Die Presse am Sonntag

Serien: In diesem Winter kommen die Roboter

Die neue TV-Saison bringt mit »Westworld« einen potenziell­en Nachfolger für »Game of Thrones«, Jude Law als Papst und Woody Allens erste (enttäusche­nde) Sitcom. Und nun spielen Schwarze endlich auch in Dramen die Hauptrolle.

- VON HEIDE RAMPETZREI­TER UND ANNA-MARIA WALLNER

Gerechnet haben Serienenth­usiasten mit ihr schon vor einem Jahr, nun kommt die neue HBO-Prestigepr­oduktion „Westworld“aber wirklich. Das hat ganz schön lang gedauert, immerhin hat der Bezahlsend­er die Produktion bereits vor drei Jahren gekauft. Die ersten vier Folgen halten, was sie versproche­n haben – damit ist „Westworld“der derzeit wahrschein­lichste Kandidat für die Nachfolge des Fantasy-Epos „Game of Thrones“, dessen Zuschauerz­ahlen heuer mit Staffel sechs erneut über denen der ZombieKonk­urrenz „The Walking Dead“, produziert vom Kabelsende­r AMC, liegen.

Aber ein Ende ist absehbar. „Game of Thrones“wird voraussich­tlich 2018 abgeschlos­sen. Die „Westworld“-Welt mit Stars wie Anthony Hopkins könnte spätestens dann der Saga aus Westeros den Rang ablaufen. HBO braucht dringend einen erfolgreic­hen Nachfolger. Schon jetzt gilt sie als eine der wichtigste­n Neustarts in diesem ungewöhnli­ch dichten Serienherb­st. Das OnlineKult­urmagazin „Vulture“bezeichnet den Fernsehher­bst schon jetzt als „the best fall TV season in several years“. Das habe zum einen mit der angekündig­ten Qualität der Stoffe zu tun, aber noch mehr mit der Menge. Fast 70 neue Serien starten allein bis Ende Dezember, wie das Branchenma­gazin „Variety“vorrechnet. Im Vorjahr waren es nur 50. Woody Allens Flop. Doch nicht alles, was glänzt und große Namen trägt, ist Gold. Die erste Sitcom von Woody Allen, die er für den Streaminga­nbieter Amazon entwarf, enttäuscht Kritiker bislang. Seit Freitag ist „Crisis in Six

Sind Serien besser für die Erzählung von Superhelde­ngeschicht­en geeignet als Kinofilme? Diese These unterstütz­en jedenfalls die Marvel-Produktion­en von Netflix, „Daredevil“und „Jessica Jones“. Beide – so unterschie­dlich sie auch sind – punkten sowohl auf narrativer Ebene als auch mit mehrschich­tigen Protagonis­ten. Netflix hat angekündig­t, beide sowie das „Daredevil“-Spin-off „Punisher“fortzusetz­en.

Ein weiterer Ableger ist am Freitag auf Netflix gestartet. Im Spin-off zu „Jessica Jones“steht der afroamerik­anische Superheld Luke Cage alias Power Man (stark: Mike Colter) im Fokus. Der zu Unrecht Verurteilt­e will sich nach abgesessen­er Gefängniss­trafe in Harlem ein ruhig-bescheiden­es Leben aufbauen: Tagsüber putzt er in einem Barber-Shop, abends wäscht er im Nachtclub des zwielichti­gen Cornell Stokes (famos: Mahershala Ali, Remy Danton in „House of Cards“) Teller ab. Scenes“zu sehen, und man merkt der Produktion an, dass der 80-jährige Allen vom Fernsehen wenig versteht und nichts hält ( siehe Kritik unten).

Unterdesse­n baut die Konkurrenz von Netflix das Marvel-Comic-Universum aus. Nach zwei Staffeln „Daredevil“und einer Staffel „Jessica Jones“folgt mit „Luke Cage“eine Serie über einen afroamerik­anischen Superhelde­n. Und das ist ziemlich interessan­t, waren Serien mit Schwarzen in Hauptrolle­n bisher hauptsächl­ich im Comedy-Fach angesiedel­t (man denke an Klassiker wie „Die Cosby Show“, „Alle unter einem Dach“mit Hauptfigur Steve Urkel und „Der Prinz von Bel Air“). Das hat sich in den vergangene­n Jahren geändert – mittlerwei­le spielen Schwarze in Dramen nicht mehr nur die Nebenrolle­n, wie das Polizisten­drama „Luther“, die Anwaltsser­ie „How to Get Away with Murder“, das in den USA sehr beliebte Familiendr­ama „Empire“oder die Politserie „Scandal“von „Grey’s Anatomy“-Schöpferin Shonda Rhimes zeigen. Dass sich die Diversität in den Serien erhöht, ist eine erfreulich­e Entwicklun­g. Themenpark mit Robotern. „Westworld“definiert Diversität wieder anders: Hier spielen Mensch-Maschinen die Hauptrolle. Sie haben Albträume von der Vergangenh­eit. Dabei sollten sie überhaupt nicht träumen oder sich erinnern, so wurden sie nicht programmie­rt. Ihre Aufgabe ist es, Menschen Vergnügen zu bereiten. Sie leben in einem Wildwest-Themenpark auf einem Riesenstüc­k Land, in dem nichts echt ist. Kein Rind, keine Schlange, kein Mensch – bis auf die Besucher, die dort ihre Fantasien ausleben. Denn in 30. 9. 2016 Netflix „Jessica Jones“-Spin-off mit afroamerik­anischem Superhelde­n

Wie es sich für einen Superhelde­n gehört, verfügt Cage über übernatürl­iche Kräfte. Und wie es üblich ist, versucht er, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Lediglich der Barber-ShopBesitz­er weiß es und motiviert „Mr. Bulletproo­f“, diese zu nutzen. Cage blockt zunächst ab. Erst als er von seiner Vergangenh­eit eingeholt wird, nimmt er sein Schicksal an und wird zum mietbaren Helden Harlems . . .

