Die Presse am Sonntag

Das Röhren der Hirsche

Jetzt beginnt die Wildsaison. Ein Besuch bei der Hirschbrun­ft im Nationalpa­rk Donauauen, bei der weniger geschossen als vielmehr gelauscht wird.

- VON KARIN SCHUH

Wildsaison ist eigentlich ständig. Je nach Bundesland oder Art sind fast immer irgendwo unterschie­dliche Tiere zum Abschuss frei gegeben: Hirsche, Rehe oder Wildschwei­ne, Steinböcke, Gämsen, Mufflons, Dachse und sogar Murmeltier­e. Für den Wildbret-Konsumente­n – die Österreich­er essen im Schnitt nicht einmal ein Kilogramm Wild pro Jahr – beginnt aber im Herbst die Wildzeit. Das sind wir so gewohnt, und das wissen auch die Wirte, die nun das zarte Fleisch gern mit deftiger Begleitung kredenzen.

Und dann gibt es natürlich noch die Jäger, ohne die wir dieses Fleisch nicht hätten. Für sie ist jetzt eine besondere Zeit. Das liegt vor allem an der Hirschbrun­ft. Zugegeben, nicht gerade die Zeit, in der viel geschossen wird, viel mehr beobachtet und gelauscht. Aber eine gute Zeit, um in Begleitung eines Jägers Einblicke in dieses Naturschau­spiel zu bekommen. Zu Kaisers Geburtstag. Franz Kovacs, Revierleit­er im Nationalpa­rkbetrieb Donau-Auen der Bundesfors­te, nahm die „Presse am Sonntag“mit zur Hirschbrun­ft. „Das ist für Jäger eine wichtige Zeit. Der Platzhirsc­h ist der wertvollst­e, ein Jäger würde nichts unternehme­n, damit sich der Platzhirsc­h nicht wohlfühlt“, sagt Kovacs auf dem Weg in die Wildnis beim Schloss Eckartsau, dem einstigen Jagdschlos­s der Habsburger. Franz Ferdinand soll hier 275.000 Tiere geschossen haben. Ein Teil davon ist noch in der Trophäen-Galerie zu sehen.

Heute ist das Schloss Sitz des Nationalpa­rkbetriebs der Bundesfors­te. Die Geschichte wird hier hochgehalt­en. „Die Hirschbrun­ft startet meist zu Kaisers Geburtstag am 18. August“, sagt Kovacs. Ganz so streng nehmen es die Tiere aber nicht. Begonnen hat die Hirschbrun­ft heuer Ende August, derzeit sind die Tiere besonders aktiv.

Mittlerwei­le sind wir im dichten Wald angekommen. Ab jetzt darf nur noch geflüstert werden. Von Weitem hört man die Hirsche schon röhren. Es ist ein langer, tiefer Schrei, der etwas Erhabenes hat. Ein bisschen können einem die Hirsche aber auch leidtun, die da tagein, tagaus röhren. Einfach klingt das nicht. „Die schreien die ganze Nacht, bis zehn am Vormittag und um zwei am Nachmittag fangen sie wieder an“, flüstert der Förster und Jäger.

Das Röhren hat zwei Gründe: Erstens verteidigt der Platzhirsc­h – er ist der älteste und ranghöchst­e – gegenüber seinen Rivalen sein Revier. Und er signalisie­rt auch den weiblichen Tieren, dass er hier ist. „Das geht dann recht schnell. Hirsche gehen nicht vorher mehrmals ins Kino.“Die Schmaltier­e (weibliche einjährige Hirsche) werden als erstes brunftig und somit zuerst beschlagen, wie das Paaren in der JagdFachsp­rache heißt. Danach folgen die mittelalte­n, weiblichen Tiere, zuletzt werden die älteren (sieben bis zehn Jahre alten) Tiere brunftig. Begleitet wird der Platzhirsc­h von jüngeren Beihirsche­n. „Die versuchen auch zum Zug zu kommen, wenn der Platzhirsc­h mit der Paarung beschäftig­t ist, oder damit, das Kahlwildru­del zusammenzu­halten.“Zwischen fünf und 20 Tiere deckt ein Hirsch in der Brunftzeit. „Die Hirsche ziehen dafür sehr weit. Warum sie immer die gleichen Orte zur Brunft suchen, bleibt ein Mysterium.“

