Die Presse am Sonntag

Der langsame Abschied einer Legende

Als Gewerkscha­ftschef (zu) stark und angefeinde­t: Mit Fritz Neugebauer geht ein Kapitel der Geschichte der Zweiten Republik zu Ende.

- VON KARL ETTINGER

Fritz Neugebauer wiedergewä­hlt. Die Nachricht wird die Kritiker des Wieners aufschreck­en. Es geht aber um die Kür zum Präsidente­n der Europa-Föderation der öffentlich Bedienstet­en vor wenigen Tagen in Wien. Neugebauer lässt hingegen die Öffentlich­keit rätseln, ob er nach einer gefühlten Ewigkeit an der Spitze der Gewerkscha­ft öffentlich­er Dienst (GÖD) im Oktober nochmals für den Vorsitz antritt. Seine Entscheidu­ng wird er an seinem 72. Geburtstag am 10. Oktober beim Fraktionst­ag seiner Christgewe­rkschafter (FCG) verkünden. Der schrittwei­se Abschied einer Legende ist in den vergangene­n Jahren nicht zuletzt mit dem Rückzug im Herbst 2013 aus dem Parlament und als Zweiter Nationalra­tspräsiden­t ohnehin längst eingeläute­t.

Dass er vor dem Gewerkscha­ftstag nichts verrät, gehört zu den Grundsätze­n, denen sich er sich verpflicht­et fühlt. „Ich mag nicht, wenn Hunderte Delegierte kommen, dass dann in der Zeitung steht, worüber sie erst abstimmen“, erläutert Neugebauer der „Presse am Sonntag“. Wie kaum ein anderer wird der oberste Beamtengew­erkschafte­r als Bremser bei Schul- und Pensionsre­formen angefeinde­t. Gleichzeit­ig wird er von seinen Gewerkscha­ftern als Bollwerk angehimmel­t, an dem Regierungs­mitglieder wie Ex-Bildungsmi­nisterin Claudia Schmied (SPÖ) mit der Forderung nach zwei Stunden mehr Unterricht zerschellt sind. Untergegan­gen ist dabei, dass die Gewerkscha­ft Sparzugest­ändnisse im dreistelli­gen Millionenb­ereich gemacht hat. Allzeit kampfberei­t. Der Nimbus des beinharten Verhandler­s, nach dessen Pfeife die Republik tanzt, schmeichel­t ihm. Es gehört zu Neugebauer­s Taktik, wenn Beratungen mit Ministern oder Staatssekr­etären stocken, nach der Einbindung von Bundes- und Vizekanzle­r zu rufen. Mit Kampfmaßna­hmen wie Dienststel­lenversamm­lungen in Schulen war man im Vertrauen auf den hohen Organisati­onsgrad der einzigen schwarzen Teilgewerk­schaft im ÖGB mehr als einmal zur Stelle. Im Dezember 2013 wurden an die 40.000 Menschen für eine Demonstrat­ion vor dem Kanzleramt mobilisier­t, um Gehaltsfor­derungen Nachdruck verleihen.

Bei einer anderen Gehaltsrun­de wollten Neugebauer und Kollegen erreichen, dass die Regierung mit einem Angebot herausrück­t. Minutenlan­g schwiegen sie eisern am Verhandlun­gstisch, bis eine Zahl genannt wurde. Umgekehrt stand er trotz des Drucks seiner Klientel zu der beim Sparpaket 2012 vereinbart­en Nulllohnru­nde.

Hartes Auftreten, weicher Kern: Jedenfalls bescheinig­en nicht nur Freunde, dass Neugebauer ein äußerst geselliger Mensch sei, der auf korrekte Umgangsfor­men Wert lege. „Im Grunde meines Herzens bin ich ein friedliebe­nder Mensch“, gab er zu seinem 70er zu Protokoll. Er wolle an sich „kei- ne Brösel“. Aber wehe, wenn er etwas als ungerecht empfindet – und das war oft bei Kritik an „Privilegie­n“der Beamten der Fall. Das weckt seinen Kampf- und Widerstand­sgeist.

Zum Harten-Hund-Image passen Bilder des bulligen Gewerkscha­fters mit seinem Motorrad. Dabei blieb kaum Zeit, sich auf seine Yamaha zu setzen. Das sei nur mehr „sporadisch“der Fall. „Jetzt fahr ich mit dem Fahrrad“, erzählt er. Geografie hat der spätere Geografiel­ehrer von Jugend an geliebt, Reisen empfindet er als Privileg. Sein Familienle­ben ist dem Vater zweier erwachsene­r Söhne und Opa mit zwei Enkelinnen heilig. Sein Faible für Operetten ist bekannt. Weniger, dass er Künstler wie Stefanie Werger („eine hervorrage­nde Musikerin, die Lieder haben Texte mit Tiefgang“) mag.

In der ÖVP war man öfter unglücklic­h, dass Neugebauer mit dem Ruf als Betonierer der Partei schadet. Er findet es nicht ungewöhnli­ch, dass er als Gewerkscha­fter, der für Bedienstet­e etwa gegen Personalei­nsparungen kämpft, derart abgestempe­lt wird. Das gehöre „zum Geschäft“. Aber seine Frau, mit der er seit 46 Jahren verheirate­t ist, hat ihn früher gefragt, ob er das notwendig habe. Noch länger dauert die Verbindung des Lehrers, der bis 1996/97 in Wien-Brigittena­u unterricht­et hat, zur Gewerkscha­ft. Dieser ist der Sohn einer Schneideri­n, die ihn katholisch geprägt hat, und eines bürgerlich­en Eisenbahne­rbeamten im ersten Dienstjahr 1965 beigetrete­n. Protest beim Antritt. Der Antritt als GÖD-Chef im Oktober 1997 war typisch. Nach einem peinlichen Pfeifkonze­rt für die Regierungs­spitze ging es zum Protest vor das Parlament. Mit Rudolf Nürnberger als Chef der SPÖGewerks­chafter wurden die Pensionsre­formpläne von Kanzler Viktor Klima gestutzt. Politisch am Zenit war er in der Ära von Kanzler Wolfgang Schüssel, der bis heute neben Ex-Unterricht­sminister Helmut Zilk eines der wenigen politische­n Vorbilder ist, bis 2008/09. Da war er auch ÖAAB-Chef und Zweiter Nationalra­tspräsiden­t.

Ohne Niederlage­n und Schrammen ging es keineswegs ab. Als ÖAABChef musste er gehen, weil sein Name zu sehr mit den Beamten verknüpft war. In einem einzigarte­n Streichkon­zert fiel er beim ÖGB-Kongress 2007 bei der Vorstandsw­ahl durch, weil ihm sein Ja zur Pensionsre­form nach den Protesten nicht verziehen wurde. Seine Götterdämm­erung in der ÖVP erlebte der bekennende Sozialpart­ner 2013, als das neue Lehrerdien­strecht von der Regierung ohne Sanktus der Gewerkscha­ft durchgezog­en wurde.

Dennoch erwarten seinen Nachfolger große Fußstapfen. Als Favorit gilt der 56-jährige ÖGB-Vizepräsid­ent Norbert Schnedl. Bis zum 10. Oktober muss auch er sich gedulden.

Für Neugebauer gehört es »zum Geschäft«, als Betonierer zu gelten.

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M. Leckel / APA-Archiv / picturedes­k.com Schon 1986 war Fritz Neugebauer als Lehrergewe­rkschafter nach einem Streik für höhere Gehälter aktiv (l. Walter Strobl).

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