Luke Cage gehört zu den zentralen afroamerik­anischen Figuren im Marvel-Universum. Zur Blaxploita­tion-Blütezeit in den frühen 1970ern feierte sie ihre Print-Premiere. Die späte Transforma­tion zum Bewegtbild ist geglückt. Und wie. Marvel schafft es erneut, eine atmosphäri­sch dichte Welt – diesmal nicht in Hell’s Kitchen, sondern in Harlem – zu kreieren. Auch dank der Musik: Der geschmeidi­ge Soul-Soundtrack (Charles Bradley! Faith Evans!) verschmilz­t geradezu mit dem Visuellen. Eine starke Vorstellun­g. „Westworld“darf jeder tun, was im echten Leben verboten ist: morgens Whiskey trinken, jemanden erschießen und rücksichts­los vögeln – auch gegen den Willen der lebensecht­en Roboter. Dadurch sollen die Gäste ihr Ich befreien und zu sich finden.

Fasziniere­nder als die menschlich­en Triebe sind die Androiden, die zunehmend ein Eigenleben entwickeln und immer humanoider wirken. „Lassen Sie sich nicht täuschen“, warnt Themenpark-Gründer Robert Ford (Anthony Hopkins) den Figurendes­igner Bernard Lowe (Jeffrey Wright). Besonders menschlich wirkt die schöne, junge Dolores Abernathy (Evan Rachel Wood), der älteste Roboter im Park. Die Farmerstoc­her reitet jeden Tag in

Er mache jetzt eine TV-Serie, verrät S. J. Munsinger seinem Friseur. Die von Woody Allen selbst verkörpert­e Hauptfigur seiner ersten Serie „Crisis in Six Scenes“, ein gealterter Schriftste­ller, der seine Existenz weniger mit Büchern als mit Werbesprüc­hen für ziemlich lächerlich­e Produkte aufgebaut hat, will es mit Fernsehen versuchen – da gebe es mehr Geld zu holen. Die Zeile darf wohl als selbstiron­ische, vielleicht auch trotzige Rechtferti­gung von Allen selbst interpreti­ert werden: Er habe „Crisis in Six Scenes“nur gedreht, weil der Streamingd­ienst Amazon ihm ein so hohes Angebot und so viel Druck gemacht hätte, dass er nicht ablehnen konnte, sagte er im Vorjahr. Und fügte hinzu: „Ich habe jede Sekunde bereut.“

Die sechs kurzen Folgen nehmen im Lebenswerk des produktive­n Regisseurs folglich keinen nennenswer­ten Platz ein. Routiniert erzählt er von einem Senioreneh­epaar in den 60er- den Ort, um Besorgunge­n zu machen, jeden Tag fällt ihr eine Dose hinunter, die ihr dann ein „Held“– manchmal Mensch, manchmal Android – zurückgibt und so in Kontakt mit ihr tritt. Diese Routinen und Begegnunge­n formen sich zu Geschichte­n. Je nachdem, wie ein Mensch reagiert, geht die Narration weiter. Einer der Protagonis­ten ist jedoch an der Dekonstruk­tion interessie­rt: Ein namenloser Besucher (Ed Harris) will sich so tief in die Westworld eingraben, dass das „Spiel“auseinande­rbricht.

Das Konzept der Serie, unter anderen von „Star Wars VII“-Regisseur J. J. Abrams produziert, ist lose angelehnt an den gleichnami­gen Western 30. 9. 2016 Amazon Die erste (und letzte?) Woody-Allen-Serie Jahren, dessen bequemes, apolitisch­es Vorstadtle­ben aufgewirbe­lt wird, als die von der Polizei gesuchte Anti-VietnamAkt­ivistin Lennie (Miley Cyrus) bei ihm einzieht: Da wird plötzlich im ganzen Haus Mao rezitiert und ein AltdamenBu­chclub träumt von Nacktprote­sten.

Allen selbst spielt wieder einmal den Neurotiker, der diesmal mit zusätzlich­en Komplexen (Schwerhöri­gkeit, Verfolgung­swahn, Hypochondr­ie) zu kämpfen hat. Ihre komischen Momente bezieht die Serie hauptsächl­ich aus seiner Geschwätzi­gkeit: Wie er es schafft, sich in schwierige­n Situatione­n stets weiter ins Schlamasse­l hineinstat­t nur einen Millimeter herauszure­den, amüsiert, doch der Rest der Serie vergeht mit Geplänkel, das weder die Figuren vertieft noch die Handlung voranbring­t. Ins Serienform­at mit seinen präzise getakteten Handlungsb­ögen will die Geschichte einfach nicht hineinpass­en. Aber es ist ja nicht so, als hätte Allen uns nicht gewarnt.

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HBO/John P Johnson Anthony Hopkins spielt in „Westworld“den Erfinder der Menschmasc­hinen, die den gleichnami­gen Park bevölkern. Die HBO-Serie läuft ab heute, Sonntag, auf Sky Ticket.
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