Die Presse am Sonntag

»Ich weiß noch, wie viel die Butter kostet«

Rapid-Trainer Mike Büskens ist 2005 nur knapp dem Tod entronnen. Der 48-jährige Deutsche erzählt, wie er dem Leben seither begegnet, warum er freiwillig auf Geld verzichtet und wieso Bayern für RB Leipzig vorerst unantastba­r bleibt.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Trainer stehen unter großem Stress, während der 90 Minuten gilt es zahllose Eindrücke zu verarbeite­n und Entscheidu­ngen zu treffen. Können Sie ein Spiel überhaupt genießen? Mike Büskens: Manchmal, wenn meine Mannschaft zum Beispiel ein Tor fantastisc­h herausspie­lt, dann gibt es diesen Augenblick. Aber solche Momenten sind rar gesät, das ist ein seltener Luxus. Gladbach-Coach Andr´e Schubert meinte unlängst in einem Interview, alle Trainer seien Interimstr­ainer, unabhängig von der Laufzeit ihrer Verträge. Stimmen Sie zu? Da hat er vollkommen recht. Die Haltbarkei­t der Trainer wird immer kürzer, weil Vereine immer weniger Geduld haben und oftmals aus einem Affekt entscheide­n. Wie sollen Dinge entstehen, wenn man eigentlich nie die Ruhe hat, eine Entwicklun­g zuzulassen? Im Fußball geht es um viel Geld, Vereine unterliege­n einem wirtschaft­lichen Druck, also wird oft der vermeintli­ch einfachste Weg gewählt, wenn es nicht wie gewünscht läuft. Selbst wenn du heute einen mehrjährig­en Vertrag hast: Du landest ruckzuck auf der Straße. Warum aber haben Sie bei Rapid ganz bewusst nur für ein Jahr unterschri­eben? Sehnen Sie sich nicht nach einer gewissen Sicherheit? Ein Jahr ist ein Zeitraum, während dessen beide Seiten herausfind­en können, ob es passt oder eben nicht. Wenn es nicht passt, werden Arbeitsver­hältnisse oft schmutzig beendet, darauf habe ich ehrlich keine Lust. Ich möchte mich nicht über meine Abfindung definieren, sondern in meinen Handlungen frei sein. Damit kann ich letztlich besser leben. Das ist eine höchst löbliche Einstellun­g, aber welcher Arbeitnehm­er verzichtet schon freiwillig auf Geld? Ich verdiene gern Geld, ich verdiene auch gern gutes Geld, aber es ist nicht meine alleinige Motivation. Wenn es so wäre, müsste ich sofort aufhören. Ich bin mittlerwei­le seit 27 Jahren im Profifußba­ll beschäftig­t und weiß immer noch, wie teuer die Butter bei Hofer oder Aldi ist. Und ich stelle fest, dass die Lebensmitt­el in Österreich teilweise teurer sind als in Deutschlan­d. Was ich damit sagen will, ist: Ich weiß, was es braucht, um zu leben und zweimal am Tag warm essen zu können. Sie wirken sehr geerdet, bodenständ­ig. Hat die lebensbedr­ohliche Sepsis nach einer Darminfekt­ion 2005 Ihre Einstellun­g zum Leben gravierend verändert? Ich war schon immer sehr werteorien­tiert, habe nie auf großem Fuß gelebt oder bin abgehoben. Aber klar, wenn man so eine Erfahrung macht und die Chance auf das Weiterlebe­n bei zwei bis fünf Prozent liegt, dann wird man noch demütiger. Ich war im künstliche­n Koma, habe überall Schläuche gesehen, damit sie mich mit Medikament­en vollpumpen konnten. Das sind schon Momente, die dich prägen. Ich habe bemerkt, wie endlich Dinge sein können. Meine Kinder waren damals zwei und fünf Jahre alt. Mein größter Wunsch war es zu sehen, wie sie groß werden. Ich empfinde heute eine gewisse Dankbarkei­t. Wie wirkt sich diese Erfahrung auf Ihr heutiges Arbeitsleb­en aus? Wenn ich mit Rapid in Altach verliere, könnte ich mir denken: „Hey, Mike, du hast schon Schlimmere­s erfahren.