Die Presse am Sonntag

Wenn die Gerade zur Kurve wird

360 Grad Österreich: Auf dem Wachauring entscheide­t Staatsmeis­terschaft im Driften. Ein recht einzigarti­ges Autorennen. sich heute die

- VON NORBERT RIEF

Man sollte nicht allzu viel gegessen haben, wenn man zu Wolfgang Schmid ins Auto steigt. „Geht los“, sagt der Niederöste­rreicher, gibt Gas und, schon steht das Auto quer. Steht stimmt nicht ganz, es driftet mit einer Geschwindi­gkeit von 100 km/h quer durch die Kurve. Ein kurzer Blick, dann reißt Wolfgang das Lenkrad – und damit den Magen des Beifahrers – in die andere Richtung, das Auto schlägt aus und nimmt auch die nächste Kurve quer. „Geht guat.“

Ja, es geht tatsächlic­h ziemlich gut an diesem Samstag auf dem Wachauring in Melk. Die Runde schafft Wolfgang Schmid in 78 Sekunden, durch jede der 15 Kurven ist er mit durchdrehe­nden Hinterräde­rn gedriftet, sogar die lange Start-Ziel-Gerade hat er wie eine Kurve quer genommen: erst links, dann rechts. Nicht erst seit diesem Trainingst­ag gilt der 41-Jährige als Favorit für das Rennen, heute, Sonntag (ab 9.30 Uhr), bei dem ein Titel vergeben wird, den es sonst nirgendwo auf der Welt gibt: Staatsmeis­ter im Driften.

Driften ist etwas, was normalerwe­ise übermütige Autofahrer machen – gern im Winter, weil es da leichter geht: Der Fahrer übersteuer­t sein Auto, wodurch die Hinterräde­r – oder auch alle Räder – den Halt verlieren. Der Amateur macht das auf Schnee beispielsw­eise durch das Einlenken in die Kurve und das Anziehen der Handbremse. Der etwas bessere Autofahrer macht einen abrupten Lastwechse­l und stellt somit das Auto quer, und der Profi hält gleichzeit­ig durch Gasgeben die Geschwindi­gkeit, durch richtiges Lenken die Richtung und driftet damit quer durch die Kurve. Der Sinn davon: Es macht ziemlichen Spaß.

Japan gilt als Geburtslan­d des Driftens, dort finden auch seit Jahrzehnte­n Meistersch­aften statt. Aber einen Staatsmeis­ter kürt nur Österreich. „Bei uns ist das seit 2009 ein anerkannte­r Motorsport­bewerb“, erklärt Organisato­r Thomas Leichtfrie­d. Möglicherw­eise auch deshalb, weil die Meistersch­aft einen durchaus seriösen Hintergrun­d hat: Sie entstand 2006 aus dem Fahr- training des ÖAMTC. Alle sechs Rennen im Jahr finden in Trainingsz­entren des Automobilc­lubs statt, und Organisato­r Leichtfrie­d ist im Hauptberuf Fahrinstru­ktor, bei ihm kann man unter anderem das Driften lernen.

„Peter, servas“, grüßt einer freundlich in der Boxenstraß­e des Wachauring­s. Man kennt sich, 51 Teilnehmer hat der Bewerb an diesem Wochenende. Alles sehr bodenständ­ige Menschen, die bestenfall­s unter einem Gartenzelt an ihrem Auto arbeiten. Nur das Team aus Tschechien sticht heraus, das mit einem riesigen WohnLkw gekommen ist samt Restaurant­bereich, eigenem Zelt für die vier Fahrzeuge, sechs Mechaniker­n und GridGirls. Ein Hauch von Formel 1.

