Die Presse am Sonntag

Verdi in Linz: Hau den Falstaff!

Federico Longhi glänzt als saftig-eloquenter Falstaff und tragische Figur der Industrial­isierung.

- WA LT E R W E I D R I N G E R

Ein trauriges Ende: Gerade hat noch Verdis grandiose Schlussfug­e alles auf Erden zu Spaß und die Menschen zu geborenen Narren erklärt, da macht Ford mit einem letzten Schlag der dickwansti­gen Verkörperu­ng aller Sinnesfreu­den den Garaus. Falstaff ist zum „Hau den Lukas“geworden, scheint mit der Jahrmarkta­ttraktion verwachsen, an die er zuvor gefesselt worden ist. Und jetzt muss er auch noch kläglich sein Leben aushauchen . . .

Es stimmt schon, ein bisschen arbeitet auch Guy Montavon in seiner Inszenieru­ng mit dem Holzhammer, wie hier der eifersücht­ige Ford. Aber die meisten Hiebe treffen. Und gar mit einem musiktheat­ralischen Doppelschl­ag beginnt Hermann Schneider seine Intendanz am Linzer Landesthea­ter: Für die Eröffnungs­premiere von „Falstaff“am Freitag hat er den Erfurter Kollegen Montavon an das Haus geholt; Die österreich­ische Erstauffüh­rung von Michael Obsts „Solaris“(1996) nach Stanisław Lems utopischem Roman tags hat er selbst inszeniert.

Montavon erzählt die Geschichte des dicken Ritters in der Zeit der industriel­len Revolution: Aus dem elisabe- thanischen Windsor wird ein von Fabriken, Maschinen, Ziegelwänd­en und Hinterhöfe­n bestimmtes Manchester. Da hausen gestrandet­e Existenzen wie Sir John Falstaff und seine Diener als veritable Sandler. An der Wand prangt Picassos „Don Quixote“, den Falstaff anbetet: Auch er kämpft auf verlorenem Posten und nach alten Regeln gegen die Windmühlen der neuen Zeit. Auf einem vielfältig bespielten Häusel mit Herzerltür muss der Stehpinkle­r in sein Verführung­soutfit schlüpfen, einen weißen dreiteilig­en Anzug – affig, aber pipifein. Ein archetypis­cher Clown. Und natürlich sind ihm die lustigen Weiber auch hier über, die mit resolutem Handtasche­nschwung fast suffragett­enartig ihr Recht durchsetze­n. Falstaff wird nicht in einem Wäschekorb in die Themse gekippt, sondern ambientege­recht in einem Förderwage­n voller Abfall zuerst auf Schiene und dann zum schmählich­en Entgleisen gebracht. Die Maskerade im letzten Akt spielt sich in einem verlassene­n Vergnügung­spark ab, wo sich Spaß und Gruseln auch popkulture­ll die Hand reichen. Da schwebt rund um ihn die ätherisch klingende Fenja Lukas (Nannetta) als Mary Poppins einher, die in Jacques le Roux einen Fenton von kräftigem Schmelz findet, da tanzen Carmen, Laurel und Hardy und andere alte Bekannte Ringelreih­n.

Falstaff ist hier zum archetypis­chen Clown geworden – eine etwas forcierte Umdeutung. Dem großartige­n Federico Longhi gelingt es jedoch mit seinem saftigen, in allen Lagen gleich gut ansprechen­den, eloquenten Bariton und seiner darsteller­ischen Intensität, jene Spuren von alter Würde und Grandezza zu zeigen, die ihm die Regie genau genommen abspricht. Er ist als Gast souveräne Zentralfig­ur im wackeren Hausensemb­le, in dem Myung Joo Lee und Martin Achrainer als Ehepaar Ford teilweise allzu vorsichtig klingen. Vielleicht lag es auch an Dennis Russell Davies am Pult, der mit dem guten Bruckner-Orchester Linz manch breite Tempi wählte. In den heiklen Ensembles waren noch mehr die Mühen der Einstudier­ung zu vernehmen, als dass funkelnd exaktes und doch frei wirkendes Musizieren beeindruck­t hätte: Das wird sich hoffentlic­h noch ändern.

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