“Aber dieses Gefühl hält maximal zehn Sekunden an, dann ärgere ich mich wieder kaputt. Die Realität holt dich eben sehr schnell ein. Aber das sind Dinge, die ich auch lernen und verbessern muss. Ich wünschte, ich hätte in manchen Momenten etwas mehr Gelassenhe­it. Die Causa um Rapid-Stürmer Maximilian Entrup (19), der einst bei der Austria spielte und einem violetten Fanklub angehörte, hat zu Saisonbegi­nn hohe Wellen geschlagen und emotionali­siert. Haben Sie sich einmal in den Jungen hineinvers­etzt? Jeden Tag. Ich habe in dieser Phase sehr viel mit ihm gesprochen, weil hinter jeder Rückennumm­er auch eine Seele steckt. Rupi ist ein junger Mensch, auf den wahnsinnig viel eingeprass­elt ist. Hat er mit dem Thema abgeschlos­sen? Ich frage ihn nicht jeden Tag. Aber: Rupi macht sich gegenwärti­g viel zu viel Druck, weil er jedem beweisen möchte: Ich bin ein Spieler von Rapid und kann und werde dem Verein helfen. Wenn er diese Situation für sich erfolgreic­h durchlebt, wird ihm das einen großen Schub geben. Da bin ich mir sicher. Was halten Sie als Fußball-Romantiker von der Champions-League-Reform? Diese Reform ist in meinen Augen ein Kompromiss gegenüber den großen Klubs. Die Wahrschein­lichkeit, dass ein Großer von einem Kleinen geschlagen wird, wird damit immer geringer. Ob das auf Dauer gut für den Fußball ist, bezweifle ich. Der Fußball lebt ja auch davon, dass Rapid mal die Chance bekommt, in einem Wettbewerb­sspiel Real Madrid gegenüberz­ustehen. Die Schere wird weiter auseinande­rgehen. Das wird dann eine Zwei-, Dreioder Vierklasse­ngesellsch­aft geben. In Deutschlan­d möchte RB Leipzig bald eine Klasse für sich sein. Wird der Klub künftig neue Hierarchie­n schaffen? Der Verein hat große Ambitionen und die Wirtschaft­lichkeit, diesen Ambitionen gerecht zu werden. Die Verantwort­lichen wollen kein Mittelmaß. Red Bull sorgt dafür, dass einer aus dem All springt, die geben sich nicht mit Kleinigkei­ten zufrieden. Die wollen, dass ihr Produkt richtig beworben wird, sie viel mediale Aufmerksam­keit erhalten. Der Verein mag seine großen Ziele vielleicht nicht in ein oder zwei Jahren erreichen können, aber auf Dauer kann er Traditions­vereinen wie Schalke oder Dortmund gefährlich werden. Denn: Wo ist das wirtschaft­liche Ende, wenn du dir einen Formel-1-Rennstall gönnst? Sie sprechen von einer Gefahr für Dortmund und Schalke. Aber Sie glauben eher nicht, dass sich die Bayern bald fürchten müssen, oder? Ich glaube nicht, dass RB Leipzig den Bayern in den nächsten fünf bis zehn Jahren gefährlich werden kann. Bayern ist so gut aufgestell­t, sie werden immer in der Lage sein, wirtschaft­lich zu konkurrier­en. Bayern ist eine Marke, die stößt du nicht so leicht um.

Mike Büskens

wurde am 19. März 1968 in Düsseldorf geboren. Als Aktiver war der Mittelfeld­spieler bei Fortuna Düsseldorf, Schalke 04 und MSV Duisburg engagiert, seine große Liebe war Königsblau. Für die Schalker absolviert­e er über 250 Spiele. Von 2002 bis 2009 war Büskens im Trainertea­m von Schalke tätig, später arbeitete er für Greuther Fürth und Fortuna Düsseldorf. Am 7. Juni 2016 übernahm Büskens das Traineramt bei Rapid Wien und trat damit die Nachfolge von Zoran Bariˇsi´c an.

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APA Typ emotionale­r Arbeiter: Rapids Mike Büskens.

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