»Die Mehrheit der Muslime ist nicht judenfeindlich«
Sie sind Vertreter zweier Religionen, zwischen denen es immer wieder Konflikte gibt. Doch ImŻm Ramazan Demir und RŻbbiner Schlomo Hofmeister sind Freunde – und räumen im Gespräch mit mancher falschen Vorstellung über das Zusammenleben auf.
Treffen sich ein Rabbi und ein Imam . . . Was anfängt wie ein Witz, findet in Wien laufend statt. Ramazan Demir, Imam der Islamischen Glaubensgemeinschaft, verbringt viel Zeit mit Rabbi Schlomo Hofmeister von der Israelitischen Kultusgemeinde. Sie sind befreundet, waren schon gemeinsam in Jerusalem und führen gern ausgedehnte Gespräche über Religion, Gesellschaft und Politik. Für die „Presse am Sonntag“haben sie sich auf ein Gespräch getroffen – in einem Cafe´ in Wien-Währing, das sowohl koscher als auch halal zertifiziert ist. Muslime gegen Juden, das ist ja ein gängiges Narrativ, in das Sie beide nicht so recht hineinpassen. RŻmŻzŻn Demir: Es herrscht die Ansicht, Muslime seien Antisemiten. Würde man eine Umfrage starten, wäre die Prozentzahl sicher bemerkbar. Aber die absolute Mehrheit der Muslime ist nicht judenfeindlich. Viele, die behaupten, dass Muslime judenfeindlich seien, kennen keinen einzigen Muslim. Schlomo Hofmeister: Antisemitismus hat verschiedene Formen. Von Israelfeindlichkeit bis hin zu rassistischem Judenhass. Insgesamt ist er bei muslimischen Österreichern wahrscheinlich nicht viel größer als im Gesellschaftsdurchschnitt, nur anders geprägt. Demir: In der Vergangenheit, etwa in Andalusien, haben Juden und Muslime über Jahrhunderte in Frieden zusammengelebt. Wir haben auch im Koran, RŻmŻzŻn Demir (l.) ist Gefängnisseelsorger der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Daneben unterrichtet er unter anderem an einem Wiener Gymnasium und ist Vorstandsmitglied der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen. Schlomo Hofmeister ist seit 2008 Gemeinderabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Daneben ist er Vorstandsmitglied der europäischen Rabbinerkonferenz und Präsident der europäischen Mohalim. viele Stellen, die zum liebevollen Umgang mit Juden und Christen und Andersgläubigen aufrufen. Die Schriften sind das eine, die gelebte Realität ist aber oft eine andere. Demir: Einige Muslime kritisieren die Politik von Israel und stellen es gleich mit Judentum. Da muss man differenzieren. Darum ist es wichtig, den Kontakt zu suchen und aufzuklären. Im Religionsunterricht, in Moscheen, bei Vertretern der Muslime. Kritik an Israel ist aber ohnehin kein ausschließlich muslimisches Phänomen. Hofmeister: Absolut nicht. Man muss aber selbstverständlich immer zwischen politischen Debatten und antisemitisch motivierter Propaganda unterscheiden. Innerhalb der europäischen Linken gibt es traditionell anti-israelische Positionen, die bei objektiver Betrachtung nur mit antisemitischer Befangenheit erklärt werden können. IKG-Präsident Oskar Deutsch hat vergangenes Jahr gewarnt, dass mit den Flüchtlingen ein Antisemitismus importiert wird. Hofmeister: Das ist eine Angst, die angesichts des soziokulturellen Hintergrunds dieser Menschen viele hatten. Aus meiner Erfahrung, insbesondere mit syrischen Flüchtlingen, habe ich überraschenderweise festgestellt, dass die antisemitischen Vorurteile und vor allem auch die Israel-Feindlichkeit bei diesen wesentlich geringer sind, als