Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Rückkehr der Rüpel. Politiker sind selten brav. Aber dass ein EU-Außenminister einen anderen öffentlich einen „arroganten und frustrierten Nihilisten“nennt, ist neu und beunruhigend.
Zu den traurigen Erfahrungen im Leben innenpolitischer Journalisten gehört es mitanzuhören, wie Politiker über ihre Gegner reden, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Da hört man auch vom „Arschloch“. Dass man in der Öffentlichkeit gesitteter miteinander umgeht, ist nicht Verlogenheit, sondern Zivilisation. Politiker haben Feinde und müssen gegen andere kämpfen, um ihre Ziele zu erreichen und zu halten. Aber anders als Soldaten, die Perioden des Friedens kennen, stehen Politiker ihre ganze Karriere hindurch in permanenter Gegnerschaft. Wollen sie dabei gute Menschen bleiben und nicht Rüpel werden, brauchen sie ein Korsett, das ihnen immer wieder hilft, den Kampf nicht persönlich zu nehmen.
Rüpel hat es in der Politik immer schon gegeben. Aber in friedlichen Zeiten sind sie nicht in hohe Ämter aufgestiegen. Das scheint vorbei zu sein. So hat etwa in dieser Woche der ungarische Außenminister, Peter Szijjart´o,´ nicht sachlich oder polemisch auf die Überlegung seines luxemburgischen Amtskollegen, Jean Asselborn, Ungarn aus der EU auszuschließen, reagiert, sondern persönlich: Asselborn, der „aus der Heimat der Steueroptimierung“komme, sei eine unseriöse Figur, belehrend, arrogant und frustriert, „ein Nihilist, der schon lang an der Zerstörung der Sicherheit und Kultur Europas arbeitet“. So hat in der EU noch nie ein Außenminister on the records über einen anderen geredet.
Und Großbritannien hat seit Kurzem mit Boris Johnson einen Außenminister, der über Putin gesagt hat, er sehe zwar aus wie Dobby, der Hauself (aus der Harry-Potter-Welt), und über Hillary Clinton, sie wirke mit ihrem Schmollmund und den stahlblauen Augen wie eine sadistische Krankenschwester. Das ist sicher sehr lustig, wie es auch immer für Kichern sorgt, wenn jemand in Gesellschaft sich traut, „Neger“zu sagen. Und es war vor seiner Ernennung zum Außenminister. Aber die gute, alte britische Erziehungsregel „No personal remarks!“scheint vergessen. Und was sich gerade jenseits des Atlantiks für ein Rüpelpotenzial aufbaut, ist geradezu unheimlich.
Auf simple Gemüter jeder sozialen Schicht hat Unverblümtheit immer einen Reiz – es ist ein befreiendes, geradezu erotisches Überschreiten von Grenzen. Endlich darf auch der Spießer sich an der Provokation laben. Aber das lustvolle Überschreiten einer Anstandsgrenze verliert den Reiz, wenn diese Grenze in der Folge verschwimmt. Dann muss man schon die nächste Grenze überschreiten, und die Rüpelei eskaliert. Irgendwann landet man dann in der Barbarei. Der späteste Zeitpunkt, sich dessen zu besinnen, ist jetzt. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.