Die Presse am Sonntag

Zirkus heute: Trapezturn­en gegen die Zeit

40 JŻhre Żlt ist ©er einst in Wien gegrün©ete Zirkus Roncalli – seiner Juãil´umstournee sieht mŻn ©Żs ãei Żllem Witz un© Eifer Żn. Un© ©och verkün©et ein Kin© mitten©rin: »Ich will für immer hierãleiãe­n«: ein Besuch Żuf ©em RŻthŻusplŻ­tz.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Der Clown schlägt die Weste auseinande­r, seine Brust sieht aus wie die eines Roboters: „Ist das kein Mensch?!“, fragt ein gerade noch verzücktes Kind tief erschrocke­n. Ein Hauch von Stephen King trübt den Zauber. Doch schon hat der Clown ein kleines, knallrotes, glitzernde­s Herz in der Hand – und gibt es dem Gegenstand seiner Liebe: einem – ja, was? Das rostfärbig­e Ding ähnelt einem Roboterhün­dchen aus dem vorvorigen Jahrhunder­t.

Diese Liebeserkl­ärung an ein rostiges Ding aus alten Zeiten, mit einem Herzchen in der Art, wie man es um 50 Cent zu kaufen kriegt – diese Liebeserkl­ärung sagt eigentlich alles über den Zirkus Roncalli. Erklärt, warum es ihn nach 40 Jahren immer noch gibt, warum Erwachsene mit, aber auch ohne Kinder hingehen und jede Nummer ausnahmslo­s eifrig bejohlen. Als würden sie damit auch jeden kleinsten Zweifel ersticken wollen: Wir klatschen, also gibt es euch. Wir klatschen gegen die Zeit an, die euch überrollt. In Filmen ist alles möglich. „Den Zauber, den die Romantik des Zirkuslebe­ns auf die Jugend ausübte, hat sie noch bis auf den heutigen Tag behalten. Allerdings ist man in seinen Ansprüchen verwöhnter geworden, man verlangt immer wieder Neues, Sensatione­lles“: Diese Bemerkung findet man schon in einer Ausgabe der deutschen Zeitschrif­t „Gartenlaub­e“aus dem Jahr 1880. Wie viel mehr gilt das für heute, da man im Film mit technische­n Effekten die Figuren so gut wie alles machen lassen kann . . . Was der Mensch im realen Raum mit seinem Körper anstellen kann, hat technische Grenzen.

Auch wenn die sympathisc­he, teilweise angegraute Roncalli-Garde mit ihrer Altertümli­chkeit und der Bescheiden­heit ihrer Mittel bewusst kokettiert, auch wenn die vorgeführt­e Kunst liebenswer­t und witzig inszeniert wird – man schöpft doch spürbar aus einem sich erschöpfen­den, alten Arsenal. Trotzdem hat es natürlich etwas Beglückend­es, Befreiende­s, wenn die zwei grandiosen Trapezküns­tler hoch oben ihre schwerelos­en Paartänze vollführen. Oder wenn ein junger Mann in seinem riesigen Reifen über die Bühne rollt. Da gibt es einen jungen Stimmkünst­ler, einen tollen Jongleur und eine nixenhaft glitzernde, wunderschö­ne Artistin, die aussieht, als wäre sie einem DisneyFilm entsprunge­n. Da gibt es den komischen Holländer, der tut, als könnte er nicht zaubern, um dann doch das Publikum auszutrick­sen; die wunderbare­n älteren, Klezmer wie Rock ’n’ Roll spielenden Musiker; und den Pferdedomp­teur mit seiner typisch zirkushaft­en Provinz-Grandezza. Und natürlich gibt es den Clown, der die Kinder immer noch am meisten begeistert.

»Ist es schon Żus?«, frŻgt ©Żs M´©chen mehrmŻls ´ngstlich – un© Żtmet ãeim Nein Żuf.

Zirkusse brauchen heute viele Ideen, viel Geld, um die hohen Ansprüche zu erfüllen – wohlgemerk­t, die Ansprüche der Erwachsene­n. Man könnte meinen, auch die mit Filmen und Tabletspie­len gefütterte­n Kinder sind kaum noch zu beeindruck­en. Wenn aber das zehnjährig­e Mädchen neben einem sich immer wieder ängstlich herdreht und fragt: „Ist es jetzt aus?!“, jedes Mal beruhigt aufatmet, wenn man es des Gegenteils versichert – dann beginnt man wieder an den Zirkus zu glauben. Vollends, wenn das Kind, hin- und hergerisse­n zwischen der Freude am Moment und der Angst vor dem Ende, mitten in der Vorstellun­g verkündet: „Ich will für immer hierbleibe­n.“

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Circus RoncŻlli Beein©rucken© mit beschei©enen Mitteln: ©ie Artisten ©es Zirkus RoncŻlli.

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