnst? Sie sprechen von einer Gefahr für Dortmund und Schalke. Aber Sie glauben eher nicht, dass sich die Bayern bald fürchten müssen, oder? Ich glaube nicht, dass RB Leipzig den Bayern in den nächsten fünf bis zehn Jahren gefährlich werden kann. Bayern ist so gut aufgestellt, sie werden immer in der Lage sein, wirtschaftlich zu konkurrieren. Bayern ist eine Marke, die stößt du nicht so leicht um.
Mike Büskens
wurde am 19. März 1968 in Düsseldorf geboren. Als Aktiver war der Mittelfeldspieler bei Fortuna Düsseldorf, Schalke 04 und MSV Duisburg engagiert, seine große Liebe war Königsblau. Für die Schalker absolvierte er über 250 Spiele. Von 2002 bis 2009 war Büskens im Trainerteam von Schalke tätig, später arbeitete er für Greuther Fürth und Fortuna Düsseldorf. Am 7. Juni 2016 übernahm Büskens das Traineramt bei Rapid Wien und trat damit die Nachfolge von Zoran Bariˇsi´c an.