bei Muslimen, die seit Generationen hier leben. Diese Menschen fliehen vor einem Regime, das sie ihr Leben lang gebrainwasht hat und scheinen mir überdurchschnittlich aufgeschlossen und bereit, ihr Weltbild objektiv neu zu ordnen. Antisemitische Vorfälle von rechts gehören in Österreich leider zum Alltag. Von syrischen Flüchtlingen ist mir bisher keine antisemitische Straftat bekannt. Momentan sind die Augen aber besonders auf die vielen – vor allem – Muslime gerichtet, die nach Europa strömen. Demir: Und die haben wirklich andere Sorgen, von Überlebensängsten bis zur geplanten Asyl-Notverordnung. Nicht zu vergessen die zunehmende Islamfeindlichkeit. Er werden leider unbegründete Ängste geschürt. Vor Kurzem wurde von einer bestimmten Gruppe 333 Jahre Sieg über die Türken gefeiert. Aber kein Mensch denkt daran, dass vor hundert Jahren Muslime für die österreichische Armee gestorben sind. Dass man sagt, der Islam gehört nicht zu Österreich, entspricht nicht der Wahrheit. Auch die Gastarbeiter in den 1960er- und 70er-Jahren haben Österreich mitaufgebaut. Man redet immer von Integration, aber das ist ein beidseitiger Prozess. Selbstverständlich müssen die Muslime viel tun, aber genauso auch die Mehrheitsgesellschaft. Was müsste die Mehrheitsgesellschaft tun? Demir: Mehr tun als reden. Ängste ab- bauen, aufeinander zugehen. Einige müssen aufhören, vor dem Fernseher zu sitzen und zu meckern. Sie müssen aufstehen und mit dem Nachbarn reden. Viele Österreicher haben gar keinen Kontakt zu Muslimen, aber Angst vor ihnen. Und es gibt in Österreich leider auch Islamfeindlichkeit. Vor Kurzem wurde in Favoriten eine Frau mit Kopftuch zusammengeschlagen. Und Musliminnen wurden Sprüche wie „Hitler muss wieder her“oder „Ihr gehört ins KZ“zugerufen. Kann man da Vergleiche zur Anfeindung von Juden in den 1930ern ziehen? Hofmeister: Geschichtliche Ereignisse lassen sich so nicht vergleichen. Demir: Das stimmt. Aber teilweise gelten die Muslime als schuld an vielem, so wie früher die Juden. Da kann man, sagt auch der jüdische Autor Armin Langer, schon Parallelen ziehen. Hofmeister: In der Struktur der Argumente auf jeden Fall. Ist man säkular, will man die Gesellschaft unterwandern, lebt man traditionell, steht man im Widerspruch zu ihr. Wie man es macht, ist es falsch. Ein großer Unterschied zu den 30er-Jahren ist aber sicher, dass sich der islamistische Terrorismus als Anlassargument bietet – so etwas gab es von jüdischer Seite nie. Für symptomatisch halte ich aber auch Diskussionen wie die Burkini-Debatte. Demir: Oder die mit den Schulen, in denen Juden und Muslime Schweinefleisch probieren müssen. Zuletzt gab es einen Vorfall, dass in der Steiermark Muslime 79 Schafe auf einer Weide geschächtet haben. Nun ist Schächten ja aus guten Gründen verboten. Hofmeister: Jüdische und muslimische Schächtungen sind in Österreich erlaubt. Wer sich mit kommerzieller Schlachtung befasst, wird nie auf den Gedanken kommen, unsere Methode des Schächtens sei ein größeres Problem als jede andere Form der Schlachtung. Wenn man sich wirklich um das Wohl der Tiere kümmert, dann darf man überhaupt kein Fleisch essen. Warum sieht dann das Tierschutzgesetz ein Verbot vor? Hofmeister: Das ist ein uraltes, nie hinterfragtes Politikum, das sich ursprünglich tatsächlich nur gegen das Judentum richtete. Der Schächtschnitt dauert