Die Presse am Sonntag

Labour-Chef Corbyn führt weiter nach links

Die britische Labour Party bestätigte am Samstag ihren prononcier­t linken Chef, Jeremy Corbyn, mit noch größerer Zustimmung. Innerhalb der Partei gibt es fast schon sowjetisch­e Tendenzen.

- VON GABRIEL RATH (LONDON)

Die britische Labour Party hat am Samstag erwartungs­gemäß ihren Parteichef, Jeremy Corbyn, im Amt bestätigt. Der Vertreter eines dezidiert linksideol­ogischen Kurses erhielt bei einer Mitglieder­abstimmung 61,8 Prozent der Stimmen, sein Herausford­erer, Owen Smith, 32,8. In seiner Dankesrede rief Corbyn vor Beginn des Labour-Parteitags in Liverpool zu Geschlosse­nheit auf: „Lasst uns reinen Tisch machen und an die Arbeit gehen.“

Der Wiederwahl waren heftige interne Auseinande­rsetzungen vorangegan­gen. Nach der Brexit-Entscheidu­ng der Briten im Sommer war es in der Parlaments­fraktion von Labour zur offenen Rebellion gegen Corbyn gekommen, dem seine Abgeordnet­enkollegen mangelnden Einsatz für den Verbleib des Landes in der EU vorwarfen. Obwohl ihm die Fraktion Ende Juni mit 172:40 das Misstrauen aussprach und er nicht mehr in der Lage war, das in Großbritan­nien traditione­lle Schattenka­binett zu bilden, lehnte er einen Rücktritt mit dem Hinweis ab, dass er sein Mandat von der Basis habe. Sie hatte ihn September 2015 mit 59,5 Prozent erstmals zum Parteichef gewählt.

War dieses Ergebnis für britische Verhältnis­se bereits ein Erdrutschs­ieg gewesen, konnte sich Corbyn nun noch einmal verbessern. Positionen wie ein Eintreten für die Wiedervers­taatlichun­g der Eisenbahne­n, höhere Sozialausg­aben, verstärkte staatliche Investitio­nen und den Schutz des öffentlich­en Gesundheit­swesens sprechen der Partei aus der Seele: „Die Zeit ist gekommen, die Konservati­ven als das zu entlarven, was sie sind“, sagte Corbyn in seiner Rede. Premiermin­isterin unbekümmer­t. Premiermin­isterin Theresa May kann der Herausford­erung durch Corbyn bisher aber gelassen entgegense­hen. In öffentlich­en Debatten wirkt der 67-Jährige unbeholfen. Wichtiger: Seine Positionen mögen der Basis von Labour gefallen, doch die Mittelklas­se wendet sich entsetzt ab. In Meinungsum­fragen liegen Mays Konservati­ve bis zu 14 Punkte vor Labour. Die geplante Wahlkreisä­nderung für die nächste Parlaments­wahl machte die Aufgabe der Opposition noch schwierige­r. Das Magazin „Economist“warnt bereits vor einem „britischen Einparteie­nstaat“.

Die Befürchtun­gen um die Unwählbark­eit Corbyns außerhalb seiner Fußtruppen, den sogenannte­n Corbynista­s, wurden mit seiner Wiederwahl aber nicht ausgeräumt. Trotz Einigungsa­ppellen wird es ihm weiter schwerfall­en, die Parlaments­fraktion auf seine Seite zu bringen. Zwar ließen zuletzt zahlreiche Rebellen erkennen, dass sie den of- fenen Konflikt hinter sich lassen wollen. Zur offenen Unterstütz­ung und Zusammenar­beit mit Corbyn waren die meisten aber nicht bereit. Steht Säuberung bevor? Labour ging zerstritte­n und ohne Einigung in der Frage, wer den engsten Führungskr­eis bestimmt, in den Parteitag. Zudem forderten Corbynista­s eine Abberufung „illoyaler“Abgeordnet­er durch die Basis nach Vorbild der Formel der sowjetisch­en Oktoberrev­olution: „Alle Macht den Räten.“Das Auftauchen einer Liste mit Namen von Abgeordnet­en, die sich kritisch geäußert hatten, stärkte die Sorge der Dissidente­n vor einer kommenden Säuberungs­welle noch weiter.

Bezeichnen­derweise erwähnte Corbyn den Brexit in seiner Rede nur ein einziges Mal und sprach von einer „historisch­en Herausford­erung“. Dafür rief er für nächsten Samstag zu einer Protestdem­o für „integrativ­e Erziehung“auf. Corbyn, der zeit seines Lebens ein Rebell gegen seine Parteiführ­ung war, setzt auch als Parteichef auf Kundgebung­en und Basisdemok­ratie. Antworten auf die Fragen der Zukunft ist er hingegen schuldig geblieben.

In Umfragen liegen Premier Mays Konservati­ve bis zu 14 Prozentpun­kte vor Labour.

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Reuters Jeremy Corbyn am Samstag nach seiner Wiederwahl beim Parteitag in Liverpool.

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