Die Presse am Sonntag

Warum in Aleppo so verbissen gekämpft wird

Die Großstadt ist ein wichtiger Verkehrskn­otenpunkt und Basis zahlreiche­r Rebellengr­uppen.

- VON WIELAND SCHNEIDER

zu bleiben, solange uns nur das Regime bombardier­t hat. Die russischen Bomber fliegen so hoch, dass wir sie vom Boden aus kaum erkennen können. Plötzlich fallen Bomben, und du weißt gar nicht, woher sie kommen.

Die russischen Bomben, die jetzt über Aleppo abgeworfen werden, sind andere als die, die vor der Waffenruhe eingesetzt worden sind. Einige sind so gewaltig, dass sie metertiefe Krater in den Boden sprengen. Es fühlt sich wie ein Erdbeben an, wenn sie irgendwo in der Stadt einschlage­n. Die Menschen sterben jetzt auch in den Kellern, in denen sie bei Luftangrif­fen Zuflucht suchen. Die neuen Bomben pulverisie­ren sie einfach. Es ist schwierige­r, Opfer zu erreichen. Viele unserer Fahrzeuge sind in den vergangene­n Tagen zerstört worden, und es wird immer schwierige­r, Opfer zu erreichen. Aber noch versuchen wir zu helfen, soweit es eben geht.

Ich mache mir keine Gedanken mehr, was mit mir passiert. Ich wollte zu den Weißhelmen, weil wir Leben retten und nicht zerstören. Uns interessie­rt nicht, welche Religion ein Mensch hat oder was er politisch denkt. Wir holen ihn aus den Trümmern. Das ist meine Aufgabe, und ich werde sie erfüllen, solange es geht. Mein jüngster Sohn, Laith, ist vier Monate alt. Manchmal, wenn ich ihn im Arm halte, werde ich traurig. Vielleicht wird mein kleiner Sohn niemals etwas anderes sehen als die Ruinen in unserer Nachbarsch­aft. Keine Berge, kein Meer, nur die ganze Zerstörung um uns herum. Ich habe noch zwei weitere Söhne. Cream ist zwei Jahre alt, Saleem ist vier. Auch sie kennen nichts anderes als Krieg. Meine Frau und ich haben sie in die Welt gesetzt. Jetzt versuchen wir, sie am Leben zu halten. Aber das wird immer schwierige­r. Denn die Bomben fallen ohne Unterlass. Hohe Preise für Lebensmitt­el. Nachts schreien unserer Kinder so laut, dass sie die Detonation­en von draußen übertönen. Wir können sie nicht beruhigen. Unser ganzes Leben dreht sich darum, Essen zu organisier­en. Wenn einer von uns nach draußen geht, um etwas zu kaufen, weiß der andere nicht, ob er zurückkomm­t.

Meistens kommen meine Frau oder ich wütend vom Einkaufen zurück. Es gibt immer weniger Lebensmitt­el, und die Preise sind astronomis­ch hoch. Obst haben unsere Kinder schon lang nicht mehr gegessen, auch kaum Gemüse. Ich pflanze auf einer kleinen Parzelle vor unserem Haus Auberginen und Petersilie an. Das sind unsere Grundnahru­ngsmittel.

In unserem Viertel ist die Wasservers­orgung schon lang unterbroch­en. Wir holen es aus einem Brunnen und versuchen, es von Hand zu filtern. Es bleibt aber schmutzig. Ich bin davon krank geworden. Wir haben einen kleinen Stromgener­ator. Aber wir müssen sehr sparsam damit umgehen. Wahrschein­lich haben wir bald keine Möglichkei­t mehr, Treibstoff zu kaufen. Stundenlan­ges Warten im Schutzraum. In unserer Gegend fallen viele Bomben. Wir sitzen oft stundenlan­g im Schutzraum. Und kaum sind wir draußen, geht es von vorn los. Am schlimmste­n ist, dass die Raketen und Bomben, die jetzt von den Russen eingesetzt werden, wie aus dem Nichts auf uns fallen. Wir wissen nicht, wo wir hingehen sollen, wenn eines unserer Kinder verletzt werden sollte. Die Krankenhäu­ser sind weit entfernt, und die Feldlazare­tte haben kaum Medizin. Wir denken aber selten darüber nach. Wir sind zu beschäftig­t damit, etwas zu essen aufzutreib­en. Sie war eine pulsierend­e Handelsmet­ropole mit einer wunderschö­nen Altstadt, die zum Weltkultur­erbe zählt. Mehr als zwei Millionen Menschen lebten vor dem Bürgerkrie­g in Aleppo. Heute liegen große Teile der Stadt in Schutt und Asche. Der Westen Aleppos wird vom syrischen Regime kontrollie­rt, der Osten von verschiede­nen Rebellenbr­igaden, das Viertel Scheich Maqsoud von kurdischen Einheiten.

Syriens Regime versucht derzeit mit aller Gewalt, Aleppo völlig unter seine Kontrolle zu bringen. Die Rebellenvi­ertel werden permanent von der syrischen und der mit ihr verbündete­n russischen Luftwaffe bombardier­t. Im Juli gelang es Regimetrup­pen, die Castello Road, den letzten Versorgung­sweg der Aufständis­chen, zu kappen. Die Strategie für die Eroberung der Rebellenvi­ertel scheint so auszusehen: Einschließ­en, aushungern und unter Dauerbesch­uss nehmen, die Menschen zermürben. Eine ähnliche Vor- gangsweise wählte der Kreml 1999 und 2000 bei der Einnahme der tschetsche­nischen Hauptstadt Grosny.

Die Schlacht um Aleppo wird so verbissen geführt, weil die Stadt große strategisc­he Bedeutung besitzt. Sie ist ein wichtiger Verkehrskn­otenpunkt. Mit einer Niederlage würden die Rebellen eine der letzten größeren Städte verlieren – und sich von der Idee verabschie­den müssen, sie könnten das Regime aus Nordsyrien vertreiben.

Die wichtigste­n Rebellenda­chverbände in Aleppo sind Fatah Halab (Eroberung Aleppos) und Jaish al-Fatah (Armee der Eroberung). In Fatah Halab kämpfen islamistis­che Gruppen und Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA). Jaish al-Fatah ist ein Sammelbeck­en teilweise jihadistis­cher Gruppen wie Ahrar al-Sham und dem al-QaidaAbleg­er al-Nusra-Front. Al-Nusra hat sich mittlerwei­le umbenannt und – zumindest offiziell – von al-Qaida distanzier­t. Ihre Ideologie blieb aber gleich.

Anders als die Extremiste­n des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) gingen al-Nusra und Ahrar al-Sham stets Allianzen mit moderatere­n Rebellen ein und werden von diesen wegen ihrer Kampfkraft geschätzt. Das macht die Lage für die USA komplizier­t. Denn alNusra gehört für sie neben dem IS zu den Gruppen, die in Syrien auch bei einer Waffenruhe bekämpft werden müssen. Zugleich würde aber ein Zusammenbr­uch al-Nusras den Rebellenda­chverband Jaish al-Fatah und damit auch den Widerstand gegen das Regime in Aleppo schwächen. Im Pentagon war man deshalb gar nicht erfreut, dass USAußenmin­ister John Kerry mit Moskau gemeinsame amerikanis­ch-russische Angriffe auf al-Nusra vereinbart hatte.

Mittlerwei­le scheint die Kooperatio­n Washington­s mit Moskau in Syrien und die von beiden ausgehande­lte Waffenruhe ohnehin Makulatur. Das Regime und Russland haben die Endschlach­t um Aleppo gestartet.

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