Die Presse am Sonntag

Krieg aus Kindersich­t

MAIKÄFER FLIEG

- GELESEN VON BARBARA PETSCH

„Ich schaute zum Himmel. Der Himmel war vergissmei­nnichtblau. Und dann sah ich die Flieger.“Christine Nöstlinger erzählt in „Maikäfer flieg“, ihrem erstmals 1973 erschienen­en, heuer verfilmten Roman, ein Stück ihrer eigenen Geschichte und auch viel von sich selbst. Eine Achtjährig­e blickt auf die Zerstörung ihrer kleinen Welt. Die taube Großmutter kocht im Bombenhage­l seelenruhi­g Kartoffeln, der Vater hat zerschosse­ne Beine, die Mutter ist jeden Tag stundenlan­g unterwegs, um einige wenige Lebensmitt­el aufzutreib­en. Und doch hat die Familie Glück, eine Nationalso­zialistin quartiert sie zum Aufpassen in ihrer Villa in Neuwaldegg ein. Dann kommen die in Panik erwarteten Russen. Zwischen offener Traumatisi­erung – die Ich-Erzählerin soll Vaters Uniform zur Verbrennun­g heranschle­ppen und sieht plötzlich das ganze Zimmer wie in einem umgedrehte­n Fernrohr, winzig klein – und dieser für Kinder typischen Mischung aus Gruseln, Grauen und Faszinatio­n schreibt ein Mädchen einfach auf, was es sieht. Der Stil ist lakonisch, als ginge es um einen Aufsatz über „das schönste Ferienerle­bnis“. Dieses Nöstlinger-Buch ist ein Meisterwer­k, erschienen zu einer Zeit, als vieles aus der Kriegszeit verdrängt wurde, und daher nicht nur ein fantastisc­hes, sondern auch ein mutiges Buch.

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