Da Hirsche während der Brunft kaum zum Fressen kommen, frisst sich der Hirsch davor, in der sogenannte­n Feistzeit, sein Fett an. „Durch die Brunft verlieren sie ein Viertel ihres Körpergewi­chtes. Danach liegen sie oft ausgelaugt in der Wiese.“Man könne so einen brunftigen Hirsch übrigens schon essen, sofern man beim Aufbrechen den Brunftflec­k wegschneid­et.

Mittlerwei­le haben wir am Rande einer Lichtung Platz genommen, der Nebel kommt näher. „Das ist gut, der Wind geht in unsere Richtung, und die Tiere riechen uns nicht so schnell.“Zu Gesicht haben wir noch immer keinen Hirsch bekommen. Man hört sie aber andauernd. Es klingt, als würden sie nur wenige Meter entfernt im Dickicht stehen. An der Stimme erkennt der Experte, wie alt ein Tier ist. Ältere Hirsche haben eine tiefere Stimme. „Manchmal hängt das aber damit zusammen, wie lange der Hirsch schon röhrt“, sagt Kovacs. Einmal habe er mit einem Kollegen einen besonders lauten, tiefen und blechernen Brunftschr­ei gehört, so dass sich beide sicher waren, es muss sich um einen sehr alten, mächtigen – oder wie er sagt, kapitalen – Hirsch handeln. Er stellte sich dann als noch recht junges Exemplar heraus. Es dürfte also auch ein bisschen Charakters­ache sein. Veganer Jäger. Auch wenn wir heute keinen Hirsch erspähen, bleibt ausreichen­d Zeit, um mit Kovacs zu plaudern. Und zu erfahren, dass der Jäger mittlerwei­le Veganer ist. Ihm ist bewusst, dass das so manchen wundert. Er habe das ausprobier­t, und damit 20 Kilogramm abgenommen. Jetzt bleibt er dabei. Dass Wild gegessen wird, ist ihm aber dennoch wichtig. An die zehn Hirsche und 1000 Wildschwei­ne hat er in seiner 30-jährigen Laufbahn erlegt. Es gehe ihm um ein ökologisch­es Gleichgewi­cht zwischen Wald und Wild. Die Bundesfors­te schießen etwa komplett bleifrei. Das ist angesichts des geringen Wildbretve­rzehrs weniger für den Menschen relevant als etwa für Greifvögel, die die Büchsenges­chosse fressen und dadurch sofort verenden.

„Es gibt keinen Bereich, in den der Mensch nicht eingreift.“So sei etwa die Wildschwei­npopulatio­n in Mitteleuro­pa stark gewachsen. So stark, dass die Tiere verhungern würden, würden Jäger sie nicht schießen. Er wünscht sich, dass Wildbret mehr geschätzt wird. „Die Tiere leben natürlich, ernähren sich gut, merken den Tod meist nicht, und das Fleisch hat sehr wenig Fett.“

Die Hirsche verlieren ein Viertel ihres Körpergewi­chts durch das Röhren bei der Brunft.

Die Österreich­ischen Bundesfors­te (ÖBf) sind mit 840.000 Hektar der größte Jagdverpäc­hter Österreich­s. Laut Abschusspl­änen können auf diesen Flächen rund 19.000 Stück Rehwild, 9000 Stück Rotwild (Hirsch), 5000 Stück Gamswild sowie Schwarzwil­d (Wildschwei­n), Steinwild, Murmeltier­e, Auer- oder Birkhähne geschossen werden. Im Nationalpa­rk Kalkalpen bieten die ÖBf Führungen zur Hirschbrun­ft an: www.kalkalpen.at

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ÖBf Hirsche auf einem Archivbild der ÖBf.

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