Kerns große Soloshow am Ballhausplatz
Als Gastgeber der gestrigen Wiener Flüchtlingskonferenz inszenierte sich der Kanzler als EU-Krisenmanager. Kein Bundespräsident und kein Außenminister störten seinen Auftritt inmitten von Regierungschefs wie Angela Merkel, Viktor Orb´an oder Alexis Tsipra
Im Minutentakt fahren die Limousinen vor dem Bundeskanzleramt am abgeriegelten Ballhausplatz vor, und als die Regierungschefs aus Berlin, Budapest, Athen und den Balkanstaaten am späten Samstagvormittag aus dem Fond aussteigen, präsentiert sich Wien in schönster herbstlich-imperialer Pracht und der Gastgeber in aufgeräumt-lockerer Stimmung. Die Bühne der großen, internationalen Politik, die er sich in der vergangenen Woche vor und am Rande der UNO in New York mit Außenminister Sebastian Kurz geteilt hat, gehört in diesen Mittagsstunden Christian Kern allein. Keiner, der dem Kanzler als EU-Krisenmanager in Österreich die Show stehlen würde – kein Bundespräsident und schon gar kein Außenminister.
Vier Monate wird die Hofburg, die Präsidentschaftskanzlei vis-a-`vis vom Machtzentrum der Republik, noch verwaist sein – unter der Voraussetzung, dass bei der Präsidentenwahl am zweiten Adventsonntag alles klappen sollte. Wie einst Franz Vranitzky zur Zeit der Waldheim-Affäre vor 30 Jahren scheint der Neo-Kanzler fest entschlossen, das Vakuum an der Staatsspitze zu nutzen.
Jeden seiner Gäste nimmt Kern einzeln in Empfang, mit einem Handshake und begleitet von ein wenig Small Talk vor der Sitzung und dem anschließenden Arbeitsessen, während im Inneren Burghof die Hof- und Deutschmeister aufspielen und in k. u. k. Walzerseligkeit schwelgen. Besonders herzlich fällt die Begrüßung, so hat es zumindest den Anschein, bei Angela Merkel und Alexis Tsipras aus. Dass Griechenland demonstrativ nicht zur von Sebastian Kurz und Johanna Mikl-Leitner initiierten Westbalkankonferenz der Außen- und Innenminister vor sieben Monaten in Wien eingeladen war, löste einen diplomatischen Eklat aus.
Die Regierung in Athen reagierte verstimmt, ja, düpiert. Das Außenministerium berief die Botschafterin aus Wien zurück, der griechische Chefdiplomat, Nikos Kotzias, attackierte Mikl-Leitner in einem Interview mit der „Presse am Sonntag“als „Lügnerin“, und Athen sagte einen Besuch der Innenministerin in Griechenland kurzerhand ab. Es dauerte zwei Monate, bis sich die Beziehungen zwischen Wien und Athen wieder eingerenkt hatten. Die k. u. k. Diplomatie. Auch die deutsche Kanzlerin, die keinen Vertreter nach Wien geschickt hatte, war konsterniert über die Ende Februar in Wien jäh beschlossene Schließung der Westbalkanroute und den Alleingang der Balkanstaaten unter der Führung Österreichs. In deutschen Medien war danach die Rede von einer Renaissance der k. u. k. Diplomatie, und der alerte Kurz wurde quasi zu einem „Metternich“des 21. Jahrhunderts geadelt. Inzwischen weiß Merkel die Maßnahme zu würdigen, wenngleich verhalten und fast ein wenig verstohlen. An die große Glocke will sie es nicht hängen. 50.000 Flüchtlinge, zieht sie vor ihren Kollegen in Wien ein Fazit, seien seither dennoch über den Balkan nach Deutschland gekommen – und 18.000 nach Österreich.
Mehr noch als über ihren konservativen Parteifreund schäumte Angela Merkel indes über Werner Faymann und den vom Boulevard diktierten rasanten Kurswechsel ihres Kompagnons in der Flüchtlingskrise. Er hat sie auf dem falschen Fuß erwischt. Unter dem Druck des Ansturms der Flüchtlinge hatten die beiden die Schengen-Regeln ausgehebelt und die Öffnung der Grenzen veranlasst. Mit einem Mal stand Merkel, ohnehin gezaust von Horst Seehofer, Viktor Orban´ und Konsorten, ziemlich einsam da. Mit Müh’ und Not schloss sie einige Woche später den fragilen EU-Deal mit der Türkei ab, der gestern auch in Wien Modell stand für
Werner Faymanns rasanter Kurswechsel erwischte Angela Merkel auf dem falschen Fuß.
ähnliche Partnerschaften mit Ägypten, Jordanien, dem Libanon oder Libyen. Mit Ägypten, Mali, Senegal oder Niger seien überdies Rückführabkommen von Asylwerbern avisiert.
Vor einem Monat, bei einer Stippvisite auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin, unterbreitete Kern der deutschen Kanzlerin den Vorschlag für eine Neuauflage der Westbalkankonferenz unter Einbindung Griechenlands und der EU – diesmal allerdings wieder auf Regierungsebene. Berlin war 2014 Pate gestanden für die erste Westbalkankonferenz, als es noch in erster Linie um eine Annäherung zur EU ging. Im Vorjahr warf die Flüchtlingskrise schon ihre Schlagschatten auf die Konferenz in Wien, als die Polizei just zum Auftakt des Treffens auf einen abgestellten Kühltransporter mit 71 Leichen auf der Autobahn nahe Parndorf stieß – was nicht nur bei Merkel einen prägenden Eindruck hinterließ.
Alle Südosteuropäer waren in der Hauptstadt der früheren Donaumonarchie vertreten.
An Flüchtlingsgipfeln herrscht derzeit kein Mangel, wohl aber an Lösungsansätzen. In Istanbul und jüngst in New York fanden Konferenzen unter UN-Ägide statt, und viele der Teilnehmer der Wiener Runde trafen Kern – und Kurz – bereits bei der UN-Vollversammlung zu Wochenbeginn. Zuvor hatte Kern in Visiten in Budapest und Ljubljana die Stimmung bei den Nachbarn ausgelotet, und er war vor allem darum bemüht, das angespannte – wenn nicht gar feindselige – Verhältnis mit Viktor Orban´ zu entkrampfen. Der Kanzler erwog sogar, Matteo Renzi, den italienischen Premier, zur Session mach Wien einzuladen, um so möglichen Irritationen in Rom vorzubeugen. Eine Beteiligung Italiens, das die Flüchtlingswelle im Mittelmeer nicht minder trifft als Griechenland, hätte jedoch den Rahmen gesprengt, heißt es in Wien.