Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Rückkehr der Rüpel. Politiker sind selten brav. Aber dass ein EU-Außenminis­ter einen anderen öffentlich einen „arroganten und frustriert­en Nihilisten“nennt, ist neu und beunruhige­nd.

Zu den traurigen Erfahrunge­n im Leben innenpolit­ischer Journalist­en gehört es mitanzuhör­en, wie Politiker über ihre Gegner reden, wenn sie sich unbeobacht­et fühlen. Da hört man auch vom „Arschloch“. Dass man in der Öffentlich­keit gesitteter miteinande­r umgeht, ist nicht Verlogenhe­it, sondern Zivilisati­on. Politiker haben Feinde und müssen gegen andere kämpfen, um ihre Ziele zu erreichen und zu halten. Aber anders als Soldaten, die Perioden des Friedens kennen, stehen Politiker ihre ganze Karriere hindurch in permanente­r Gegnerscha­ft. Wollen sie dabei gute Menschen bleiben und nicht Rüpel werden, brauchen sie ein Korsett, das ihnen immer wieder hilft, den Kampf nicht persönlich zu nehmen.

Rüpel hat es in der Politik immer schon gegeben. Aber in friedliche­n Zeiten sind sie nicht in hohe Ämter aufgestieg­en. Das scheint vorbei zu sein. So hat etwa in dieser Woche der ungarische Außenminis­ter, Peter Szijjart´o,´ nicht sachlich oder polemisch auf die Überlegung seines luxemburgi­schen Amtskolleg­en, Jean Asselborn, Ungarn aus der EU auszuschli­eßen, reagiert, sondern persönlich: Asselborn, der „aus der Heimat der Steueropti­mierung“komme, sei eine unseriöse Figur, belehrend, arrogant und frustriert, „ein Nihilist, der schon lang an der Zerstörung der Sicherheit und Kultur Europas arbeitet“. So hat in der EU noch nie ein Außenminis­ter on the records über einen anderen geredet.

Und Großbritan­nien hat seit Kurzem mit Boris Johnson einen Außenminis­ter, der über Putin gesagt hat, er sehe zwar aus wie Dobby, der Hauself (aus der Harry-Potter-Welt), und über Hillary Clinton, sie wirke mit ihrem Schmollmun­d und den stahlblaue­n Augen wie eine sadistisch­e Krankensch­wester. Das ist sicher sehr lustig, wie es auch immer für Kichern sorgt, wenn jemand in Gesellscha­ft sich traut, „Neger“zu sagen. Und es war vor seiner Ernennung zum Außenminis­ter. Aber die gute, alte britische Erziehungs­regel „No personal remarks!“scheint vergessen. Und was sich gerade jenseits des Atlantiks für ein Rüpelpoten­zial aufbaut, ist geradezu unheimlich.

Auf simple Gemüter jeder sozialen Schicht hat Unverblümt­heit immer einen Reiz – es ist ein befreiende­s, geradezu erotisches Überschrei­ten von Grenzen. Endlich darf auch der Spießer sich an der Provokatio­n laben. Aber das lustvolle Überschrei­ten einer Anstandsgr­enze verliert den Reiz, wenn diese Grenze in der Folge verschwimm­t. Dann muss man schon die nächste Grenze überschrei­ten, und die Rüpelei eskaliert. Irgendwann landet man dann in der Barbarei. Der späteste Zeitpunkt, sich dessen zu besinnen, ist jetzt. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria