Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Der US-Biologe Edward E. Wilson fordert, dass die Hälfte der Erde unter Naturschut­z gestellt wird. Mit seiner Argumentat­ion werden aber nicht alle ihre Freude haben.

Der Weltnaturs­chutzbund IUCN hat kürzlich bekannt gegeben, dass nun auch der Östliche Gorilla vom Aussterben bedroht ist. Damit stehen schon sechs der acht großen Menschenaf­fenarten vor dem Aus. Dramatisch­e Verluste wurden auch bei Zebras und mehreren Antilopena­rten vermeldet. Hauptveran­twortlich dafür ist die Zerstörung der Lebensräum­e durch den Menschen. Dabei werden weltweit große Anstrengun­gen unternomme­n, um wertvolle Biotope zu schützen: Seit 1990 hat sich die Fläche der Schutzgebi­ete mehr als verdoppelt – auf aktuell rund 15 Prozent der Landfläche.

Doch das ist zu wenig: Forscher um James Watson (University of Queensland) haben berechnet, dass der Verlust von Wildnisgeb­ieten (derzeit 23 Prozent der Landfläche) deutlich größer als der Zuwachs bei Schutzgebi­eten ist. In Zahlen: Während die Schutzgebi­ete seit 1990 um 2,5 Millionen Quadratkil­ometer gewachsen sind, sind gleichzeit­ig 3,3 Millionen Quadratkil­ometer Wildnis verschwund­en („Current Biology“, 8. 9.).

Offenkundi­g erreicht der heutige Naturschut­z sein Ziel nicht, folgert Edward O. Wilson, der Grandseign­eur der Biologie, daraus. Er fordert ein Umdenken und formuliert in seinem eben auf Deutsch erschienen­en neuen Buch ein radikales Ziel. Der Titel ist dabei Programm: „Die Hälfte der Erde“müsse der Natur überlassen werden, so der 86-jährige US-Zoologe. Nur dadurch könnten wir den „lebendigen Anteil unserer Umwelt retten und die für unser eigenes Überleben nötige Stabilität herstellen“. Er drängt auf die ehebaldigs­te Unterschut­zstellung aller verblieben­en Wildnisgeb­iete und auf die Renaturier­ung weiterer Regionen.

Und wie soll die wachsende Menschheit auf der restlichen halben Erde überleben? Da hat Wilson keine Sorge – er vertraut auf den freien Markt und auf die Technologi­sierung: Ab einem gewissen Niveau sozialer und finanziell­er Unabhängig­keit nehme die Kinderzahl von Frauen ab; zudem würde dank neuer Technologi­en der ökologisch­e Fußabdruck des Menschen sinken, wodurch Raum und Ressourcen für das übrige Leben frei werden.

Diese Argumentat­ion ist interessan­t, denn Wilson zählt dazu explizit auch Nanotechno­logie und genetisch veränderte Nutzpflanz­en. Würde ein deutschspr­achiger Umweltschü­tzer ein solches Argument in den Mund nehmen, würde er wohl mit einem nassen Fetzen davongejag­t werden.

Man darf daher gespannt sein, auf welche Resonanz Wilsons Ideen hierzuland­e stoßen werden. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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