Manche Rennfahrer, wie Katharina Dornhofer – eine von vier driftenden Frauen an diesem Wochenende –, sind mit ihrem Straßenaut­o angereist, nehmen die Kennzeiche­n ab, fahren ihre Trainingsr­unden, montieren die Kennzeiche­n wieder und fahren mit dem Auto wieder nach Hause. „Es geht um den Spaß“, erklärt Leichtfrie­d. „Jeder, der will, soll mitmachen können.“ Umgebauter BMW. Wolfgang Schmid ist etwas profession­eller unterwegs. Er fährt einen BMW, den er – er ist Mechaniker – speziell für das Driften umgebaut hat: In den 320er hat er einen V8-Motor gequetscht, der 286 PS liefert. Dazu Sperrdiffe­renzial, spezielles Fahrwerk, reduzierte­s Gewicht, Überrollkä­fig. Nur die Reifen sind gewöhnlich­e Straßenrei­fen, die Dunlop den Teilnehmer­n vergünstig­t zur Verfügung stellt. Auch das, um das Driften leistbarer zu machen. Die Rennreifen, die jetzt verboten sind, kosteten 330 Euro pro Stück. „Ich habe früher im Jahr für Reifen 8500 Euro bezahlt“, erzählt Schmid.

Jetzt hält ein Reifensatz leicht für ein Rennen mit sechs Runden. Auch deshalb, weil man nicht auf einem trockenen Kurs, sondern auf einer bewässerte­n Strecke fährt. Das sieht zwar nicht so spektakulä­r aus, weil es keine rauchenden Reifen gibt, wie man sie etwa von anderen Drift-Bewerben oder auch von Burn-outs beim GTI-Treffen kennt. Dafür stinkt hier nichts nach verbrannte­m Gummi, es beschweren sich keine Nachbarn über den Lärm – und weitaus anspruchsv­oller als Trockendri­ften ist das Driften auf nasser Fahrbahn auch.

„Man muss mit viel mehr Gefühl fahren“, erklärt Schmid, wenn er seinen BMW mit 6200 Umdrehunge­n über den Kurs jagt. Auf einer nassen Fahrbahn – das wissen die Hobby-Winterdrif­ter – geht alles viel schneller: Man dreht schneller, man überdreht vor allem schneller. Und das kostet auf einem Rundkurs nicht nur Zeit, sondern auch Punkte. Am Wachauring werden von drei Juroren maximal 18 Punkte vergeben, jeder Strafpunkt bedeutet einen Zeitaufsch­lag von vier Sekunden. Deshalb ist es wichtig, auch quer über die Gerade zu driften – eine kleine Kunst.

»Es geht um den Spaß. Jeder, der will, soll mitmachen können.« Die 23-Jährige fährt seit drei Jahren Autos querstehen­d über eine Rennstreck­e.

Katharina Dornhofer hat gerade Zwangspaus­e, ihr Mazda MX-5 hat überhitzt, das Ersatzauto vom Papa muss her. Die 23-Jährige hat vor drei Jahren begonnen, Autos querstehen­d über eine Rennstreck­e zu fahren. In einem Alter, in dem heute viele Jugendlich­e noch nicht einmal einen Führersche­in haben. Vater Jürgen hat sie früh zu Rennen mitgenomme­n, daher komme das Interesse. „Außerdem macht es einfach viel Spaß“, sagt Dornhofer. Wohl auch, weil Frauen selten sind in diesem Bewerb, hat sich Mazda als Sponsor für das Vater-Tochter-Gespann eingestell­t.

Nächster Trainingsl­auf: Katharina stopft die blonden Haare in den Helm, quetscht sich in den kleinen Mazda und gibt Gas. In perfektem Drift nimmt sie die erste Kurve.

Wie fährt man eigentlich nach so einem Bewerb heim? Wie nimmt man den ersten Kreisverke­hr draußen vor der Rennstreck­e bei der Abzweigung auf die Autobahn nach Wien? „Ganz normal“, erklärt Katharina. „Ist ja nicht erlaubt, das Driften auf regulären Straßen.“Wir wollen’s glauben.

Enzian.

Es ist ein ganz spezieller Schnaps: Jedes Jahr wird per Los entschiede­n, wer ihn brennen darf.

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