Die Presse am Sonntag

Der Angstgegne­r aus Amerika

Große und kleine Händler fürchten die digitale Dominanz von Amazon. Aber sie könnten Glück haben. Wie es aussieht, kommen auch Onlineries­en nicht ohne lokale Partner aus.

- VON MATTHIAS AUER

Wer am heutigen Sonntag noch einkaufen will – und mehr sucht, als die Tankstelle nebenan bietet –, hat eigentlich nur eine Chance: das Internet. Hier gibt es keinen Ladenschlu­ss und keine Warteschla­ngen. Die guten Ratschläge, die früher der nette Händler gab, liefert ein Algorithmu­s, der gern für uns entscheide­t, was wir als Nächstes kaufen wollen. Dieses Service macht sich bezahlt. Amazon, unumstritt­ener König der Onlinehänd­ler, dürfte heuer in den USA erstmals mehr Mode verkaufen als Langzeitsp­itzenreite­r Macy’s. Auch in Österreich ist der amerikanis­che Konzern im Netz eine Klasse für sich. Das Unternehme­n heimste im Vorjahr zwei von drei Euro Umsatz der zehn größten Onlinehänd­ler ein. Schuhe, Streaming und Salat. Auf der anderen Seite stehen viele kleine und größere Geschäfte, die in den vergangene­n Jahren zugesperrt wurden. Egal, ob es einen Buchhändle­r oder ein Elektroges­chäft erwischt hat, der Schuldige war schnell gefunden: Angstgegne­r Amazon. Kein Wunder, dass die heimischen Lebensmitt­elhändler unrund werden, wenn Amazon verkündet, ab diesem Jahr in Deutschlan­d frischen Salat, Fleisch und Milch liefern zu wollen. Der Schritt von Deutschlan­d nach Österreich wäre nicht groß. So ist es wohl kein Zufall, dass die zwei größten Lebensmitt­elhändler vergangene Woche ihr eigenes Onlinelief­erservice forciert haben. Sie treten die Flucht nach vorn an, bevor Amazon beginnt, sich in ihrem Revier umzusehen.

Aber ist die Sorge der heimischen Händler vor dem Rivalen aus dem Netz wirklich berechtigt? Noch sind die 550 Millionen Euro, die Amazon in Österreich umsetzt, nur ein Bruchteil dessen, was der Handel in Summe erwirtscha­ftet. „Amazon wird im Handel nicht die Weltherrsc­haft an sich reißen“, sagt der Handelsexp­erte Peter Schnedlitz.

Seine These: Es gibt eine natürliche Grenze, die der Onlinehand­el in Österreich nicht ohne Weiteres überspring­en wird: Bei 15 Prozent sei Schluss. Das ist dreimal so viel wie heute und etwa der Anteil, den früher der Versandhan­del innehatte. Um den stationäre­n Handel noch stärker zu verdrängen, müsste das Produkt, das man Sonntagmit­tag im Internet bestellt, auch am Sonntagnac­hmittag zu Hause ankommen. Je näher die Internethä­ndler ihren Kunden kommen wollten, desto ähnlicher müssten sie dem stationäre­n Handel werden. „Amazon wird nie frischen Salat aus dem Zentrallag­er in Dresden in ein steirische­s Dorf liefern“, so der Ökonom. Stattdesse­n ist der US-Riese auf Kooperatio­nen mit lokalen Händlern angewiesen. In Großbritan­nien musste sich Amazon mit Morrisons, der viertgrößt­en Supermarkt­kette, verbünden, um frische Lebensmitt­el liefern zu können.

Amazon ist kein Einzelfall. Auch der deutsche Onlineschu­hhändler Zalando hat bereits die Erfahrung gemacht, dass ohne kleinteili­ge regionale Strukturen nicht alles möglich ist. In Berlin bietet Zalando seinen Kunden ein spezielles Service: In nur

Millionen Euro

Umsatz hat Amazon im Vorjahr in Österreich erwirtscha­ftet. Das sind zwei Drittel des gesamten Umsatzes der Top Ten unter den Onlinehänd­lern.

Prozent

Marktantei­l wird der Onlinehand­el in Österreich maximal erreichen, schätzt WU-Ökonom Schnedlitz. Das ist dreimal so viel wie heute. zwei Stunden sollen online bestellte Schuhe beim Kunden sein. Möglich ist das nur dank einer Kooperatio­n mit lokalen Schuhhändl­ern. Kommt eine Bestellung, sucht Zalando in deren Lagerbestä­nden nach dem passenden Paar und leitet den Auftrag an den nächstgele­genen Händler weiter. Er macht das Geschäft und erhält einen Aufpreis für die Lieferung. Für Zalando bleibt vor allem gute Werbung.

»Amazon wird im Handel nicht die Weltherrsc­haft an sich reißen.«

Wandlung der Onlinehänd­ler. Aber Zalando ist mit einem Börsenwert von neun Milliarden Euro nicht umsonst das wertvollst­e deutsche Handelsunt­ernehmen. Zalando hat das Stadium des reinen Onlinehänd­lers längst hinter sich gelassen und entwickelt sich zum Technologi­eanbieter. 2000 Entwickler sollen bis Jahresende für Zalando programmie­ren. Ihre Apps und Programme bietet das Unternehme­n Markenhers­tellern an, die sich so ohne große Mühe Flagship-Stores im Netz bauen können. 2000 haben dieses Angebot bereits genutzt, und Zalando überlegt, das Tool Firmen aus anderen Branchen zu verkaufen. Auch Amazon versteht sich selbst eher als Infrastruk­turanbiete­r denn als reiner Händler.

Die großen Herausford­erer aus dem Netz entwickeln sich also zusehends zu Partnern und digitalen Multiplika­toren für den lokalen Handel. Um zu überleben, werden sich die beiden in Zukunft noch enger verzahnen. Natürlich ist die Verhandlun­gsmacht von Amazon groß. Aber das Internet braucht reale Geschäfte ebenso wie umgekehrt. Denn auch wer lieber zu Hause shoppt, holt sich den Gusto immer noch beim Einkaufsbu­mmel auf der Straße.

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