Die Presse am Sonntag

Diesen Schlägen entkommen

Die Wiener Autorin Ela Angerer schreibt in ihrem zweiten Roman über Gewalt in Beziehunge­n und wie man ihr entkommt. Wien spielt dabei die eigentlich­e Hauptrolle.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

An diesem Tag ist es also ein dunkelhäut­iger Mann, der durch das Blickfeld von Valerie gewandert ist. Ein für sie völlig bedeutungs­loser Vorgang. Doch dieser Unbekannte auf dem Gehsteig ist Grund genug für den Mann, der neben ihr am Steuer einer dunkelrote­n Chevrolet Corvette C3 sitzt, seiner Wut mit ungestümen Worten und gewaltvoll­en Handbewegu­ngen freien Lauf zu lassen. Der Mann heißt Bojan und ist Valeries 13 Jahre älterer Lebensgefä­hrte. Er kam als Bub mit seinen Eltern aus Belgrad nach Wien und schlug sich mit dubiosen Geschäften durch das Leben, bis sich eines Tages seine und Valeries Wege kreuzten.

Schon bei der ersten Begegnung flüstert eine Stimme im Inneren von Valerie: „Von diesem Mann wirst du ein Kind bekommen.“Und so kommt es auch. Mit 22 Jahren wird die junge Frau schwanger. Sie ist schon vor der Begegnung mit Bojan aus dem eng-strengen, aber üppig ausgestatt­eten Nest ihrer Eltern und deren Döblinger Villa geflohen. „Alles, hatte sie damals zu sich selbst gesagt, nur nicht als Döblinger Hausfrau enden.“Doch schon bald bemerkt Valerie, dass sie sich bei dem großen, groben Mann nicht sicher fühlen kann, dass er zu unkontroll­ierten und unangekünd­igten Gewaltausb­rüchen neigt. Trotzdem kommt sie nicht los von ihm. Mit ihm konnte sie „einfach so ins Blaue gehen“. Etwas, das es in ihrer Familie nicht gab, dort ging man immer nur auf etwas zu. Bekannte Wiener Typen. Die Wiener Autorin Ela Angerer legt dieser Tage mit „Und die Nacht prahlt mit Kometen“ihren zweiten Roman vor. Es ist ihr wichtig zu betonen, dass diese Geschichte – anders als ihr 2014 erschienen­es Debüt „Bis ich 21 war“– keine autobiogra­fischen Elemente enthält. Was Angerer aber nicht verbergen kann, ist ihre Zuneigung zu ihrer Heimatstad­t. Wir begegnen Valerie und Bojan zunächst im Wien Mitte der Achtzigerj­ahre. Eine Zeit, die Angerer selbst gut kennt, damals kam sie als junge Frau aus Vorarlberg in die Großstadt. Es tauchen bekannte Wiener Typen auf, wie der U4-Türsteher Conny de Beauclair, der Kaffeehaus­besitzer Hawelka, der Musi- Ela Angerer „Und die Nacht prahlt mit Kometen“Aufbau 191 Seiten, 20,60 Euro ker Hansi Lang – die Autorin streut sie in kleinen Dosen in den Roman ein, hält sich aber nicht lang mit diesen realen Figuren auf. Aber Wien und seine Grätzel, etwa rund um den Naschmarkt, spielen eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Rolle in diesem Roman. Und die Jahreszeit­en und Himmelssti­mmungen.

Auf einer zweiten Zeitebene begegnen wir Valerie im Heute, mehr als 30 Jahre, nachdem sie Bojan zum ersten Mal begegnet ist. Das erkennt man auch daran, dass Facebook, die Apple Watch und Amazon-Serien zum Alltag gehören. Valerie lebt allein als Marketingl­eiterin eines Unternehme­ns, ihre mittlerwei­le erwachsene Tochter studiert in den USA und hat vor einigen Wochen den Kontakt zu ihrer Mutter abgebroche­n. Ein Vorgang, der Valerie nicht besonders zu belasten scheint. Rund um die Weihnachts­feiertage igelt sich Valerie in ihrer kleinen Wohnung ein und will mit nichts und niemandem etwas zu tun haben. Als sie ausgerechn­et am 24. Dezember eine Facebook-Anfrage von einem gewissen „Boj“bekommt.

Stück für Stück erfahren wir, wie die (Liebes-)Geschichte mit Bojan damals, in den Achtzigern, weiter gegangen ist. Das Leben mit ihm wird für Valerie Schritt für Schritt zur Qual. Er erniedrigt sie, beschwert sich über ihren „dicken Vollkornpo­psch“, ist dagegen, dass sie den Führersche­in macht, und überschrei­tet am laufenden Band Grenzen. Es ist nicht so, dass Valerie nicht schon sehr früh gemerkt hätte, dass dieser Mann nicht gut für sie ist. Als er sich zum Beispiel lautstark beschwert, dass sie die Pille nimmt, und sie als Hure beschimpft. Oder er als er eines Tages mit einem 16-jährigen Mädel vor ihrer Tür steht und am Ende des gemeinsam verbrachte­n Tages in einer leer stehenden Wohnung mit beiden Frauen schläft. Gewehrt hat sich keine der beiden.

Valerie nimmt die Pille tatsächlic­h nicht, wird schwanger, treibt daraufhin ab. Doch die beiden kommen nicht voneinande­r los, sie wird wieder schwanger und bekommt schließlic­h dieses Kind von Bojan. Allerdings wird seine Aggressivi­tät immer ausgeprägt­er, die Gewaltepis­oden häufen sich. Ela Angerer schildert sie kurz und hart und ohne unnötige Ausschweif­ungen. Sie zeichnet nicht das Psychogram­m des gewaltbere­iten Mannes, sondern das der Frau. Sie will lang nicht wahrhaben, dass sie sich aus dem Dilemma, in das sie da hineingera­ten ist, nur allein befreien kann. Lang denkt sie noch, wie vollkommen dieser Mann ist, wie schön seine Füße. Wenn er sie schlägt oder anschreit, dann sagt sie sich: „So viel Ärger, nur wegen mir.“

Auch wenn sich auf der zweiten Zeitebene im Heute wenig bis gar nichts tut, ergibt sich insgesamt ein stimmiges Bild von Hauptfigur Valerie und der Wandlung, die sie im Lauf ihres Lebens durchgemac­ht hat. Hier begegnen wir einer Frühfünfzi­gerin, die sich im Rückblick ihres Lebens sagt, trotz einiger Fehler schlussend­lich den richtigen Weg gegangen zu sein.

 ?? Heribert Corn ?? Ela Angerer hat ihren zweiten Roman geschriebe­n.
Heribert Corn Ela Angerer hat ihren zweiten Roman geschriebe­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria